„Information ist schnell. Doch Wahrheit braucht Zeit“
Das Ellwanger Wirtschaftsgespräch befasst sich mit der neuen Macht der Lüge
- Warum sind FakeNews so erfolgreich? Graben sie dem seriösen Journalismus das Wasser ab? Was ist Wahrheit, und wie kann man der neuen Macht der Lüge begegnen? Diese spannenden Fragen hat das Ellwanger Wirtschaftsgespräch gestellt. Referenten waren der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Joy Neugebauer, Geschäftsführerin der „Ipfund Jagst-Zeitung“/ „Aalener Nachrichten.“
Wie Vorurteile und Desinformation Realität werden, stellte Bernhard Pörksen vor. So hatte der bekannte US-amerikanische Radiomoderator Rush Limbaugh im August 2017, als Hurrikan Irma Florida bedrohte, behauptet, so schlimm werde es nicht kommen. Sturmwarnungen würden zur Förderung der KlimawandelAgenda verbreitet und sollten den Verkauf von Mineralwasser und Batterien ankurbeln. Irma aber richtete immense Schäden an und tötete allein in den USA 39 Menschen. „Wetter-Fake-News sind riskant“, erklärte Pörksen. „Die Realität hat die Interpretation der Realität ruiniert.“
Was aber ist Realität? ScienceFiction-Kultautor Philip K. Dick habe diese Frage, so Pörksen, schlüssig beantwortet: „Realität ist das, was nicht weggeht, auch wenn man nicht daran glaubt.“Ketzerisch fragte Pörksen, ob es denn zutreffe, dass wir im sogenannten postfaktischen Zeitalter leben. Das setze nämlich voraus, es habe ein Zeitalter der Fakten gegeben. Daran aber habe er große Zweifel. Außerdem sei es eine Resignationsvokabel, denn was könne man gegen ein Zeitalter schon ausrichten?
Utopie einer redaktionellen Gesellschaft
Angesichts einer sich rasant verändernden Informationswirklichkeit nannte Pörksen sechs Thesen: 1. Neue Geschwindigkeit. Er zitierte den Netzphilosophen Peter Glaser: „Information ist schnell. Doch Wahrheit braucht Zeit.“2. Verunsicherung durch Scheininformationen und gedankenlos hochgeladene Videos. 3. Anreize durch Echtzeitquoten, die den Hype noch vergrößern. 4. Neue Möglichkeiten der Manipulation, weil jeder sich nach Belieben zuschalten könne. 5. Neue Verbreitungsmanipulation, etwa durch digitale Kettenbriefe. 6. Neue Sichtbarkeit. Dazu schilderte Pörksen den für jedermann sichtbaren Schwächeanfall von Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton am Rande der Trauerfeier an Ground Zero. Als Gegenbeispiel nannte er Franklin Roosevelt. Der US-Präsident litt an Kinderlähmung und war weitgehend an den Rollstuhl gefesselt. Fotos davon gebe es jedoch kaum. Heutzutage sei es undenkbar, eine Behinderung wie diese über Jahrzehnte zu verschleiern.
Wie kämpft man gegen Desinformation und erhält zugleich das Ideal der Mündigkeit? Durch Bildung, lautet Pörksens Antwort. Der Medienfachmann plädiert für die redaktionelle Gesellschaft, einer wahrheitsorientierten Gemeinschaft der Transparenz und der Skepsis. „Wir müssen medienmündig werden, weil wir medienunmündig geworden sind.“Sonst könnten soziale Medien wie Facebook Weltgeschichte schreiben, wie sie das durch ihr Eingreifen in den US-Wahlkampf bereits getan hätten. Ein unabhängiger Plattform-Rat könne im Übrigen regulierend wirken und Informationspolitik von Internetplattformen transparent machen.
Joy Neugebauer sprach den Interessenkonflikt lokaler Tageszeitungen zwischen Lesermarkt und Anzeigenmarkt an. Die Bereiche Redaktion und Anzeigen seien strikt getrennt. Bei Androhung eines Anzeigenboykotts, wenn eine bestimmte Meinung nicht im Blatt veröffentlicht werde, sei man hart: „Wir bleiben uns treu und lassen uns nicht beeinflussen. Freie Berichterstattung ist uns wichtig, und wir sind stolz darauf.“
Bei komplexen Themen müssten Redakteure in die Tiefe gehen, globale Ereignisse auf die Region herunterbrechen, Quellen auf ihre Seriosität prüfen. Die „Ipf- und Jagst-Zeitung“nehme ihren öffentlichen Auftrag sehr ernst. Als Bildungsprojekte mit der jungen Generation nannte sie den Zeitungstreff und Lesepatenschaften: „Sie vermitteln unsere Werte in einer Demokratie.“
In seinem Grußwort hatte Oberbürgermeister Karl Hilsenbek zuvor an Geschäftsleute, Hoteliers und Gastronomen appelliert, sich in die Jahrhundertchance der Landesgartenschau schon jetzt aktiv einzubringen und zu positionieren: „Die Ampel steht ab jetzt auf Grün.“
Das Wirtschaftsgespräch fand in der VR-Bank in Verbindung mit dem 40. Tübinger Universitätstag statt.