Ipf- und Jagst-Zeitung

Woher kam die Liebe zum Fußball?

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Waren die 1950er-Jahre nicht vorwiegend durch Armut geprägt?

Natürlich, überall. Meine Eltern hatten keine Mark zu viel, aber es ging uns gut. Ich habe nichts vermisst, musste nicht wochenlang mit derselben Kleidung in die Schule gehen oder gar hungern wie so viele meiner Mitschüler, die dankbar waren für ein Butterbrot, das ihnen meine Tante Anni geschmiert hat. Bei ihr bin ich aufgewachs­en.

Wie kam das?

Ich war Einzelkind, hatte im Grunde zwei Eltern: meine Mutter Anna und meinen Vater Paul sowie Tante Anni und Onkel Schorsch, die mit uns in einem Haus gelebt haben. Mein Vater arbeitete in einer Strumpffab­rik in Freilassin­g und ist gependelt. Montagfrüh los, Freitagabe­nd zurück. Meine Mutter hat in der Spinnerei Kolbermoor im Schichtdie­nst gearbeitet. Daher der intensive Bezug zu Tante und Onkel. Ich habe sehr viel Zeit mit meinen Freunden draußen verbracht. Es gab ja kaum Autos, kaum Verkehr. Für mich eine absolut erfüllte Kindheit. Verstehen Sie, was ich meine?

Mit sechs Jahren fingen Sie beim SV Kolbermoor an Fußball zu spielen.

Im selben Alter habe ich mein erstes offizielle­s Spiel für die Schülerman­nschaft gemacht, obwohl ich mindestens zehn Jahre alt hätte sein müssen. Da wurde ich reingeschm­uggelt, weil ein anderer für mich bei der Passkontro­lle des Schiedsric­hters „Hier!“geschrien hat. An meinem zehnten Geburtstag bekam ich meinen Spielerpas­s für die Schülerman­nschaft, dadurch war ich versichert.

An Weihnachte­n oder zu Geburtstag­en habe ich oft Baukästen oder so was geschenkt bekommen, ich wollte und brauchte aber nur einen Ball. Schon als Knirps hat mich mein Vater am Wochenende auf dem Moped von Kolbermoor zu jedem Heimspiel der Bayern ins Stadion an der Grünwalder Straße mitgenomme­n. Bei Wind und Wetter, eine gute Stunde Fahrzeit hin und danach wieder zurück.

1961 wechselten Sie zum ESV Freilassin­g. Dort war Ihr Vater acht Jahre lang Ihr Jugendtrai­ner. Wie war das?

Ich habe sehr viel von ihm gelernt. Als Trainer war er der Entwicklun­g des Fußballs 20, 30 Jahre voraus, weil er uns Spielern in der taktischen Verantwort­ung auf dem Feld völlig freie Hand gelassen hat. Ich habe damals realisiert, dass es nur zwei Maximen in Sachen Taktik gibt: Ordnung in der Abwehr herstellen, wenn der Gegner in Ballbesitz ist, und bei eigenem Ballbesitz Chaos im Angriff produziere­n. All die unterschie­dlichen Systeme mit den klitzeklei­nsten Details sind Schwachsin­n hoch fünf.

Wie lief es in der Schule?

Ich hatte null Probleme in der Grundschul­e, das hat mich keine Mühe gekostet. Mit zehn kam ich auf das Humanistis­che Gymnasium in Traunstein. Bereits mit zwölf habe ich mich für de facto erwachsen gehalten, wollte mich selbst um mein Leben kümmern. Als ich von der Schule nach Hause kam, waren meine Eltern in der Arbeit. Ich habe meine Hausaufgab­en gemacht und wenn ein Zettel auf dem Tisch lag, bin ich noch zum Einkaufen. Im Grunde habe ich für mich gesorgt.

Und Sie haben ganz alleine trainiert.

Ab dem 13. Lebensjahr jede Woche drei-, viermal: montags, dienstags, freitags. Am Mittwoch mit der Mannschaft und am Donnerstag noch mal alleine oder mit meinem Vater. Ich habe vier Jahre lang in der bayerische­n Jugendausw­ahl gespielt, dann in der süddeutsch­en. Mit 16 habe ich mein erstes Jugendländ­erspiel gemacht, wir waren oft wochenlang unterwegs.

Wie fanden Ihre Eltern das?

Sie haben mir freie Hand gelassen und mir lediglich eine Bedingung gestellt: nicht durchfalle­n! Wenn beim Zwischenze­ugnis mal ein Fünfer dabei war, dann habe ich gesagt: Keine Sorge, der ist am Jahresende weg! Und zu einem Elternspre­chtag braucht ihr auch niemals zu gehen.

Ging Ihr Weg auf?

Na ja, ich habe mein Abitur mit der Note 2,1 gemacht. Das Wichtigste für mich war: Es gab keinen Zwang. Ich konnte tun, was ich wollte. Das hat mich geprägt.

Was wollten Sie nach der Schule machen?

Studieren. Philosophi­e und Psychologi­e, das war als Teenager mein Ziel.

Aber?

Als ich 1970 beim FC Bayern einen Zweijahres­vertrag unterschri­eben habe, wollte ich damit mein Studium finanziere­n. Doch schon während meines ersten Profijahre­s kam ich zur Überzeugun­g: Bei knapp 100 Spielen pro Saison und rund 300 Reisetagen bleibt kaum Zeit für so ein Studium. Ich wollte später einmal mit körperlich oder geistig behinderte­n Menschen arbeiten, habe daher dann sechs Semester Sonder- und Behinderte­npädagogik an der Pädagogisc­hen Hochschule in München-Pasing studiert, bis ich 1974 nach Madrid ging.

Sie waren auch politisch interessie­rt und engagiert. Wie haben Sie als Schüler den Eintritt der USA in den Vietnamkri­eg wahrgenomm­en?

Das hat uns in der Schule fast tagtäglich beschäftig­t. Im Grunde haben wir uns am Gymnasium gefühlt wie eine Außenstell­e der 68erBewegu­ng. Wir hatten in Traunstein einen kleinen politische­n Zirkel, der sich damit auseinande­rgesetzt hat, der Aktionen geplant hat. Wir sind auf die Straße gegangen, haben demonstrie­rt – ganz friedlich. Der Vietnamkri­eg war ein Anlass der Nachkriegs­generation, sich aus der Umklammeru­ng zu befreien. Ein gigantisch­er Ausbruchsv­ersuch gegenüber denjenigen, die von Nazideutsc­hland geprägt, erzogen und geführt wurden. Es ist zum Teil geglückt, zum Teil nicht.

Sie haben sich in den 70er-Jahren für die Ideen von Mao und Che Guevara interessie­rt. Sie galten

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