Die Kelly Family schwimmt wieder
Band Die berühmteste Musikerfamilie der 90er Jahre lebte einst im Doppeldeckerbus und auf einem Hausboot. Jetzt liegt das Schiff wieder in Köln vor Anker. Joey Kelly erinnert sich, wie er und seine Geschwister damals an Bord im Geld versanken.
Köln Der Weg hoch zum einstigen Sehnsuchtsort tausender Jugendlicher ist eher schmucklos und verbeult. Eine graue Leiter lehnt am Schiff „Sean o’Kelley“, das in einem Hafen von Köln liegt. Als Unkundiger ist man durchaus versucht, nach einem anderen – etwas weniger wackligen – Zugang zu suchen. Patricia Kelly aber lässt derlei Bedenken nicht gelten. „Das ist tatsächlich der Einstieg! Willkommen im Bootsleben!“, sagt sie. „Kommt, ich mach euch vor, wie man da reinklettert.“
Patricia Kelly kennt den himmelblau bemalten und im Inneren gemütlich ausstaffierten Kahn gut, denn sie hat auf ihm gelebt. Die „Sean o’Kelley“ist das Hausboot der Kelly Family, das in den 90ern in Köln ankerte und als Heimat der Familienband galt, als der ganz große Durchbruch kam. Fans kamen damals von weit her, um einen Blick auf Paddy, Angelo, Patricia, John und all die anderen zu erhaschen; bei der Kölner Polizei sollen diverse Vermisstenanzeigen besorgter Eltern eingegangen sein. 1995 wurde eine drei Meter hohe Mauer um das schwimmende Haus gebaut. 1998 kaufte der Clan schließlich ein Wasserschloss bei Bonn. Popkulturell betrachtet blieb das Hausboot ein sagenumwobener Ort.
Nach einigen Aufs und Abs ist nun nicht nur die Kelly Family wieder unterwegs – 2017 feierte sie ein Comeback als Band –, sondern überraschend auch das Schiff, das 2004 eigentlich einen würdevollen Platz im Technik-Museum Speyer bekommen hatte. Vor einigen Wochen hat es die Kelly Family wieder zu Wasser gelassen und zum alten Ankerplatz in Köln gebracht. Der
Grund: Die Band arbeitet an einem neuen Album und an einer neuen Tour, die im Herbst beginnen soll. „Es wird ein Familienprogramm“, sagt Patricia Kelly. Zudem drehen die Kellys eine Doku-Reihe auf RTLzwei, bei der sie zu wichtigen Karriere-Stationen reisen – also auch zur „Sean o’Kelley“.
Man könnte den Bootsbesuch nun für eine etwas konstruierte Idee halten, um gute TV-Bilder zu drehen und die gerade populäre 90er-JahreNostalgie zu füttern. Man kann es aber auch als Experiment begreifen, bei dem eine Band mit der eigenen Geschichte konfrontiert wird. Für die Kellys selbst ist das Schiff Inspiration. „Die Idee ist, dass wir zurück zu unseren Wurzeln reisen“, sagt Kathy Kelly. „Wir singen hier ganz instinktiv die Lieder, die uns früher geprägt haben. Das Gefühl kommt wieder zurück.“Ein „ganz neuer Team-Spirit“entstehe. Ihr Bruder John Kelly sagt es so: „Ich glaube, für manche ist es auch ein wenig Therapie, wenn wir noch mal die Orte besuchen, die uns geprägt haben.“
An diesem Tag sind Kathy, Patricia, John, Joey und Paul an Bord des Schiffs. Bei der Tour soll auch noch Jimmy dabei sein. Vor allem Patricia schwelgt in Erinnerungen. Sie klettert hoch ins Führerhäuschen. „Hier hat immer Papa geschlafen. Er liebte es rauszugucken.“Familienoberhaupt Dan Kelly, 2002 gestorben, hatte einst aus seiner Großfamilie eine Band geschmiedet und sie über Fußgängerzonen auf Stadionbühnen gelotst. „Von diesem Steuerraum hat er – ich sag es mal so – das ganze Imperium regiert“, erinnert sich Patricia Kelly.
Eine Etage tiefer lugt sie in ihre alte Kajüte hinein. „Papa hat es mit den Mädels gut gemeint, das muss man sagen. Da war er ganz klassisch“, sagt sie. Sie hätten stets die besten Kajüten bekommen. „Die Jungs mussten schauen, wie sie zurechtkamen.“Ein Raum weiter steht ein Ofen. „Ich habe hier gekocht, tagtäglich“, berichtet Patricia. „Zum Beispiel Bohnensuppe.“
Es ist nicht ganz leicht zu enträtseln, wie viele Menschen des großen Clans damals wirklich zeitgleich auf dem 34 Meter langen und 6,30 Meter breiten Schiff lebten, das die Familie nach dem Kauf Ende der 80er selbst aufmöbelte. Joey Kelly etwa sagt, er habe eher an Land gelebt, zum Beispiel in Wohnwagen. „Alles Entscheidende spielte sich aber auf dem Boot ab.“Hier – im eher unscheinbaren Mülheimer Hafen – seien die Meetings gewesen, auch Besuch sei gekommen. Er erinnert sich etwa an Thomas Gottschalk. „Wenn man Geschäfte mit den Kellys machen wollte, musste man hierhin.“Ein hochrangiger Plattenboss ist Patricia zufolge bei Hochwasser mit einem Boot zum Kelly-Kahn gepaddelt, weil er mit Vater Dan einen Vertrag schließen wollte.
Die Kelly Family galt damals als Musik-Phänomen. Mit dem Hausboot, Hippie-Outfits und gefühliger Musik war sie ein Gegenentwurf zum kühl-maschinellen Techno, der damals auch schon in Mode war. „Wenn wir auf der Straße spielten, bin ich ja mit dem Korb herumgegangen“, erzählt Joey Kelly. Das gesammelte Geld habe man dann im Frachtraum gelagert, meist in alten Post-Kisten. Teilweise seien es Berge gewesen. „Es häufte sich, weil ja etwas Arbeit nötig war, um die Münzen zur Bank zu bringen. Die mussten nämlich alle vorher gerollt werden“, sagt er. „Dafür hatten wir aber oft keine Zeit.“(Jonas-Erik Schmidt, dpa)