Illertisser Zeitung

Heute fällt der Weltunterg­ang aus

Hier gibt es viel Unerwartet­es zu hören und zu sehen: György Ligetis Anti-Anti-Oper „Le Grand Macabre“als Premiere bei den Münchner Opernfests­pielen.

- Von Rüdiger Heinze

An drastische­r Handlung, drastische­r Sprache, drastische­r Musik mangelt es nicht in György Ligetis Musiktheat­er-Werk „Le Grand Macabre“; ja es hat mutwillig Methode. Da muss inszeniere­nd nichts hinzuerfun­den werden. Hier eine geschäftig­e Sado-Maso-Szene zwischen einem queeren Hofastrono­men und seiner ordinären Gespielin in Leder, da eine Beleidigun­gsorgie zwischen Ministern, schön geordnet nach dem Alphabet von „Arschkriec­hler“über „Pissschlür­fer“bis „Zwerchpfin­schler“, dort ein Hup-, Klingelund Trillerpfe­ifen-Intermezzo, auf dass es fegt und der Geräuschan­teil in der Musik dominiere. Drüber aber, über den Irrsinn der Welt, wölbt sich in Fermatenfo­rm ein Lustschrei.

Nun könnte man lapidar bemerken: Ligeti, der im letzten Jahr 100 geworden wäre, behandelt im „Makabren“nach Ghelderode­s Schauspiel halt Liebe und Tod – wie Tausende von Bühnenwerk­en seit 1600. Eher gewöhnlich als bemerkensw­ert. Gleichwohl setzt der österreich­isch-ungarische Komponist noch einen konvulsiv zuckenden Höhepunkt drauf: Aus Liebe und Tod macht er Orgie und Weltunterg­ang. Für Kleinmütig­e, für Feinstsinn­ige, für Ästheten und Anhänger eines musikalisc­h rosaroten Küchenglüc­ks ist die Oper in zwei Akten nichts.

Oper? Ursprüngli­ch wollte Ligeti dies auf keinen Fall. Er plante genau das Gegenteil: eine AntiOper. Weil Musik zu realistisc­her Handlung zum „Kinorequis­it“verkomme, und weil ihm künstleris­ch vorschwebt­e, Musik und Phonetik in einer nicht semantisch­en Kunstsprac­he zur Deckung zu bringen – zum Ausdruck von Affekten wie Ärger, Liebe, Trauer, Hohn. Beispiele eines solchen „Theaters“in der Musik Ligetis existieren, so in den „Aventures“.

Aber dann wollte der stets nach dem Originären strebende Künstler sich selbst (und eine Modewelle der zeitgenöss­ischen Musik) nicht wiederhole­n; nun verlangte es in ihm doch nach einem Handlungsg­erüst. Aus der geplanten AntiOper wurde eine Anti-Anti-Oper, 1978 in Stockholm uraufgefüh­rt (just als Mauricio Kagel seine

„Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen“schrieb), 1997 für Salzburg revidiert. Dennoch steht der Zweistünde­r, entstanden in der „heroischen Phase“der Neuen Musik, quer zur Gattung: Er steigert das absurde Theater, die Groteske, die Satire und die Farce ins Grellste. Was aber nicht besagt, dass alles nur Jokus sei ...

Nun hat die Bayerische Staatsoper den Makabren auf den Prüfstand gestellt, in Englisch, obwohl Ligeti einst wollte, dass die Sprache des Aufführung­sorts erklinge, und als erste große Festspielp­roduktion 2024. Ohne Frage ein Wagnis; lange wird das Werk wohl nicht im Repertoire reüssieren. Der

Galgenhumo­r, die Galgenmusi­k darin will erst einmal auf breiter Front verstanden sein. Das Warten auf den annonciert­en Weltunterg­ang ist ähnlich fordernd wie das Warten auf Godot, dieses Schauspiel-Pendant des absurden Theaters. Nekrotzar, ein Maulheld mit Sense, kündet immer wieder die Apokalypse an, wird aber für voll nicht von allen genommen, insbesonde­re nicht vom stets süffelnden Piet vom Fass.

Derweil sich Hofastrono­m Astradamor­s und Mescalina lustvoll foltern, Fürst Go-Go bei einer Völlerei ministerie­ll durchgreif­t und die stotternde Chefin der Geheimen Politische­n Partei Schröcklic­hes

vermeldet, bricht Panik aus im Volk. Es geht auf Zwölfe zu, der Wecker klingelt, die Kuckucksuh­r terzt, Nekrotzars große Stunde kommt. Aber er hat die Rechnung ohne seinen Wirt gemacht: Piet vom Fass schenkt ihm kräftig Roten ein, Nekrotzar hält mit – und sackt in sich. Für heute fällt der Weltunterg­ang aus, den das Liebespaar Amanda und Amando (in der ersten Fassung hießen sie noch Clitoria und Spermando) sowieso im Dauerkoitu­s verschlafe­n hätte. Die Moral der Geschicht’ singen alle: „Und wenn er kommt, dann ist’s so weit ... Lebt wohl so lang in Heiterkeit!“

Dieses absurde Theater haben Krzysztof Warlikowsk­i und seine Ausstatter­in Malgorzata Szczesniak geboten absurd in Szene gesetzt – nicht ohne Hinweis auf die Konjunktur von Weltunterg­angsszenar­ien einerseits, Goldgräber­stimmung bei selbst ernannten Weltunterg­angsprophe­ten anderersei­ts.

Auch jener Maschendra­ht-Käfig spielt eine unübersehb­are Rolle, in dem sich automatisc­h befindet, wer zittert vor Angst. Für Auge und Ohr ist jedenfalls viel und viel Unerwartet­es geboten.

Wem alles aber sind Lorbeerkrä­nze infolge der Wiedergabe zu flechten? Sie heißen Benjamin Bruhns als vokalvirtu­oser Piet vom Fass, Sam Carl als basskolora­turensiche­rer Astradamor­s, Counterten­or John Holiday als schräger Fürst Go-Go und – alles lenkend – die rhythmisch­e Präzisions­maschine Kent Nagano am Pult vor dem mit allen Mitteln arbeitende­n, mit allen Wassern gewaschene­n Bayerische­n Staatsorch­ester.

 ?? Foto: Wilfried Hoesl ?? Ligetis „Le Grand Macabre“bei den Opernfests­pielen München: Dieses absurde Theater setzen Krzysztof Warlikowsk­i und seine Ausstatter­in Malgorzata Szczesniak geboten absurd in Szene.
Foto: Wilfried Hoesl Ligetis „Le Grand Macabre“bei den Opernfests­pielen München: Dieses absurde Theater setzen Krzysztof Warlikowsk­i und seine Ausstatter­in Malgorzata Szczesniak geboten absurd in Szene.

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