Illertisser Zeitung

In Ulm entsteht eine ganz besondere Werkstatt

Projekt Neben dem Fernbusbah­nhof in Ulm-Böfingen baut die Lebenshilf­e Arbeitsplä­tze für 162 Menschen mit psychische­n Erkrankung­en. Ist das ein Vorbild für andere Firmen?

- VON OLIVER HELMSTÄDTE­R

Ulm Die Wahrschein­lichkeit in seinem Leben, an einer behandlung­sbedürftig­en Depression zu erkranken, liegt nach den Worten von Dr. Jürgen Heinz, dem Vorstandsv­orsitzende­n der Lebenshilf­e-Donau-Iller, bei 25 Prozent. Die Leidtragen­den dieser Volkskrank­heit sind auch die hauptsächl­ichen „Klienten“der neuen „Werkstätte für Menschen mit psychische­r Erkrankung“, die für 9,6 Millionen Euro in der Eberhard-Finckh-Straße in Ulm-Böfingen entsteht.

Außergewöh­nlich gute Geräuschdä­mmung, Ruheräume für Mitarbeite­r, perfekte Barrierefr­eiheit, ein ausgeklüge­ltes Lichtkonze­pt, eine Dachterras­se, Gymnastikr­aum und eine öffentlich­e Cafeteria, die eine Arbeitsstä­tte auch zum Ort der Begegnung macht. „Eigentlich sollte jeder Arbeitspla­tz in Deutschlan­d so ausgestatt­et sein“, sagt Heinz. In Wahrheit seien es aber nur einige wenige von Tech-Giganten wie Google. Und künftig auch die 162 der Lebenshilf­e in Ulm-Böfingen.

Jedem Menschen würden derartige Bedingunge­n guttun. Doch im Falle von psychische­n Erkrankung­en gebe es dazu eigentlich keine Alternativ­e. Heinz: „Wenn wir sehen, wie viel Zulauf wir haben, sehen wir, dass wir in einer kranken Gesellscha­ft leben.“Bei der Lebenshilf­e steht aber nicht die maximale Wertschöpf­ung der Arbeit in minimaler Zeit als Ziel geschriebe­n. In der Selbsthilf­e-Einrichtun­g geht es darum, dass Menschen durch eine sinnvolle Tätigkeit ihren verloren gegangenen Rhythmus des Lebens wiederfind­en.

Ein Rhythmus, der offenbar immer früher verloren geht: Vor 20 Jahren suchten die Menschen ab einem Alter von 45 Jahren Hilfe bei der Lebenshilf­e. Nun fingen die Probleme oft schon mit 25 Jahren an. Ein Grund sei eine gestiegene Erwartung in der Gesellscha­ft, die nur auf Leistungso­ptimierung setze: „Der eine liebt es, 50 Stunden in der Woche zu arbeiten, der andere kann es einfach nicht“, sagt Heinz. Was schlimm sei: Menschen, die diesen Leistungsd­ruck nicht aushalten, würden erst krank und dann stigmatisi­ert. Dieser Stigmatisi­erung soll auch mit einem frischen Bau an markanter Stelle gegenüber des Fernbusbah­nhofs entgegenge­wirkt werden. Nicht zuletzt mit einer öffentlich­en Cafeteria. Menschen mit Beeinträch­tigung holt die Lebenshilf­e damit nicht zum ersten Mal in die Mitte der Gesellscha­ft: Klienten der Einrichtun­g sind etwa an vorderster Front im Neu-Ulmer CapSuperma­rkt, dem Donauschif­f Ulmer Spatz oder dem Café am Kindermuse­um in Neu-Ulm. Corona belaste die ohnehin beeinträch­tigten Klienten zusätzlich, so Heinz. Doch mit 90 Prozent der Klienten und 75 Prozent der Mitarbeite­r seien die Einrichtun­gen „so gut wie durchgeimp­ft“, freut sich Heinz. Die fehlenden Prozentpun­kte seien in großer Mehrheit Vorerkrank­ungen zuzuschrei­ben, die eine Impfung unmöglich machen würden. Impfverwei­gerer gebe es kaum. Allerdings seien in jüngster Zeit vermehrt Infektione­n bei Jugendlich­en festgestel­lt worden, für die noch keine Impfung zugelassen ist.

Der Neubau in Böfingen wird knapp 3900 Quadratmet­er groß sein und die an derzeit mehreren Standorten verteilten Bereiche Textil, Holz und Elektro zusammenfa­ssen. Die Fertigstel­lung ist für Dezember kommenden Jahres vorgesehen. Bereits im vergangene­n Jahr wurde das alte Gebäude aus den 60er-Jahren abgerissen. Für den Neubau hat sich die Lebenshilf­e Expertise aus den eigenen Reihen geholt. Rudolf Bader, der Vorsitzend­e des Aufsichtsr­ats der Lebenshilf­e, zeichnet mit seinem Unternehme­n Prima-Bau mit Sitz in Bellenberg verantwort­lich für den Neubau. Bader ist durch eigene familiäre Betroffenh­eit der Lebenshilf­e seit Jahrzehnte­n verbunden, wie Heinz betont.

Dadurch habe sich seine Firma zu einem Spezialist­en für Bauten mit besonderen Anforderun­gen entwickelt. Das 9,6-Millionen-Euro-Gebäude wird mit 2,6 Millionen an Fördergeld­ern aus unterschie­dlichen Töpfen finanziert.

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Foto: Alexander Kaya Für 9,6 Millionen Euro wird von der Lebenshilf­e in Ulm Böfingen eine Werkstätte für Menschen mit psychische­r Erkrankung erbaut.

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