In München

Menschen & Orte

Das DOK.fest besucht Herkules und Amy, Israel, Afghanista­n und Duisburg-Marxloh

- Gebhard Hölzl

Am 5. Mai ist es wieder so weit, der Vorhang hebt sich fürs 31. DOK.fest München. Bis zum 15. Mai stehen 151 Filme und zahlreiche Rahmenvera­nstaltunge­n auf dem Programm. In den Reihen DOK.internatio­nal, DOK.deutsch und DOK.horizonte gibt es jeweils wieder einen VIKTOR zu gewinnen, dotiert mit 10.000, 5.000 respektive 3.000 Euro. Zu den neun weiteren ausgelobte­n Preisen zählen der erstmals vergebene ARRI AMIRA (Kamera-)Award – Ernesto Pardo erhält ihn für Tempestad – sowie der kinokino Publikumsp­reis. Eröffnet wird die Filmschau mit einem Konzert im Deutschen Theater, zur 2007 restaurier­ten Fassung von Walter Ruttmanns Stummfilmk­lassiker Berlin – Symphonie einer Großstadt spielt das Münchner Kammerorch­ester Tobias PM Schneids Neukomposi­tion. 24 Stunden im Leben der pulsierend­en Spree-Metropole des Jahres 1927, verdichtet auf 65 Minuten. Ein brillant montiertes Zeitdokume­nt.

Eine Rhapsodie anderer Art ist Magadan – Stadt erbaut auf Knochen. Im äußersten Osten Sibiriens befindet sich dieser (Militär-)Hafen, der als Durchgangs­lager des gleichnami­gen Gulags entstand. Hier leben ehemalige Täter und Opfer noch Tür an Tür. Die Vergangenh­eit ist in der Gegenwart stets präsent. Menschen berichten von einem gnadenlose­n politische­n System, von Gewalt und Willkür – und wie man dennoch an einen Neubeginn glauben kann. Wie Danae Elon, Tochter des jüdischen Schriftste­llers und Systemkrit­ikers Amos Elon. Sie beschließt nach dem Tod des Vaters mit ihrer Familie in ihr Geburtslan­d zurückzuke­hren. Über drei Jahre dokumentie­rt sie in P.S. Jerusalem den Umzug von New York in die alte neue Heimat. Ein Film über Wurzelsuch­e, politische Realitäten und Frustratio­n, unter der besonders der französisc­he Ehemann der Filmemache­rin leidet. In den Bergen Afghanista­ns hat sich Louie Palu, ein kanadische­r Fotojourna­list, fünf Jahre lang aufgehalte­n, dort NATO-Truppen und einheimisc­he Soldaten bei deren gefährlich­en Einsätzen beobachtet. In schonungsl­osen Bildern hält er in Kandahar Journals menschlich­es Leid und die Absurdität des militärisc­hen Alltags fest. „Je mehr ich sehe“, notiert er, „desto weniger verstehe ich.“In die bewegte tschechisc­he Geschichte taucht Gottland ein. Fünf Autoren, fünf Sichtweise­n, fünf formal verschiede­ne Ansätze – das Ergebnis ist ein vielschich­tiges, unkonventi­onelles Mosaik, einfallsre­ich umgesetzt, stellenwei­se groß „besetzt“, etwa mit der Leinwanddi­va Lída Baarová, einst Geliebte von Joseph Goebbels.

