Deutschland und Frankreich ringen um eine Pipeline
Der Bau einer Gasleitung von Spanien über die Pyrenäen nach Frankreich könnte mehr Gas nach Zentraleuropa bringen. Doch Präsident Emmanuel Macron blockiert das Projekt.
Brüssel/Paris In Krisenzeiten spricht Emmanuel Macron gerne von „europäischer Solidarität“. Mit diesem Schlagwort umschrieb der französische Präsident auch unlängst bei einer Pressekonferenz die Vereinbarung, dass Frankreich Deutschland Gas zur Verfügung stelle und von dort Elektrizität bekomme. Darauf hatte er sich kurz zuvor mit Bundeskanzler Olaf Scholz verständigt. Nachdem weiterhin fast die Hälfte der französischen Atomreaktoren aufgrund von Wartungsarbeiten und Korrosionsproblemen stillstehen, muss Frankreich, eigentlich ein großer Exporteur von elektrischem Strom, diesen derzeit importieren. „Wir werden uns in den nächsten Wochen und Monaten beim Gas an der europäischen Solidarität beteiligen und bei der Elektrizität von ihr profitieren“, sagte Macron.
Ausgerechnet ihm wird jedoch vorgeworfen, das Gasverbindungs-Projekt
MidCat ziemlich unsolidarisch zu blockieren, auf das seine europäischen Nachbarn Deutschland, Spanien und Portugal dringen. Begonnen wurde der Bau der rund 230 Kilometer langen Leitung durch die Pyrenäen als Energiebrücke zwischen der iberischen Halbinsel und dem europäischen Norden im Jahr 2013. Doch 2019 stellten die spanischen und die französischen Behörden die Arbeiten nach Kosten-Wirkungsstudien ein. Angesichts der hohen Gaspreise und -nachfrage fordern Madrid, Lissabon und Berlin seit Monaten eine Wiederaufnahme.
Spanien und Portugal verfügen mit sieben Terminals für Flüssigerdgas (LNG) über rund ein Drittel der europäischen Kapazitäten. Scholz sagte Mitte August, MidCat könne „einen massiven Beitrag zur Entspannung der Versorgungslage“leisten. Doch Macron erklärte nach dem Gespräch mit ihm, das Projekt werde das europäische Gasproblem kurzfristig nicht lösen. Sollten seine europäischen Kollegen neue Fakten bringen, sei er aber „bereit, meine Position zu überdenken“. Doch über diese Fakten herrscht Uneinigkeit.
Während Madrid mit Bauarbeiten von bis zu neun Monaten rechnet, ist in Paris die Rede von mehreren Jahren. Spanien schätzt die Kosten auf 300 Millionen Euro, die französische Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher, sprach von „mehreren Milliarden Euro“, auch durch nötige Verstärkungsarbeiten am französischen Leitungsnetz. Könnte nicht die EU das Projekt mit Geldern unterstützen? Bislang hält sich die Kommission aus der Diskussion heraus und verweist bei grenzüberschreitenden Infrastrukturprojekten auf die betroffenen Länder. Hinzu kommt, dass die Brüsseler Behörde zur Erreichung der Klimaziele der Gemeinschaft keine Finanzmittel für Projekte bereitstellen will, die mit fossilen Brennstoffen fördern.
Auch Macron brachte den Umweltgedanken vor. Das Argument aus Madrid und Lissabon, die Pipeline könne später auch Wasserstoff transportieren, lässt er nicht gelten, da Experten dies bezweifelten. Während Befürworter vorrechnen, MidCat könnte 7,2 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr transportieren, zusätzlich zu der Kapazität von mehr als acht Milliarden Kubikmeter durch die beiden bestehenden Leitungen von Spanien nach Frankreich, verweist Macron darauf, dass diese nicht voll ausgelastet seien und mehr Gas in Richtung der iberischen Halbinsel laufe als andersherum. Kritiker werfen ihm vor, dass er Frankreich, das selbst über vier LNG-Terminals verfügt, nicht zum Transitland machen möchte, sondern trotz der aktuellen Probleme mit den Atomreaktoren auf den Ausbau der Kernkraft setzt.
So viel zur viel gepriesenen Solidarität, an die auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen gerne appelliert. Im EU-Parlament kritisieren derweil zahlreiche Abgeordnete die „Heuchelei“sowohl von Deutschland als auch Frankreich. Berlin wird etwa regelmäßig von Europaparlamentariern aufgefordert, den Atomausstieg zu verschieben. Paris steht wegen des Widerstands gegen die Pipeline in der Kritik. Nach einem Treffen zwischen der französischen Europa-Staatssekretärin Laurence Boone und ihrem portugiesischen Amtskollegen Tiago Antunes zeigte sich Antunes jüngst allerdings optimistisch, dass Paris seine Position überdenken werde. Inzwischen prüfen Spanien und Italien den Bau einer 700 Kilometer langen Untersee-Leitung von Barcelona nach Livorno, welche für eine spätere Nutzung für Wasserkraft aber wohl ungeeignet wäre.