Gelben Rüben und Gespräche
Am 23. März ist zum 500. Mal „Orgelmusik zur Marktzeit“– Bezirkskantor Haller erzählt
- Wäre es ein Theaterstück, man würde von einem Erfolgsstück reden. Ein Dauerbrenner ist sie auf jeden Fall, wenn auch nicht am Broadway, wenn auch ein stiller. Am Samstag, 23. März, um 10 Uhr findet die 500. „Orgelmusik zur Marktzeit“statt. Unser Kulturredakteur Ansgar König hat sich mit Bezirkskantor Thomas Haller unterhalten. Samstag, zehn Uhr, draußen herrscht reges Markttreiben, drinnen konzentrierte Stille. Bis, ja bis Oliver Buchstab, angehender Arzt aus Hamburg, aber in Aalen geboren und aufgewachsen, virtuos und gekonnt in die Tasten der Stadtkirchenorgel greift und die Musik von Marcel Dupré erklingen lässt. Von der „Kraft der Orgel“hat Kirchenmusikdirektor Thomas Haller in der Anmoderation gesprochen. Buchstab, leidenschaftlicher Organist, lässt sie spüren, die Kraft. Wir erleben die 499. „Orgelmusik zur Marktzeit“, manche sprechen der Einfachheit halber von „Marktmusik“.
Herr Haller, wann fand zum ersten Mal eine „Orgelmusik zur Marktzeit“statt?
Das war am ersten Advent 1996. Und sie ist mit gut 50 Besuchern stark gestartet. Schnell war zu sehen: Offensichtlich geht das. Wir hatten hier die besten Voraussetzungen: den Markt direkt vor der Kirchentür. Die Idee war, zwanglos, bekömmlich, niederschwellig und „barrierefrei“, wenn ich das so sagen darf, Orgelmusik zu bieten, eine halbe Stunde lang, auch für die Zuhörer, die gelbe Rüben oder einen Salat im Einkaufskorb dabei haben.
Sozusagen als Kontrapunkt zum geschäftigen Wochenmarkt?
Ja, das bunte Markttreiben bekommt hier einen schönen Ruhepol.
Wer kommt am Samstagvormittag in die Stadtkirche?
Der Zuschauerkreis hat sich ziemlich schnell stabilisiert, ein verlässliches, konfessionsübergreifendes Publikum, das einfach Samstagfrüh kommt und die Musik, aber auch die Kontinuität genießt. Weil es einfach in den Lebensrhythmus vieler passt.
Was für Orgelmusik ist zu hören? Und wer sitzt an der Orgel?
Klar ist manchmal Raum für besondere Veranstaltungen, zum 100. Jubiläum haben wir bei Ravels „Bolero“Orgelmusik mit Tanz verbunden, aber der Platz für Experimente ist anderswo. Die Marktmusik ist Musik, die die Würde des Sakralraums nicht verletzt. Die Bewerbungen kommen mittlerweile von überall her, sogar aus Spanien. Geld kann man hier nicht verdienen, aber man bekommt ein freundliches Publikum und eine tolle Orgel. Wir arbeiten eng mit den Musikhochschulen in Freiburg oder Stuttgart zusammen, so kommen Orgelstudenten aus Russland, Korea oder Japan zu uns. Die Nachfrage übersteigt die Möglichkeiten um das Doppelte.
„Die Idee war, zwanglos, bekömmlich, niederschwellig und ,barrierefrei’, wenn ich das so sagen darf, Orgelmusik zu bieten.“ Thomas Haller „Die neue Stadtkirchenorgel wäre ohne die ,Orgelmusik zur Marktzeit’ nicht denkbar.“ Thomas Haller.
Gab's auch ein paar schräge Marktmusiken?
Ich erinnere mich an das Bachfest 2000. Da hatten wir Musik des 21. Bach-Sohns P.D.Q. Bach angekündigt. Den gibt’s natürlich in Wirklichkeit nicht, den hat sich ein amerikanischer Musikwissenschaftler ausgedacht.
Und Ausfälle?
Auch das. Einmal war eine kasachische Griechin angekündigt, aber sie hatte sich einen Virus eingefangen und rief mich Samstag um 8.30 Uhr früh an, um abzusagen. Eineinhalb Stunden vor dem Konzert. Ich bin zwar eingesprungen, aber Zeit, auch noch einen Programmzettel zu schreiben, hatte ich da nicht mehr. Und manchmal ist es auch vorgekommen, dass ortsfremde Organisten nachts die Treppen runtergehagelt sind und am Samstag mit Schmerzen an der Orgel saßen. Und beim Wechsel der Orgel vor elf Jahren mussten wir ein halbes Jahr Pause machen: keine Orgel – keine Orgelmusik.
Zeitgleich wird ja das Zehnjährige der Rieger-Orgel gefeiert. Die beiden Jubiläen passen ja bestens zusammen.
Ja. Die neue Stadtkirchenorgel wäre ohne die „Orgelmusik zur Marktzeit“nicht denkbar. Der Förderkreis – wir nennen ihn gern „Orgelverein“–, der acht Jahre fleißig Gelder für die neue Orgel gesammelt hat, rekrutiert sich zu großen Teilen aus den regelmäßigen Marktmusikbesuchern. Man sieht: Die Marktmusik ist auch eine funktionierende Kommunikationszentrale.
Und wie lange gibt’s die Orgelmusik noch?
(Lacht) Diese Reihe werde ich in meiner Dienstzeit nicht mehr stoppen können, und das will ich ja auch gar nicht. Sie hat Eigendynamik, ist ein wesentlicher Bestandteil von Aalen und hat, wie der Wochenmarkt, überregionale Strahlkraft. Ich kenne keinen anderen Ort, wo so etwas so kontinuierlich und regelmäßig stattfindet.