Ukrainische Flüchtlinge haben eine Perspektive
Integration Warum die von Putins Soldaten vertriebenen Menschen in Deutschland so gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
Augsburg/Berlin Fast drei Monate ist es her, dass der russische Machthaber Putin seinen Truppen befahl, die Ukraine zu überfallen. Millionen sind aus ihrer Heimat geflohen. Der Krieg dauert an und die, die nach Deutschland kamen, brauchen eine Perspektive. Arbeit, ein Job, könnten diese aufzeigen. Aber gelingt das? Welche Chancen bietet der Arbeitsmarkt den Geflüchteten?
Bis zum 15. Mai sind nach jüngsten Angaben des Bundesinnenministeriums knapp 730.000 Ukrainerinnen und Ukrainer im Ausländerzentralregister (AZR) erfasst worden, überwiegend Frauen und Kinder. Ihr Status macht die Job-Suche einfacher. Die von der EU aktivierte sogenannte Massenzustrom-Richtlinie bietet sowohl Schutz als auch Zugang zum Arbeitsmarkt.
Trotz zum Teil traumatisierender Fluchterfahrungen – und auch, wenn nicht klar ist, wie lange die Geflüchteten bleiben – ist die Bereitschaft zu arbeiten unter ihnen hoch. Das geht aus einer aktuellen Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft IW hervor. Demnach wollen 52 Prozent der Befragten einen Job. Was dabei hilft: 86 Prozent waren den weiteren IW-Angaben zufolge vor ihrer Flucht nach Deutschland berufstätig. Und: Sie sind „gut qualifiziert und bringen gefragte Berufs- und Hochschulabschlüsse mit“. 93 Prozent der Befragten haben Abitur oder sogar studiert. Zudem hätten viele der vor dem Krieg nach Deutschland gekommenen Ukrainer und Ukrainerinnen Berufe gelernt, in denen hierzulande etliche Fachkräfte fehlen. Wie etwa im Pflege- oder Erziehungsbereich.
Es gibt also Chancen. Studienautor und IW-Ökonom Dirk Werner sagt: „Die geflüchteten Ukrainer und Ukrainerinnen bringen sehr gute Voraussetzungen mit, um auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.“Im Vergleich zu anderen Herkunftsländern sei die Zahl der Anträge zur Anerkennung hoch.
Die Chancen gibt es bundesweit und in der Region. Die IHK Schwaben lässt zum Beispiel auf Anfrage wissen, dass in Zeiten der Vollbeschäftigung (Arbeitslosenquote liegt derzeit bei nur 2,6 Prozent) in Bayerisch-Schwaben Unternehmen quer über alle Branchen hinweg nach
Fachkräften suchen. Der sich seit Jahren verschärfende Mangel an diesen ist mit 60 Prozent das zweitgrößte Risiko der wirtschaftlichen Entwicklung laut der jüngsten IHKKonjunkturumfrage. Fast noch mehr gesucht: Azubis. Alleine in der digitalen IHK-Lehrstellenbörse finden sich gerade rund 2000 offene Ausbildungsplätze. Fazit nach Angaben eines IHK-Sprechers: „Es gibt absolut niederschwellige Angebote für Geflüchtete und Unternehmen.“Es gibt bereits diverse Firmen, in denen Geflüchtete bereits Arbeit gefunden haben, so etwa bei Kuka.
Bei der Handwerkskammer für Schwaben (HWK) verweist man zum einen auf eine aktuelle Umfrage des Zentralverbandes, nach der sich bereits elf Prozent der Handwerksbetriebe aktiv um ukrainische Mitarbeitende bemühen. Und zum anderen stellt der HWK auch in der Region fest, dass sich die Betriebe
Die Kammern bieten eine schnelle Erstberatung an
erkundigen und Inhaber mit ukrainischen Wurzeln sich um ihre neu nach Deutschland gekommenen Landsleute bemühen. Denn die fehlenden Sprachkenntnisse – eine Hürde – spielen in solchen Betrieben keine große Rolle.
Auch viele Hotels und Gaststätten in Augsburg brauchen dringend Personal, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mitteilt. „Vorausgesetzt, die Bezahlung stimmt. Denn wer vor dem Krieg flieht und bei uns Schutz sucht, darf nicht ausgenutzt werden. Viele suchen bereits nach Arbeit“, sagt Tim Lubecki, NGG-Geschäftsführer in Schwaben.
Die Industrie- und Handelskammern (IHKs) sowie die Handwerkskammern bieten bundesweit Geflüchteten einen sogenannten „Erstberatungs-Check zu Berufsqualifikationen“als Service an. Das ist eine Kurzberatung, bei der Berufsabschlüsse, Arbeitserfahrungen und Sprachkompetenzen abgefragt werden, um den Interessenten dann eine erste Einschätzung geben zu können, welche vergleichbaren Jobs hier für sie infrage kämen. Das Ergebnis wird auf einem Dokument hinterlegt, das es den Betrieben erleichtern soll, zu bewerten, wo die
Bewerberinnen und Bewerber eingesetzt werden könnten.
Bei einer nationalen Konferenz des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) wurde vor ein paar Wochen deutlich, dass Unternehmen heute bei der Integration von Geflüchteten von ihren Erfahrungen aus den letzten sieben Jahren profitieren, als 2015/2016 sehr viele Menschen in Deutschland Schutz suchten.
Unter ihnen war damals auch Anwar Kadhim, ehemaliger Azubi und jetzt Malergeselle bei der temps GmbH, die in Mittel- und Norddeutschland tätig ist. Kadhim war aus dem Irak gekommen und erinnert sich noch sehr gut an damals. Er sagt: „Für Menschen, die aus Ländern kommen, in denen Krieg ist oder war, ist es nicht ganz so einfach, sich zu öffnen.“Sie bräuchten Zeit, auch um zu verstehen, wo sie gerade sind, alles sei neu, man habe eine Art „Schock“und brauche in dieser Zeit Unterstützung. Er rät denen, die nun ankommen, klar, die Sprache zu lernen, vor allem aber offen zu sein, Kontakte zu knüpfen, Menschen zu finden, die einem signalisieren zu helfen, einen nicht alleine zu lassen. Er findet es heute extrem gut, dass viele ukrainische Flüchtlinge nun in Familien wohnen, weil sie dort sofort ins Gespräch kämen. „Über Dinge reden macht die Sache leichter“, weiß Kadhim. Und er gibt noch einen Tipp: „Sport machen“. Auch wegen der Kontakte zu anderen.
Auch IW-Ökonom Werner betont: „Integration ist kein Selbstläufer. Wir sollten die Geflüchteten als Gesellschaft bei ihrem Wunsch unterstützen, hier in Deutschland Fuß zu fassen.“Und: „Der Zugang in den deutschen Arbeitsmarkt ist für Ukrainerinnen und Ukrainer aufgrund der rechtlichen Regelungen und der großen Hilfsbereitschaft derzeit ohne große Hürden möglich. Für viele sind dabei die Kinderbetreuung und begleitende passgenaue Sprachkurse, die auch berufsbegleitend erfolgen können, zentrale Voraussetzungen.“
Hilfe Seit 2016 gibt es das Netzwerk Unternehmen integrieren Flüchtlinge. Es wurde als gemeinsame Initiative des Deutschen Industrie- und Handelskammertages und des Bundeswirtschaftsministeriums gegründet. Weitere Informationen dazu gibt es unter www.nuif.de.