Wer ist das Volk?
Armutsflüchtlinge. Altnazis. Und charmante Lügner
Die Leute drängen lemmingartig auf die Straße. Alles brüllt „Wir“. Doch wer ist mit „Das Volk“wirklich gemeint? Sind es die Einwohner, die Eingeborenen oder einfach wir alle? Was die Leute eint, ist die Angst. Die einen fürchten den Terror, die nächsten den Islam, wieder andere haben Angst vor dem Krieg oder den USA. Und nicht wenige vor Wladimir Putin. Oder aber vor den Kondensstreifen am Himmel. Ein heilloses Durcheinander. Schland of Confusion eben. So heißt das neueste Stück der schwer auszusprechenden Truppe Warpopmixtakefakebookvolxfuckpeaceoff!, die ein ausuferndes Spektakel über die Bühnenbretter knattern lässt. Auf jedes Sommermärchen folgt ein deutscher Herbst, ein Friedenswinter, ein Völkerfrühling. Doch davon geht die Welt nicht unter. Angst is Your Enemy, lautet die Botschaft. Anger is Energy. (Muffathalle, 8.5.)
1979 sah es noch so aus, als wenn der Spuk tatsächlich bald zu Ende sein könnte – aus demografischen Gründen. Tina Lanik lehrt uns mit ihrer Wiederaufnahme der galligen Thomas-Bernhard-Komödie Vor dem Ruhestand eines Besseren. Darin lernen wir Rudolf Höllerer und seine beiden Schwestern kennen, die wie jedes Jahr den 7. Oktober und damit den Geburtstag von SSFührer Heinrich Himmler feiern wollen. Höllerer jubiliert innerlich. Eben erst ist es ihm gelungen, den Bau einer Chemiefabrik vor der eigenen Haustür zu verhindern. Mit Vera ist er in einer inzestuösen Notgemeinschaft verbunden. Die andere Schwester Clara ist an den Rollstuhl und an ihr Familiengefängnis gefesselt und damit als „Sozialistin“wirkungslos. Damals war die Hoffnung groß, man könnte eine Generation von Mittätern quasi noch kurz „vor dem Ruhestand“juristisch belangen. Doch wie sich gezeigt hat, bleibt die Alt-und Neo-Nazi-Mischung, die Umweltschutzmotive mit Antikapitalismus, Antikapitalismus, Amerikafeindlichkeit und Herrenmenschentum zusammenbringt, noch weiterhin toxisch. Gundi Ellert stürzt sich in das anstrengende Vergnügen: Nach über 20 Jahren kehrt sie für das Stück erstmalig ans Resi zurück. (Residenztheater, ab 30.4.)
Ebenfalls schon mit einigem zeitlichen Vorlauf, im Jahr 1995, erschien der Roman América von T.C. Boyle, der ein dystopisches Beklemmungsszenario entwarf, das heute erschreckend real wirkt. Er erzählt vom unbedingten Überlebenswillen einer Gruppe von Mexikanern, die sich über die Grenze in eine streng abgeschottete reiche Vorstadtsiedlung von Los Angeles durchgekämpft haben. Nun treffen Welten aufeinander, und die Verteilungskämpfe wüten erbittert. Stefan Pucher bringt den hochbrisanten, schwer zeitgenössisch wirkenden Stoff auf die Theaterbühne. (Kammerspiele, ab 12.5.)
Noch ein wenig früher entstanden und stark von den eingeschränkten Möglichkeiten der Armut im Nachkriegsengland geprägt ist Benjamin Brittens Kammeroper The Rape of Lucretia. Sie greift auf den antiken Stoff von der keuschen Schönheit zurück, die ihren Vergewaltigern Widerstand leistet und damit für die Erlösung des römischen Volks von der etruskischen Tyrannei steht. Britten wollte das Stück auch als Kommentar auf den Machtmissbrauch und den Moralverlust im zweiten Weltkrieg verstanden wissen. (Reaktorhalle, ab 6.5.)
Vom Einbruch nur schwer zu erklärender Brutalität in die vermeintlich friedlich geordnete Alltagswelt erzählt das Stones-Stück von Tom Lycos und Stefo Nantsou, die dabei auf einen realen Fall zurückgreifen. Zwei Jugendliche schmeißen Steine von einer Brücke und töten dabei einen Autofahrer. Zwei Polizisten müssen die Ermittlungen aufnehmen. (Pasinger Fabrik, 7.5.)
