Ipf- und Jagst-Zeitung

„Informatio­n ist schnell. Doch Wahrheit braucht Zeit“

Das Ellwanger Wirtschaft­sgespräch befasst sich mit der neuen Macht der Lüge

- Von Petra Rapp-Neumann

- Warum sind FakeNews so erfolgreic­h? Graben sie dem seriösen Journalism­us das Wasser ab? Was ist Wahrheit, und wie kann man der neuen Macht der Lüge begegnen? Diese spannenden Fragen hat das Ellwanger Wirtschaft­sgespräch gestellt. Referenten waren der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen und Joy Neugebauer, Geschäftsf­ührerin der „Ipfund Jagst-Zeitung“/ „Aalener Nachrichte­n.“

Wie Vorurteile und Desinforma­tion Realität werden, stellte Bernhard Pörksen vor. So hatte der bekannte US-amerikanis­che Radiomoder­ator Rush Limbaugh im August 2017, als Hurrikan Irma Florida bedrohte, behauptet, so schlimm werde es nicht kommen. Sturmwarnu­ngen würden zur Förderung der Klimawande­lAgenda verbreitet und sollten den Verkauf von Mineralwas­ser und Batterien ankurbeln. Irma aber richtete immense Schäden an und tötete allein in den USA 39 Menschen. „Wetter-Fake-News sind riskant“, erklärte Pörksen. „Die Realität hat die Interpreta­tion der Realität ruiniert.“

Was aber ist Realität? ScienceFic­tion-Kultautor Philip K. Dick habe diese Frage, so Pörksen, schlüssig beantworte­t: „Realität ist das, was nicht weggeht, auch wenn man nicht daran glaubt.“Ketzerisch fragte Pörksen, ob es denn zutreffe, dass wir im sogenannte­n postfaktis­chen Zeitalter leben. Das setze nämlich voraus, es habe ein Zeitalter der Fakten gegeben. Daran aber habe er große Zweifel. Außerdem sei es eine Resignatio­nsvokabel, denn was könne man gegen ein Zeitalter schon ausrichten?

Utopie einer redaktione­llen Gesellscha­ft

Angesichts einer sich rasant verändernd­en Informatio­nswirklich­keit nannte Pörksen sechs Thesen: 1. Neue Geschwindi­gkeit. Er zitierte den Netzphilos­ophen Peter Glaser: „Informatio­n ist schnell. Doch Wahrheit braucht Zeit.“2. Verunsiche­rung durch Scheininfo­rmationen und gedankenlo­s hochgelade­ne Videos. 3. Anreize durch Echtzeitqu­oten, die den Hype noch vergrößern. 4. Neue Möglichkei­ten der Manipulati­on, weil jeder sich nach Belieben zuschalten könne. 5. Neue Verbreitun­gsmanipula­tion, etwa durch digitale Kettenbrie­fe. 6. Neue Sichtbarke­it. Dazu schilderte Pörksen den für jedermann sichtbaren Schwächean­fall von Präsidents­chaftskand­idatin Hillary Clinton am Rande der Trauerfeie­r an Ground Zero. Als Gegenbeisp­iel nannte er Franklin Roosevelt. Der US-Präsident litt an Kinderlähm­ung und war weitgehend an den Rollstuhl gefesselt. Fotos davon gebe es jedoch kaum. Heutzutage sei es undenkbar, eine Behinderun­g wie diese über Jahrzehnte zu verschleie­rn.

Wie kämpft man gegen Desinforma­tion und erhält zugleich das Ideal der Mündigkeit? Durch Bildung, lautet Pörksens Antwort. Der Medienfach­mann plädiert für die redaktione­lle Gesellscha­ft, einer wahrheitso­rientierte­n Gemeinscha­ft der Transparen­z und der Skepsis. „Wir müssen medienmünd­ig werden, weil wir medienunmü­ndig geworden sind.“Sonst könnten soziale Medien wie Facebook Weltgeschi­chte schreiben, wie sie das durch ihr Eingreifen in den US-Wahlkampf bereits getan hätten. Ein unabhängig­er Plattform-Rat könne im Übrigen regulieren­d wirken und Informatio­nspolitik von Internetpl­attformen transparen­t machen.

Joy Neugebauer sprach den Interessen­konflikt lokaler Tageszeitu­ngen zwischen Lesermarkt und Anzeigenma­rkt an. Die Bereiche Redaktion und Anzeigen seien strikt getrennt. Bei Androhung eines Anzeigenbo­ykotts, wenn eine bestimmte Meinung nicht im Blatt veröffentl­icht werde, sei man hart: „Wir bleiben uns treu und lassen uns nicht beeinfluss­en. Freie Berichters­tattung ist uns wichtig, und wir sind stolz darauf.“

Bei komplexen Themen müssten Redakteure in die Tiefe gehen, globale Ereignisse auf die Region herunterbr­echen, Quellen auf ihre Seriosität prüfen. Die „Ipf- und Jagst-Zeitung“nehme ihren öffentlich­en Auftrag sehr ernst. Als Bildungspr­ojekte mit der jungen Generation nannte sie den Zeitungstr­eff und Lesepatens­chaften: „Sie vermitteln unsere Werte in einer Demokratie.“

In seinem Grußwort hatte Oberbürger­meister Karl Hilsenbek zuvor an Geschäftsl­eute, Hoteliers und Gastronome­n appelliert, sich in die Jahrhunder­tchance der Landesgart­enschau schon jetzt aktiv einzubring­en und zu positionie­ren: „Die Ampel steht ab jetzt auf Grün.“

Das Wirtschaft­sgespräch fand in der VR-Bank in Verbindung mit dem 40. Tübinger Universitä­tstag statt.

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FOTO: THOMAS SIEDLER Um die neue Macht der Lüge ist es beim Ellwanger Wirtschaft­sgespräch in der VR-Bank gegangen. Referenten waren der Tübinger Medienwiss­enschaftle­r Bernhard Pörksen und Joy Neugebauer, Geschäftsf­ührerin der „Ipfund Jagst-Zeitung“/ „Aalener Nachrichte­n.“

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