Erdogan soll per Dekret regieren können
Viel mehr Loyalität zu Staatschef Recep Tayyip Erdogan geht kaum: Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim arbeitet mit Hochdruck daran, sein eigenes Amt abzuschaffen. Allerdings ist er schon seit seinem Antritt im Mai nur pro forma Regierungschef, die wahre Macht liegt bei Erdogan.
Nun soll die Verfassung der Realität angepasst werden, wie Yildirim immer wieder sagt – womit er nebenbei recht freimütig einräumt, dass die jetzigen Verhältnisse nicht so ganz verfassungskonform sind.
Die geplante Verfassungsreform könnte Erdogan mit Befugnissen ausstatten, die ihm der Notstand derzeit nur temporär verleiht. Den Ausnahmezustand verhängte Erdogan in Folge des gescheiterten Putsches vom 15. Juli, für den er die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen verantwortlich macht. Die Verfassung erlaubt dem Präsidenten seitdem, per Dekret zu regieren. Das Parlament, in dem seine AKP eine klare Mehrheit hat, muss die Erlasse nur nachträglich abnicken. Klagen vor dem Verfassungsgericht gegen die Dekrete sind nicht zulässig. Zehntausende Staatsbedienstete wurden ohne Gerichtsverfahren per Dekret entlassen. Kritische Medien, Vereine und Organisationen wurden geschlossen, darunter längst nicht nur Gülen-nahe.
Staats- und Regierungschef
Auf einem Flug nach Moskau verkündete Yildirim Details der geplanten Verfassungsreform, mit der die AKP das von Erdogan angestrebte Präsidialsystem einführen möchte. Der Präsident soll nicht nur Staats-, sondern auch Regierungschef sein. Das Parlament soll weiterhin Gesetzesentwürfe einbringen. Der Präsident soll aber – wie unter dem noch mindestens bis Mitte Januar geltenden Notstand – Dekrete mit Gesetzeskraft erlassen können. Von ihm soll auch der Entwurf für den Haushalt kommen.
Das Gebot, überparteilich zu sein, soll ebenfalls gekippt werden. Ohnehin hat es Erdogan nie davon abgehalten, Wahlkampf für die AKP zu betreiben. Die Zeitung „Hürriyet“berichtete, dem Präsidenten solle sogar die Übernahme des Parteivorsitzes erlaubt sein. Erdogan könnte dann Chef des Staates, der Regierung und der von ihm mitgegründeten AKP werden.
Nach Yildirims für heute geplanter Rückkehr aus Russland will die AKP den Entwurf für die Verfassungsänderung ins Parlament einbringen. Dass die beiden größten Oppositionsparteien CHP und HDP Sturm gegen das Präsidialsystem laufen, weil sie eine „Diktatur“befürchten, kann die Reform kaum verhindern. Der Chef der kleinsten Oppositionspartei MHP, Devlet Bahceli, unterstützt das Vorhaben. Womöglich spekuliert er auf einen der geplanten Vizepräsidenten-Posten. Gemeinsam mit der MHP hätte die AKP genügend Stimmen im Parlament, um ein Referendum in die Wege zu leiten.
Allerdings rechnet Yildirim mit einem Referendum erst zu Beginn des Sommers 2017. Bis dahin könnte sich die ökonomische Lage in der Türkei deutlich verschlechtern. Die Wirtschaft droht in eine schwere Krise zu schlittern. Die Lira befindet sich im freien Fall. (dpa)