Ebenfalls im Rahmen des „Invasion“Gastspiels, bei dem Studierende der Theaterwissenschaften Zuflucht und Ersatz für ihre derzeit geschlossene „Studiobühne“im ITW-Gebäude suchen, kommt die Faust-In-Commedia-Produktion nach Pasing. Darin arbeiten die Studenten unter der Regie von Jaime Villalba Sanchez die unterschiedlichsten Ausprägungen des Weltliteraturstoffs vom rastlosen Wissenschaftler heraus. (Pasinger Fabrik, 29. und 30.4.). Für den Vergleich empfiehlt sich natürlich Martin Kusejs Faust-Inszenierung mit Bibiana Beglau in der Mephisto-Rolle. (Residenztheater, 12.5.)
Wer bei den Theaterwissenschaftlern bleiben möchte, kann sich dann noch intensiv auf das Norway.Today-Erfolgsstück einlassen. Darin wird bekanntlich erzählt, wie sich eine 20-Jährige über das Internet mit einem Gleichgesinnten zusammenschließt, um von einem Fjord-Felsen in den Tod zu springen. Zunächst sieht man – in russischer und deutscher Sprache – eine Inszenierung von Jurij Diez und Katrin Kazubko. (3./4.5.). Danach folgt ein Gastspiel des Kammertheaters Tscheljabinsk auf Russisch, eingerichtet von Regisseur Igor Bauersima. (Pasinger Fabrik, 6.5.)
In jeder Sprache würde das Ballettmärchen vom schelmischen kleinen Jungen funktionieren, der partout nicht erwachsen werden will. Peter Pan lässt sich mit Wendy und der Fee Glöckchen auf den Kampf mit den Piraten ein. Die Musik der Uraufführung stammt von Han Otten, choreografiert wurde das Auftragswerk des Staatstheaters am Gärtnerplatz von Emanuele Soavi. (Cuvilliéstheater, ab 3.5.)
An einen kongenialen Spielort zieht man mit der Tanz- und Musikperformance Tanz.Verwittert, die sich die Butoh-Tänzer Tanja Zgonc und Stefan Maria Marb ausgedacht haben. Sie verlegen ihr Spiel in die Räume der Glyptothek, wo an den ehrwürdigen Götterbildern schon seit langem der Zahn der Zeit nagt. (Glyptothek, 29.4.)
Ebenfalls zurück in die Historie geht es, wenn man sich mit der Stammtafelrunde an einen Tisch setzen möchte. Alisha Frei und Marie Pooth gehen mit ihrer Tod&Teufel TheaterTruppe auf eine performatives Ahnenforschungsprojekt. Wie im Traum kommt es dabei zu Begegnungen mit Ahnen und Uhrahnen. Familiengeschichten setzen sich neu zusammen. (Haus der Kleinen Künste, ab 11.5.)
Ähnlichen Fragen stellt sich das Zeiten II-Projekt von Angelika Krautzberger und Judith Huber. Auch sie erkunden mit jungen Münchner Schülern die bange Frage: Wie weit reichen die eigenen Erinnerungen? Ist das Mittelalter erst seit gestern vorbei? Und wann genau war eigentlich dieses berühmte „Es war einmal“? (Pathos, 6.5.)
Wer sich lieber ins Heitere flüchten möchte, dem kann man nur die Brettà-Porter-Produktion von Der Lügner nach Carlo Goldoni empfehlen. Darin kehrt ein junger, charmanter Mann, der „nie um eine geistreiche Erfindung verlegen ist“, in seine Heimatstadt Venedig zurück – und verschaut sich prompt in die schöne Rosaura. Die wird natürlich schon länger heftig umgarnt. Doch Lelio ist eben nicht auf den Kopf gefallen: Er eignet sich geschickt flunkernd aller Liebesbeweise an, mit der andere bereits Rosaura bezirzen wollten. Lange geht so etwas natürlich nicht gut. Und Heiterkeit stellt sich ein. (Forum 2, ab 29.4.)