„Ein fester Ablauf im Alltag bringt Gelassenheit“
Psychologin Christine le Coutre gibt Paaren Tipps für besseres Streiten
Die offene Zahnpastatube, Unpünktlichkeit oder das stehengelassene Geschirr: Oft genügen schon Kleinigkeiten und ein Partner explodiert. Schuld daran ist oft aber etwas ganz anderes – nämlich Überlastung in der Arbeit, mit der Herkunftsfamilie oder den Kindern. Die Münchner Paarberaterin Christine le Coutre verrät im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst epd ihre Tipps für besseres Streiten.
Frau le Coutre, die liegengelassenen Socken, der nicht runtergebrachte Müll, das Handy im Bett: Warum sorgen diese vermeintlichen Kleinigkeiten oft für Streit?
Sie sind klassische Auslöser. Dinge, die mich schnell nerven, wenn ich sowieso am Anschlag bin. Stress und Gelassenheit sind nämlich Gegenpole: Im Stress kann ich den Anforderungen nicht genug Ressourcen entgegensetzen, habe das Gefühl, alles wird mir zu viel. Gelassen kann ich sein, wenn ich genug habe, auf das ich zurückgreifen kann und weiß, ich schaffe das. In einer Partnerschaft ist es ähnlich: Wenn ich sicher bin, wir haben genug Positives, sind die Kleinigkeiten nicht mehr so schlimm. Habe ich aber zu viel anderen Stress oder keine Zeit für Gemeinsames, ärgern mich die Socken unheimlich.
Hier kommt die 5:1-Regel ins Spiel
Genau. Demnach braucht es fünf positive Interaktionen, um eine negative zu kompensieren. Also wir müssen uns fünfmal positiv begegnen, um einen Streit wegzustecken.
Wie können diese positiven Inter- aktionen aussehen?
Das können größere Dinge sein oder kleine. Kino, Spaziergang, ein Post-it am Kühlschrank: „Hab dich lieb“, eine Blume, ein Kuss. Sein Lieblingsessen kochen, wenn der andere besonders belastet ist. Zusammen Fotos aus dem Urlaub anschauen. Manchmal hat man nur noch die Brille auf, alles ist schlecht bei uns. Dann wieder bewusst wahrnehmen: Was haben wir positiv miteinander?
Oft liegt die Ursache für Streit gar nicht in der Beziehung, sondern wird durch Stress außerhalb hineingetragen. Was sind die klassischen Ursachen?
Häufig ist es Überlastung bei der Arbeit. Enger Wohnraum ist ein Stressfaktor, wenn ich keine Möglichkeit habe, mich zurückzuziehen. Oder finanzieller Stress: Leute arbeiten viel und können sich trotzdem nichts mehr leisten. Sorgen um älter werdende Eltern. Kinder sind ein Stressfaktor: So schön es ist mit ihnen, es ist viel Arbeit und anstrengend. Umbruchsituationen generell können Stress verursachen: Kinder kommen oder ziehen aus, Arbeitsplatzverlust oder -wechsel, Krankheit oder Tod von Angehörigen.
Mindestens eins davon trifft wahrscheinlich auf jeden zu. Was also tun, wie entkommt man als Paar der Stressfalle?
Stress gilt als einer der Hauptauslöser für Beziehungskrisen und Scheidungen. Daher ist es wichtig, dem etwas entgegenzusetzen. Man muss schauen: Das sind unsere Belastungen, aber das sind auch unsere Ressourcen, unsere gemeinsamen und meine eigenen Bewältigungsmöglichkeiten. Also einerseits Selbstfürsorge und andererseits mit dem Partner reden, reden, reden. Manchmal sind Routinen und Rituale hilfreich, um Stress zu vermeiden. Wenn ich mir jeden Tag neu überlegen muss, was wir kochen, kann das anstrengend sein. Ein fester Ablauf bringt Gelassenheit. Die wichtigste Prävention ist aber das Reden. Damit ich weiß, was den anderen beschäftigt und um schöne Momente zu schaffen.
Das heißt: Wenn abends endlich beide zu Hause sind, die Kinder im Bett, der Haushalt gemacht – bloß nicht stumm auf die Couch?
Genau. Den Fernseher aus und sich erzählen: „Wie war dein Tag?“oder einen Abend pro Woche füreinander reservieren. Paare mit Kindern nehmen dann gern einen Babysitter und gehen schön Essen.
Doch damit ist es nicht getan. Dann brauche ich auch noch meine eigene Stresskompensation.
Das ist wie eine Jonglage mit Bällen: Ich brauche Zeit für mich, ob das Sport ist oder Lesen. Ich brauche Zeit für meine Partnerschaft. Für meinen Beruf. Für die Familie und Zeit mit den Kindern. Das ist schwer, diese Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten. Manchmal hilft, wenn ich mir klarmache: Jetzt ist gerade eine Durststrecke für meine Bedürfnisse, ich suche mir da das Wichtigste raus und mache zumindest das. Oder ich muss überlegen, wie wichtig ist mir mein Beruf, wie wichtig meine Kinder, und da ein gutes Verhältnis finden. Und auch dafür braucht es Gespräche mit dem Partner.
Miteinander reden ist also der Schlüssel. Aber wie spreche ich mit meinem Partner am besten über Probleme? Wie streite ich richtig?
Erst einmal ist wichtig zuzuhören und dem Partner zu vermitteln: „Ich verstehe, was du sagst.“Dann immer nur ein Thema besprechen. „immer“und „nie“sind zwei verbotene Worte. Also nicht: „Du bist immer so unordentlich“– das ist ein Angriff, und der andere kann nur in die Verteidigung oder den Gegenangriff gehen. Besser: „Gestern hast du deine Socken liegen lassen und mich hat das da besonders geärgert, weil wir doch Besuch bekommen haben“– dann hat der Partner eine Chance sich zu entschuldigen. Außerdem muss ich sagen, was ich möchte und nicht, was ich nicht möchte. Also nicht: „Bitte lass nicht deine Socken liegen“, sondern: „Bitte wirf deine Socken in die Wäsche“.
Und wann spreche ich die Socken an?
Manchmal kann man Dinge mit sich selbst ausmachen, umdeuten oder in einen positiven Kontext setzen: „Der Partner fühlt sich bei mir so wohl, hier muss er sich nicht zusammenreißen.“Das kann ein Vertrauensbeweis sein. Oder ich schaffe es eine Weile, über die Kleinigkeiten hinwegzuschauen. Doch wenn ich merke, es nervt mich zu sehr, muss ich es ansprechen. Aber am besten nicht, während man den Ärger hat, sondern in Ruhe. Und an einem konkreten Beispiel.
Was tun, wenn man zu zweit nicht weiterkommt?
Dann sollte man sich Hilfe holen. In einer Beratung hilft oft schon der Blick von außen. Wir können die äußeren Belastungen nicht wegnehmen, aber wir schauen, was das Paar braucht und wo seine Ressourcen sind: Wo kann es die Erwartungen runterschrauben? Wo können sich die Partner gegenseitig helfen, was brauchen sie vom anderen?