Die Lesekrise
Nur wenige Bücher bringen die von den Verlagen erhofften Umsätze ein
„Der Büchermarkt wird noch ein wenig in der Delle verharren. Aber sich dann wieder erholen.“ Petra Hermanns
- Über 70 000 neue Bücher kommen jedes Jahr auf den Markt. Doch nur wenige bringen die von den Verlagen erhofften Umsätze ein. Der Buchmarkt, der mit der Frankfurter Buchmesse wieder ins Blickfeld rückt, steckt in der Krise. Aber: Experten geben die Bücher und das Lesen nicht auf.
Es gibt immer wieder Autoren, die die Hoffnungen der Verlage erfüllen oder übertreffen. Peter Wohlleben, Förster in der Eifel, schreibt darüber, wie Bäume miteinander sprechen, berichtet von „Baumeltern“und „Baumkindern“, vom geheimen Leben in der Natur. Er hat den Bäumen, dem Wald, eine Seele gegeben. Seit Monaten dominieren seine Sachbücher die Bestsellerlisten Deutschlands. Mehr als 150 000-mal hat sich „Das geheime Leben der Bäume“bereits verkauft. Wohlleben ist ein Starautor – einer von wenigen in Deutschland.
Die Zahl neuer Titel ist gesunken
Laut Börsenverein des deutschen Buchhandels haben im vergangenen Jahr mehr als 30 Millionen Menschen Bücher gekauft. Im Vorjahr waren es noch über zwei Millionen mehr. Auch bei den E-Books reduzierte sich die Zahl der Käufer, auch wenn die Branche bei den Umsätzen leicht zulegte. Doch im Vergleich zu den vergangenen fünf Jahren schwächten sich die Zuwächse ab (siehe Kasten). Die Zahl neuer Titel ist gesunken. 72 000 Sachbücher, Romane, Krimis, Thriller, Kinder- und Jugendbücher in Erstauflage kamen auf den Markt – fast fünf Prozent weniger als 2015.
Von Untergangsstimmung will Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, aber nichts hören. „Der Buchmarkt ist der wichtigste Kulturmarkt Deutschlands“, sagt der Branchenexperte. Ein Zeichen für die Lesebegeisterung in Deutschland ist für Zimmermann die hohe Anzahl von Büchern, die jedes Jahr neu auf den Markt kommen. „Die Verlage produzieren keine Bücher, von denen sie nicht glauben, dass man sie verkaufen kann.“Klar ist aber: Der Markt ist im Umbruch. Das Leseverhalten hat sich gravierend verändert. Jugendliche und junge Erwachsene lesen heutzutage viel weniger, nehmen sich ohnehin weniger Zeit für Bücher. Gelesen wird über EReader, auf dem Tablet, in Häppchen. Langes Lesen, die Konzentration auf ein Buch, fällt vielen schwer. Multitasking ist stattdessen gefragt. Spotify, Youtube, Snapchat – die unterschiedlichsten Medien werden parallel genutzt.
Eine Entwicklung, die die Literaturagentin Rebekka Göpfert ernst nimmt, aber nicht beunruhigt. Neue Formate und die Digitalisierung hätten das Buch „vom Thron“gestoßen, sagt sie. „Ich bin fest davon überzeugt, dass es in zehn bis 15 Jahren immer noch gedruckte Bücher gibt.“Seit rund 30 Jahren ist sie in der Branche. Einbrüche bei den Buchumsätzen, Veränderungen am Markt hat sie mehr als einmal erlebt. Sie rechnet damit, dass der Buchmarkt schrumpfen wird. Und vermutet auch, dass einige Verlage am Markt nicht überleben werden. „Wir haben eine Überproduktion an Büchern und die wird gedrosselt werden“, sagt sie. Zugleich wird es etliche Verlagsneugründungen geben, vermutet sie. Mit speziellen inhaltlichen Ausrichtungen werden diese Verlage ganz bestimmte Zielgruppen in den Blick nehmen. Eltern beispielsweise. Oder Senioren, Hobbygärtner, Menschen, die sich für Homöopathie interessieren, für Tiere, Musik.
„Der Buchmarkt ist keineswegs am Ende“, sagt auch Petra Hermanns. Ihr Geschäft ist es, Autoren und Schriftsteller zu unterstützen, um mit ihren Werken auf den Buchmarkt zu kommen. Die Umsatzeinbrüche führt Hermanns vor allem auf die gesunkenen Buchpreise zurück. Tatsächlich sind laut Börsenverein vor allem die Preise für Romane gesunken. Auch Kinder– und Jugendbücher wurden billiger. Was darf ein Buch kosten? Wie viel ist eine Geschichte wert? Rund zehn Euro für ein Taschenbuch halten viele bereits für zu teuer. Schließlich sind für das gleiche Geld mehrere E-Books zu haben. Und überhaupt: Bei Netflix kann man für wenige Euro Hunderte Filme anschauen. „Mit den Flatrates und preiswerten Buchangeboten im Selbstverlag verändert sich zusätzlich das Preisgefühl für ein Produkt“, sagt Hermanns. Sie spricht von einem tiefen Einschnitt in den Buchmarkt.
Längst müssen sich auch die Autoren den Veränderungen im Leseverhalten stellen. Die Vermarktung der Schriftsteller bekommt einen immer größeren Stellenwert. Wer ein Buch veröffentlicht und sich von der Konkurrenz abheben will, braucht eine Geschichte zu seiner Person, muss auf vielen Kanälen präsent sein. Die klassische Lesereise reicht längst nicht mehr aus. Der Autor erscheint in Talkshows, braucht ein FacebookProfil, muss auf den Social-MediaKanälen unterwegs sein. „Ein Rezept für einen Bestseller gibt es aber nicht“, sagt Hermanns. Manchmal gehe es schlicht darum, mit dem passenden Thema zur richtigen Zeit zu erscheinen. Das hat Wohlleben mit seinen Waldbüchern geschafft. Oder auch Giulia Enders mit ihrem Bestseller „Darm mit Charme“.
Was die Zukunft angeht, ist Hermanns optimistisch. „Der Büchermarkt wird noch ein wenig in der Delle verharren. Aber sich dann wieder erholen.“Sie hofft, dass der Buchmarkt nicht das gleiche Schicksal erfährt wie die Musikbranche. Längst kaufen viele ihre Lieblingstitel nicht mehr auf CD, sondern online. Zwar gibt es bei den Schallplatten leichte Zuwächse, aber der Musikverkauf findet im Internet statt und hat die Preise deutlich gedrückt. „Wir brauchen gute Bücher“, sagt Hermanns. „Der Buchmarkt sollte selbstbewusst sein und davon ausgehen, dass die Menschen Bücher lesen und lieben.“