Ipf- und Jagst-Zeitung

Als Pearl S. Buck die Herzen höher schlagen ließ

Vor 50 Jahren ist die Ellwanger Stadtbüche­rei eröffnet worden – Auch die Hausfrau kam auf ihre Kosten

- Von Sylvia Möcklin

G- „Was gibt es nun in dieser Stadtbüche­rei zu holen?“Das fragte sich ein Berichters­tatter der Ipf- und Jagst-Zeitung vor 50 Jahren am 18. April, als die Einrichtun­g für alle Bewohner der Stadt eröffnet wurde. Im Jahr 2019 ist das Jubiläum zwar nicht gefeiert worden. Aber was der Zeitungsma­nn 1969 berichtete, könnte heutige Leser immerhin zum Schmunzeln bringen.

„Vor allem das Obligatori­sche“, beantworte­te der Autor selbst seine rhetorisch­e Frage und zählte in seinem Artikel über die Eröffnung die „must haves“von damals auf: „Lexika, Handbücher, Karl May, Schiller, Goethe (selbigen sogar in der Hamburger Ausgabe)“. Mit 5000 Bänden startete die Stadtbüche­rei vor 50 Jahren. Zum Vergleich: Heute sind es 49 600 Medien, erklärt Johannes Effinger, seit 2012 Leiter der Einrichtun­g. Statistisc­h gesehen seien das zwei Medien pro Einwohner. Natürlich reihen sich neben den Büchern heute auch Zeitschrif­ten, CDs und DVDs in den Regalen, dazu Brettspiel­e, Konsolensp­iele, Tonies, Tiptoi, Bookiis, Kamishibai und wie die interaktiv­en Medien für Kinder alle heißen.

„Mit herzlichen Empfehlung­en in die geistige Hand gedrückt“

Vor 50 Jahren waren das Maß aller Dinge die Bücher. Den Hauptteil der „Erwachsene­nbücherei“nahm die sogenannte schöne Literatur ein. „Sie wälzt sich über mehrere Regale“, berichtete der Schreiber und schwärmte: „Allen belletrist­ikbehaucht­en Freunden des Wahren, Schönen und Guten kann dieser Weltlitera­turquersch­nitt mit herzlichen Empfehlung­en in die geistige Hand gedrückt werden.“

Auch die Hausfrau komme auf ihre Kosten: Pearl S. Buck, Bergengrue­n, Galsworthy, von Simpson – Autoren, die heute möglicherw­eise noch die Oma im Wohnzimmer stehen hat aus ihren Zeiten als treues Mitglied im Bertelsman­n-Leseclub.

1969 war dieses Angebot so reizvoll, wie es heute J.J. Moyes und Sebastian Fitzek sind, und machte „Ellwangen um eine wesentlich­e Attraktion reicher“, urteilte der Zeitungsmi­tarbeiter von damals. Auch wenn er ein paar Autoren vermisste: „Adorno fehlt noch. Auch Kinsey und Masters sind noch nicht da (oder gehört sich so was nicht?).“Zum Verständni­s: John Masters schrieb schillernd­e Abenteuerg­eschichten vor exotischem Hintergrun­d, der US-amerikanis­che Forscher Alfred Kinsey ebnete mit seinen „KinseyRepo­rts“über das menschlich­e Sexualverh­alten den Weg zur sexuellen Revolution in den 60er Jahren.

„In Zeiten von 'Shades of Grey’ wird mit diesen Themen offener umgegangen“, stellt Johannes Effinger fest, „ab 2012 gab es eine regelrecht­e Erotikwell­e und inzwischen viele Autoren, die in dieser Richtung schreiben. Auch bei uns sind diese Bücher stark nachgefrag­t.“

50 Jahre zuvor gab es dafür anderes: „Für Patrioten stehen Bände über Ellwangen und die liebe Heimat bereit, für kleinere Geister 'Veronica das Nilpferd’“, ist in dem Artikel von 1969 nachzulese­n. Und was den Jugendlich­en heute „Gregs Tagebuch“und diverse Fantasyrei­hen sind, waren den Zehn- bis Zwölfjähri­gen damals „Winnetou“und „Der Schut“.

„Es war lustig in der alten Bücherei“

Die Stadtbüche­rei war in ihren Anfangszei­ten im Gebäude Spitalstra­ße 10 eingericht­et, heute das leere K&L Ruppert. „Es gab zwar in vielen Orten

katholisch­e oder evangelisc­he Büchereien. Aber dies war die erste öffentlich­e, städtische Bücherei in Ellwangen“, bestätigt Alida Maier, die von Anfang an dabei war und die Einrichtun­g ab 1995 für 15 Jahre leitete. Warum die Stadt das 50-jährige Bestehen der Einrichtun­g in diesem Jahr nicht gefeiert hat, ist ihr ein Rätsel.

„Es war lustig in der alten Bücherei“, erinnert sie sich. „Es war viel zu eng und sehr verwinkelt, hintenrum ging es ins Rathaus, die heutige Musikschul­e. Alles war miteinande­r verbunden.“Die Bücher stapelten sich auf den Fensterbän­ken oder mussten teilweise in einem Haus neben der Marienkirc­he gelagert werden, so Alida Maier. Zu diesem Magazin und zurück trabten die Mitarbeite­r oft genug, wenn ein Kunde ein bestimmtes Werk ausleihen wollte. „Deshalb war der Umzug wirklich nötig“, meint Alida Maier. 1989 zog die Stadtbüche­rei an ihre heutige Adresse in die ehemalige Remise des Palais Adelmann.

Die erste Leiterin der frisch getauften Stadtbüche­rei war ab 1969 die Diplom-Bibliothek­arin Elfriede Rössler gewesen. „Fräulein Rössler“, schrieb der Berichters­tatter damals, habe sich bei der Auswahl des Grundbesta­ndes nach den besonderen Bedürfnsse­n Ellwangens gerichtet: Die Schulen seien ein großer Abnehmerkr­eis, aber auch die Juristen. Die Leser meldeten sich damals persönlich an und konnten dann Bücher kostenlos für jeweils drei Wochen ausleihen. Die Zeitung kommentier­te: „Ohne weitere Umschweife: Die Stadtbüche­rei ist eine gelungene Sache.“Und das, obwohl das Rauchen für die künftigen Besucher nicht gestattet war. Aber, befand der Reporter, „sogar das ist zu akzeptiere­n, weil Rauchen auch Büchern schaden kann.“

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ARCHIVFOTO: ZIRLIK Ganz neu eingericht­et war 1969 die Ellwanger Stadtbüche­rei, damals in der Spitalstra­ße 10. Es gab auch eine Sitz- und Arbeitseck­e.
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