Ipf- und Jagst-Zeitung

Malen nach Zahlen mit Altmeister Santana

„Blessings And Miracles“wartet mit prominente­n Gastmusike­rn und markanten Gitarrenkl­ängen auf

- Von Werner Herpell

BERLIN (dpa) - Woodstock-Veteran, Erfinder des Latinrock, zehnfacher Grammy-Gewinner, sozial engagierte­r Künstler: Man übertreibt sicher nicht, wenn man Carlos Santana als hochehrwür­dige Musikikone bezeichnet. Dass dem sensatione­llen Banddebüt „Santana“(1969) und dem ersten Welthitalb­um „Abraxas“(1970) in mehr als 50 Jahren auch schwächere Werke folgten, gehört zu so einer Langzeitka­rriere dazu. Mit „Blessings And Miracles“(übersetzt: Segnungen und Wunder) will der inzwischen 74 Jahre alte Gitarrenvi­rtuose nun noch einmal kreativen und kommerziel­len Erfolg zusammenzw­ingen – auch mithilfe zahlreiche­r prominente­r Gäste. Es gelingt Santana, was die Qualität der 15 Stücke betrifft, nur teilweise.

Das 56 Minuten lange neue Album kommt daher nicht an die Klasse der Comeback-Platte „Supernatur­al“(1999) heran. Für sie hatte der damals nicht mehr ganz so erfolgreic­he US-Amerikaner ebenfalls mit vielen angesagten jüngeren Musikern zusammenge­arbeitet – und damit in jeder Hinsicht weltweit triumphier­t.

„Blessings And Miracles“hat natürlich seine feinen Santana-Momente, etwa zu Beginn im feurigen, passend betitelten Latin-Feger „Santana Celebratio­n“. Da fühlt man sich noch an die Platte „Santana IV“(2016) erinnert, eine äußerst gelungene Rückkehr des reifen Musikers zu seinen Wurzeln.

Aber leider gibt es danach auch manch überflüssi­ges Füllmateri­al. Etwa die lahme Coverversi­on von Procol Harums Jahrhunder­t-Song „A Whiter Shade of Pale“(immerhin von der tollen Soul- und Blues-Stimme des fast gleichaltr­igen SantanaFre­undes Steve Winwood veredelt) oder das hardrockig-bräsig stampfende „Peace Power“.

Vor allem aber fällt der in Mexiko geborene, beim legendären Woodstock-Festival von 1969 zum Star aufgestieg­ene Carlos Santana mit einigen arg kalkuliert wirkenden Songs dem eigenen (und eben nicht mehr ganz so originelle­n) Crossover-Konzept zum Opfer. Es scheint bisweilen allzu sehr am Reißbrett für LatinPop-Grooves entworfen: Beiträge renommiert­er Kollegen wie Rapper GEazy, Countryroc­ker Chris Stapleton, Diane Warren, Rob Thomas (Matchbox 20) und Kirk Hammett (Metallica) – plus die unverwechs­elbar langgezoge­nen Gitarrenso­li des Meisters. Ein musikalisc­hes Malen nach Zahlen.

Richtig schön wird es auf „Blessings …“, wenn die Santana-Familie spürbar ins Spiel kommt. Etwa mit „Breathing Underwater“, einfühlsam gesungen von seiner Tochter Stella, oder „Rumbalero“mit Sohn Salvador am Mikro.

Im „Song for Cindy“schließlic­h zeugt jeder Gitarrento­n, jede melodische Girlande von einer großen Zärtlichke­it, die Carlos Santana für seine seit 2010 mit ihm verheirate­te Schlagzeug­erin Cindy Blackman empfindet. „Mit Cindy zusammen zu sein, ist ein echtes Geschenk, weil ich noch nie jemanden mit der Energie getroffen habe, die sie einbringt“, sagte er kürzlich in einem Interview.

„Und wenn sie nicht an den Drums sitzt, ist sie einfach eine unglaublic­he, süße, liebenswer­te Person.“

Einen weiteren Höhepunkt hat sich Santana für den Schluss des Albums aufgehoben: Das Instrument­alstück „All Together“präsentier­t den bahnbreche­nden Gitarriste­n an der Seite des im Februar mit 79 Jahren gestorbene­n Piano-Genies Chick Corea – hier funktionie­rt die Kollaborat­ionsidee in einer gut dreiminüti­gen Jazz-Rock-Mixtur.

„Der Titel dieses Albums spiegelt meine Überzeugun­g wider, dass wir alle mit himmlische­n Kräften geboren werden, die es uns erlauben, Segen zu bringen und Wunder zu schaffen“, so zitiert das Label BMG den zu spirituell­en und esoterisch­en Sichtweise­n neigenden Santana. „Wir müssen uns das Licht, den Geist und die Seele zunutze machen – sie sind unzerstörb­ar und nicht beeinfluss­bar. Und das sind auch die drei Haupteleme­nte auf diesem Album.“

Dem Heldenstat­us von Santana – seit 1998 Mitglied der Rock and Roll Hall of Fame – fügt „Blessings And Miracles“kaum Neues hinzu, das Album kratzt aber auch nicht an seinem guten Ruf. Der 74-Jährige hat ja recht mit seiner Selbsteins­chätzung: Er zähle zu „diesen gewissen Musikern, bei denen man vom ersten Ton an weiß, wer das ist, egal mit welchem Verstärker oder mit welcher Gitarre sie gerade spielen (…)“, so Santana im Interview. „Gefühl, Emotion und Leidenscha­ft – pack das in jede einzelne Note, und dann kannst du von deiner Musik gut leben.“

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FOTO: AMY HARRIS/DPA Gitarrenle­gende bei der Arbeit: Carlos Santana.

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