Eine schillernd­e, zwiespälti­ge Persönlich­keit war die britische Sängerin Amy Winehouse. Wer den Oscar-prämierten Dokumentar­film Amy noch nicht gesehen hat, sollte dies unbedingt nachholen. „Ich denke nicht, dass ich berühmt werde. Ich glaube, ich könnte auch nicht damit umgehen“, wusste die im Alter von nur 27 Jahren verstorben­e Jazz- und Soulsänger­in bereits im Teenageral­ter. Aufwühlend zeichnet Asif Kapadia („Senna“) ihr wildes Leben nach, interessie­rt sich gleicherma­ßen für ihre Musik wie ihre Exzesse. Wie man diese überlebt – und zu welchem Preis –, führt einem Andreas Horvath vor Augen. In Helmut Berger, Actor nähert er sich dem einst „schönsten Mann der Welt“. Aufstieg und Fall liegen im Showbusine­ss nahe beieinande­r. Gestern JetSet, heute Sozialhilf­eempfänger. Was bleibt ist die Gier nach Mythos, Medien und Medikament­en Von Sex, Drugs und Rock’n’Roll – und seinen Auswüchsen – erzählt auch Albert Maysles im legendären „Frontberic­ht“Gimme Shelter. Die Rolling Stones hatten 1969 für ihr Konzert im Altamont Speedway – die Veranstalt­ung verstand sich als Westküsten-Gegenstück zu Woodstock – Hells Angels als Ordner engagiert, zum Eklat kam es, als einer von ihnen einen schwarzen Fan erstach. Die Zeit von love & peace war damit endgültig vorbei. Und noch ein Schwanenge­sang: David Bowie – Ziggy Stardust and the Spiders from Mars. D.A. Pennebaker, einer der Pioniere des direct cinema, hat 1973 jenes Konzert mitgefilmt, bei dem sich Bowie von seinem Alterego Ziggy Stardust verabschie­dete. Ein ewiger Moment des Glam Rock – und zugleich einer seiner traurigste­n. Zum Trost kann man sich I Am the Blues anschauen. Daniel Cross nimmt einen mit auf einen Trip durchs Mississipp­i-Delta, Blues-Urgestein wie Bobby Rush oder Barbara Lynn kommen zu Wort und geben Kostproben ihres ungebroche­nen Könnens ab. Open Air wird dieser Beitrag gezeigt – also: „shake your booty“.

„Aufhübsche­n“heißt es in Dügün – Hochzeit auf Türkisch. Nach DuisburgMa­rxloh geht’s, der schwarze Kohlestaub ist weißen Brautkleid­ern gewichen. Marcel Kolvenbach blickt hinter die Kulissen des brodelnden Hochzeits-Mekkas, während Volker Meyer-Dabisch sich für Herkules, bürgerlich Ahmed Özdemir, interessie­rt. „Als er jung war, konnte er 100 Kilo tragen“, berichtet der Sohn voller Stolz, der Papa ist Kohlehändl­er in Berlin Kreuzberg, auch hier werden Hochzeiten gefeiert und (Liebes)Probleme gewälzt. Realitätsn­ahe, (be-)greifbare deutsch-türkische Alltagswel­ten. Für (extreme) existenzie­lle Veränderun­gen und Umbrüche interessie­rt sich Andres Veiel, dem die Retrospekt­ive gewidmet ist. In Black Box BRD verfolgt er in parallelen Sequenzen Alfred Herrhausen, Pressespre­cher der Deutschen Bank, der 1989 bei einem RAF-Sprengstof­fattentat ermordet wurde, und den mutmaßlich­en RAF-Terroriste­n Holger Grams, der 1993 bei einem GSG-9-Einsatz erschossen wurde. Neben seinen fünf Dokumentat­ionen sind auch sein Brecht’scher Theaterfil­m Der Kick und der Spielfilm Wer wenn nicht wir nach Gerd Koenens „Vesper, Ensslin, Baader“zu sehen, im Rahmen einer Masterclas­s Montage gewähren der Filmemache­r und Editor Olaf Voigtlände­r Einblicke in die Arbeit an ihrem aktuellen Joseph-BeuysProje­kt.. ATELIER CITY DEUTSCHES THEATER FILMMUSEUM GASTEIG HFF

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It’s not only Rock’n’Roll – GIMME SHELTER
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Retrospekt­ive – ANDRES VEIEL

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