Unangefochten
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist wieder zur Bundesvorsitzenden ihrer Partei gewählt worden. Mit einem Ergebnis, das keinen Zweifel lässt, wer das Sagen hat.
- Die CDU hat auf ihrem Bundesparteitag in Essen ihre Vorsitzende mit einem Ergebnis von 89,5 Prozent bestätigt. Das sind gut sieben Prozent weniger als vor zwei Jahren. Zuvor hatte Angela Merkel die 1001 Delegierten auf die Bundestagswahl 2017 eingeschworen. Die Wahl werde „schwierig wie nie zuvor eine Wahl seit der Deutschen Einheit“.
Merkel wandte sich ungewohnt emotional an die Mitglieder. „Ihr müsst mir helfen“, bat sie. Die Parteivorsitzende und Bundeskanzlerin hatte zuvor in ihrer Rede eine härtere Gangart in der Flüchtlingspolitik angekündigt und dem Parteitag versichert, dass sie alles tun werde, dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederholen wird. „Ich habe euch auch einiges zugemutet.“Auf Antrag des baden-württembergischen CDU-Chefs Thomas Strobl war der Entwurf zur Flüchtlingspolitik verschärft worden. Als „Initialzündung, die Bewegung in die Diskussion gebracht“habe, lobte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer das Papier.
Merkel betonte in Essen, nicht alle Flüchtlinge, die gekommen seien, könnten bleiben. Man müsse diesen Menschen sagen, dass sie unser Land verlassen müssen. „Nur so werden wir die Kraft haben, den anderen zu helfen“, erklärte Merkel. Besonderen Beifall erhielt sie für ihre Äußerung: „Die Burka sollte verboten sein.“
Merkel warnte davor, Europa zu schwächen. Europa bleibe „eine Frage von Krieg und Frieden“. Populisten sagte Merkel den Kampf an. „Wer das Volk ist, bestimmt das ganze Volk und nicht ein paar wenige, und mögen sie auch öffentlich noch so laut sein.“Sowohl Merkel als auch Strobl sowie Fraktionschef Wolfgang Reinhart appellierten an die Geschlossenheit von CDU und CSU. „Wir haben immer noch vermocht, das Beste für unser Land zu tun, wenn es darauf ankommt“, erklärte Merkel mit Nachdruck.
In der Aussprache nach ihrer 80minütigen Rede forderten einige Delegierte die CDU auf, das Profil, insbesondere in der Flüchtlingsfrage wieder zu schärfen.
Als Parteivize wurden Thomas Strobl, Volker Bouffier, Julia Klöckner, Armin Laschet und Ursula von der Leyen wiedergewählt.
- Der Coup war erfolgreich: Von einem „neuen Geist“ist die Rede. „Wie wenn jemand das Fenster aufmacht und frische Luft reinkommt“, sagt Gabi Messarosch, Delegierte aus Ravensburg, zu dem Antrag aus Baden-Württemberg, die „Ausreisepflicht für Ausländer mit neuer Konsequenz“durchzusetzen. Der baden-württembergische Landeschef Thomas Strobl hat das Positionspapier ausgearbeitet und ist damit zumindest für die Delegierten aus dem Südwesten zum eigentlichen Helden des Parteitags in Essen geworden. „Die CDU zeigt damit, dass sie nicht nur zur Rechtsetzung in der Lage ist, sondern auch dazu, Recht umzusetzen“, sagt der CDUFraktionschef im Stuttgarter Landtag, Wolfgang Reinhart. Waldemar Westermayer, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Ravensburg meint: „Wir müssen die Zügel in der Flüchtlingspolitik anziehen. Die Probleme von Afrika lassen sich nicht in Europa lösen.“Kurzum: Strobls Papier hat ein Potenzial, das Kanzlerin Angela Merkel kaum ignorieren kann. Und es steht für eine Positionierung in der Flüchtlingsfrage, die von der Basis offensichtlich seit Langem ersehnt wurde. Dass der Weg zu Abschiebungen in der Praxis ein weiter ist und nur ein Bruchteil der Flüchtlinge betroffen wäre, zählt in einer Situation, in der es auch um Gemütslagen geht, erst einmal nicht.
An der Basis grummelt es
Gefühle und Ängste: Auch Angela Merkel, der als Naturwissenschaftlerin subjektive Empfindungen vielleicht eher fremd sind, hat verstanden, dass die nächste Bundestagswahl rein auf der Sachebene nicht zu gewinnen sein wird. Ebenso wenig wie die Herzen ihrer Parteibasis, an der es trotz der in der CDU üblichen Parteidisziplin ungewöhnlich deutlich grummelt. In ihrer Rede versucht sie deshalb einen Schwenk, der auch als Eingeständnis einer gewissen Ignoranz gegenüber der Basis und den Bürgern verstanden werden könnte. „Viele Menschen haben das Empfinden, dass die Welt aus den Fugen gerät“, sagt sie im Hinblick auf das Jahr 2016. Dabei sei bereits 2015 ein Jahr mit einer schier unfassbaren Dichte an Ereignissen gewesen. Und dann sagt sie einen Satz, der die Seele der Partei streicheln soll. „Die Situation im Spätsommer 2015 kann, darf und soll sich nicht wiederholen.“Das sei ihr erklärtes politisches Ziel. Erster verhaltener Beifall aus dem Plenum in der Essener Messehalle.
