Auf der Suche nach einem Bürgermeister
Viele Nachwuchskräfte schrecken vor dem Amt zurück – so wie in Sigmaringendorf
- Lediglich zwei Bewerber gehen bei der Bürgermeisterwahl in Sigmaringendorf ins Rennen; bis kurz vor Schluss sah es sogar so aus, als bekäme Philip Schwaiger aus dem Kreis Reutlingen am 19. März überhaupt keine Konkurrenz. Doch in die Erleichterung darüber, dass praktisch in letzter Minute immerhin noch eine zweite Bewerbung eingegangen ist, mischt sich bei Gemeinderäten und Beobachtern auch Unbehagen. Wie kann es sein, dass sich nicht mehr potenzielle Kandidaten für eine so attraktive Kommune wie Sigmaringendorf interessieren? Ratlosigkeit.
Klaus Abberger kennt den Politikbetrieb. Der „Bürgermeistermacher“mit Büro in Tübingen unterstützt Kandidaten im Wahlkampf, schärft ihr Profil, gestaltet ihre Kampagnen, berät und koordiniert. Häufig sind es aber gar nicht die Anwärter selbst, die auf ihn zukommen. Immer mehr Kommunen haben ihre liebe Not damit, geeignete Bürgermeisterkandidaten zu finden. „Bei mir werden sie regelrecht bestellt“, sagt Abberger. Weil er über die Landesgrenzen Baden-Württembergs hinaus vernetzt sei, behelfe er sich „zum Teil auch mit Importkandidaten aus anderen Bundesländern“. Auch konkret aus Sigmaringendorf sei eine entsprechende Anfrage gekommen, „die musste ich aber aus Zeitgründen ablehnen“. Dass dort nur zwei Bewerbungen eingegangen sind, überrascht Abberger nicht. „Das ist symptomatisch“, sagt er. So gebe es inzwischen für potenzielle Anwärter immer mehr Hinderungsgründe. „Nicht nur die Öffentlichkeit wird zunehmend kritischer, teilweise werden auch die Gemeinderäte immer streitlustiger.“
Unter Beobachtung
Im Kreis Sigmaringen ist die Lage noch einigermaßen komfortabel; bei den Bürgermeisterwahlen der jüngeren Vergangenheit, bei denen die Stelle wie in Sigaringendorf neu besetzt wurde, gab es bis zu acht Kandidaten. Einer der Jüngeren im Amt ist Maik Lehn, Bürgermeister in Stetten am kalten Markt. „Die zeitliche Inanspruchnahme ist schon groß“, sagt der 40-Jährige. „Das Wochenende ist durch Termine vorgegeben und verplant.“Als Bürgermeister stehe man zudem selbst und letztlich die ganze Familie unter ständiger Beobachtung. „Das scheuen viele.“Auch sei grenzwertig, was manchmal über einen geredet wird. „Sie können sieben Jahre gute Arbeit gemacht haben“, sagt Lehn. „Wenn im achten Jahr ein Thema wie etwa die Windenergie auf die Tagesordnung kommt, kann das schnell vergessen sein.“Dass es Verwaltungsfachleute gibt, die sich das nicht antun wollen, kann Lehn verstehen. Er selbst wollte es unbedingt: „Mir ist der Beruf wichtig. Ich habe viel Gestaltungsspielraum und kann mit Menschen zusammenarbeiten.“Doch der Preis ist hoch.
Ähnlich schätzt auch Paul Witt die Lage ein. Der Rektor der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl beobachtet, „dass gerade unsere Absolventen nach ein paar Jahren schon so Karriere gemacht haben, dass sie fast das Gehalt erreichen, das ein Bürgermeister verdient“. Im Gegensatz zu früher seien auch die Lebenspartner berufstätig. „Der Reiz, für etwas mehr Geld mehr zu arbeiten, nimmt da natürlich ab.“
Stefan Bubeck, Bürgermeister von Mengen, bezeichnet das Gehalt als „zweitrangig. Niemand von uns sieht die Probleme des Berufs dort.“Er bestätigt, was auch Lehn sagt: „Viele wollen es sich und der Familie nicht antun, immer in der Öffentlichkeit zu stehen und dann auch noch manchmal zum Sündenbock gemacht zu werden.“Er sagt, dass regelmäßige 60- bis 70-Stunden-Wochen „nicht gerade familienfreundlich sind“.
Die Jüngeren „sprechen zu Recht von einer Work-Life-Balance“, sagt denn auch Witt. „Die Bevölkerung muss da umdenken.“Einem „Nachwuchsbürgermeister“sei heute kaum noch zu vermitteln, dass sein Erscheinen bei etlichen Versammlungen vorausgesetzt wird. Klaus Abberger hat dazu eine klare Haltung: „Die Erwartungen müssen etwas gedämpft werden.“Anders sei dem Kandidatenmangel kaum zu begegnen. „Ich bekomme zum Teil ein Jahr vor der Wahl Anrufe, weil sich die Gemeinden wenigstens einen Hochkaräter sichern wollen.“Mit der Attraktivität einer Gemeinde habe das in der Regel gar nichts zu tun, das sagt auch Stefan Bubeck. „Auch von den vielleicht großen Fußstapfen des Vorgängers darf sich ein Kandidat nicht abschrecken lassen. Jeder setzt ja im Amt auch seine eigenen Akzente“, sagt der Mengener Schultes. In Sigmaringendorf wurde spekuliert, ob die äußerst lange und erfolgreiche Amtszeit des amtierenden Bürgermeisters Alois Henne für manchen ein Hinderungsgrund gewesen sein könnte.
Klaus Abberger hält hingegen etwas anderes für denkbar: Womöglich habe der professionelle Auftritt von Philip Schwaiger andere Interessenten abgeschreckt. „Wenn es bereits einen guten, wählbaren und ebenbürtigen Kandidaten in einer Kommune gibt, rate ich selbst auch gegebenenfalls zum Verzicht“, sagt er. Der Wahlkampf koste viel Geld. Geeignete Kandidaten wollten in so einem Fall gar nicht riskieren, am Ende Zweiter zu werden. „Früher hat vielleicht ein Prospekt gereicht. Heute brauchen die Bewerber ordentliche Texte, gute Fotos, eine Homepage und müssen die sozialen Medien bedienen. Das läppert sich.“
Für Professor Paul Witt ist jede Bürgermeisterwahl ein Einzelfall. „Mal gibt es acht Kandidaten in schlecht situierten Gemeinden, mal nur einen in einer gut situierten Gemeinde.“Mit Silvia Fink aus Heilbronn und Philip Schwaiger gibt es in Sigmaringendorf nun immerhin zwei Bewerber. Glaubt man den Experten, hätte es auch schlimmer kommen können.