Die Flüchtlingspolitik – dieses Thema köchelt und brodelt während des Parteitages. Auch Merkel selbst kommt in ihrer weit über einstündigen Rede immer wieder darauf zurück. Wenn es um das angespannte Verhältnis zur Schwesterpartei CSU geht – „wir haben immer an einem Strang gezogen, wenn es darauf ankam, zum Beispiel in der Flüchtlingskrise“. Oder um den Rechtsstaat: „Recht und Gesetz gelten für alle Deutschen und für alle, die neu hinzugekommen sind. Ausnahmslos“, sagt Merkel. Auch dafür erntet sie zarten Beifall. Als sie wenige Sekunden später ihre Sätze verstärkt mit der Aussage: Vollverschleierung sei in Deutschland nicht angebracht und „deshalb sollte sie verboten sein“, applaudieren die Delegierten laut und lang anhaltend. In diesen Momenten dringt eine Sehnsucht nach einer CDU durch, die einst als konservative Partei der Mitte keinen Kuschelkurs mit Ausländern kannte. Die, ähnlich wie die Schwesterpartei in Bayern, keinen Konkurrenten rechts von der Mitte neben sich dulden wollte. Die AfD wird zwar nicht mit Namen genannt, doch die Furcht, dass sie der CDU Wähler abspenstig machen könnte, ist greifbar.
Merkel versucht es mit einer Offensive: „Wer das Volk ist, bestimmen bei uns nach wie vor alle, nicht ein paar wenige, mögen sie auch noch so laut sein.“Auch da jubelt das Publikum. Und nachdem die Kanzlerin mit dem Satz geendet hat, die CDU sei „die treibende Kraft“in Deutschland und das werde auch so bleiben, kennt die Begeisterung der Delegierten keine Grenzen mehr. Elf Minuten Beifall am Stück und im Stehen, Merkel scheint ihre Partei überzeugt zu haben.
89,5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Nur 89,5 Prozent der Stimmen, könnte man sagen. Eine kleine Enttäuschung für diejenigen, die in Merkels erneuter Kandidatur nicht nur eine alternativlose Notlösung sehen. „Angela Merkel ist die einzig Richtige“, sagt Maria Blaseg aus Waldburg bei Ravensburg. Sie halte ihre Meinung aufrecht, auch wenn sie Gegenwind bekomme.
Vor zwei Jahren noch 96,7 Prozent
Wie die meisten anderen Parteimitglieder aus dem Südwesten hat sie mit einem Wahlergebnis von 92 bis 95 Prozent für die CDU-Chefin gerechnet – das habe auch ein kleines Wahltoto auf dem Weg zum Parteitag ergeben. Vor zwei Jahren in Köln war Merkel noch mit 96,7 Prozent im Amt bestätigt worden. Doch seither ist viel passiert – und Merkel hat sich mit ihrem „Wir schaffen das“in der Flüchtlingspolitik nicht nur Freunde gemacht.
„Die Menschen bei mir im Wahlkreis sind überzeugt, dass es so in der Flüchtlingspolitik nicht weitergehen kann“, sagt beispielsweise Thomas Bareiß, Vorsitzender des CDU-Bezirksverbands Württemberg-Hohenzollern und Abgeordneter in Berlin. Zwei Erstaufnahmeeinrichtungen hat er in seinem Wahlkreis. „Die Menschen wollen einerseits helfen, signalisieren aber andererseits ganz klar, dass es zu viel ist.“Bareiß, der seit Längerem für eine konservativere Linie in der CDU eintritt, hat als junger Politiker im Jahr 2000 in Essen erlebt, wie Merkel erstmals zur CDU-Vorsitzenden gewählt wurde. Nach dem Spendenskandal ein Zeichen des doppelten Aufbruchs in der CDU – erstmals stand eine Frau an der Spitze der Partei, dazu noch eine Frau mit Ostbiografie.
Auch heute sehnen sich manche wieder mehr oder weniger deutlich nach einem Neuanfang. Auf der anderen Seite steht bei vielen der Wunsch nach einer Stabilität, die Merkel wie keine andere in der CDU verkörpert. Eine Zerreißprobe für die CDU.
Die nächste Monate werden hart – das weiß die Bundesvorsitzende, das wissen die Delegierten, das wissen letztlich alle in der Partei. Drei Landtage – im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen werden im ersten Halbjahr 2017 neu gewählt, allesamt Vorboten für die Bundestagswahl im nächsten September. Für die CDU geht es dabei um Richtungsfragen: Soll sich die Partei nach rechts abschotten oder öffnen, um der AfD den Zulauf abzugraben? Wie Rot-Rot-Grün verhindern – und gleichzeitig doch ein paar Signale der Offenheit an die Grünen senden? Wie die Parteibasis nicht weiter überfordern mit einem Kurs, der einige ziemlich ratlos dastehen ließ im vergangenen Jahr?
Nicht weniger Zumutungen
Die CDU-Vorsitzende versucht sich in Annäherung an die Basis. Sie appelliert an die Delegierten, ihre erneute Kandidatur zu unterstützen. „Ihr müsst mir helfen“, sagte sie in einer für Merkel außergewöhnlichen Diktion. Gleichzeitig macht sie aber klar, dass sie an ihrem Kurs der Offenheit festhalten will, auch wenn sie der Partei dadurch im vergangenen Jahr „einiges zugemutet habe“und sie nicht versprechen könne, dass die Zumutungen weniger würden.
Nach einem Kurswechsel, gerade in der Flüchtlingspolitik, den so viele erhofft haben, hört sich das nicht an. Dennoch sehen viele darin ein Signal, dass Merkel die Nöte ihrer Parteimitglieder verstanden hat und auf die Ängste der Menschen künftig stärker eingehen will.