Stillgestanden, Frau Ministerin!
Ein Kamerad führt ein rechtsextremes Doppelleben. In Kasernen gibt es abstoßende Rituale. Und weitere Skandale erschüttern die Bundeswehr. Verteidigungsministerin von der Leyen kritisiert gleich die ganze Truppe. Wie Soldaten darauf reagieren – und dabei
Der ganze Wirbel beginnt im Frühjahr mit dem Fall Franco A. Ein Soldat, der sich als syrischer Kriegsflüchtling ausgibt, Asyl beantragt und einen Anschlag plant, der später eben jenem fiktiven Flüchtling in die Schuhe geschoben werden soll – das ist ja auch ein starkes Stück. Zumal der Oberleutnant der Deutsch-Französischen Brigade in Illkirch im Elsass schon zuvor rechtsextreme Einstellungen gezeigt haben soll, die Bundeswehr aber keine Konsequenzen zog. Seit dieser Fall bekannt ist, steht die Truppe noch mehr als eh schon im kritischen Fokus der Öffentlichkeit – und der eigenen Chefin. Als dann Wehrmachtsandenken in der Kaserne gefunden werden, sieht Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) genügend Gründe zum Durchgreifen. Aber ist mit so viel Gegenwind aus den eigenen Reihen zu rechnen?
Zunächst also die Standpauke. In einem Interview spricht sie von „Führungsschwäche“, „falsch verstandenem Korpsgeist“und von „Haltungsproblemen“in der Truppe. Das sitzt – und löst bei den Untergebenen einen gewaltigen Frust aus, weil die Ministerin alle über einen Kamm schert. Sie rudert zwar umgehend zurück und lobt den „tadellosen Dienst der Mehrheit der Soldaten und Zivilbeschäftigten“. Das Vertrauen leidet dennoch. Das ist bis heute spürbar.
Es ist kein Geheimnis, dass von der Leyen im Amt bleiben will, wenn die Konstellation nach der Bundestagswahl es zulässt. Bislang deutet auch nichts darauf hin, dass sie gehen müsste. Gerhard Stärk aber sieht das skeptisch. Die Truppe sei schließlich in den Dreck gezogen worden. Drastische Worte. Und er ist nicht der Einzige, der so denkt.
Stärk ist im Bundeswehrverband Chef für Süddeutschland, kennt also die Stimmung in der Truppe. Keine Frage, die Armee habe gute Jahre mit von der Leyen gehabt, sagt er. Sie habe einiges angepackt. Er will auch die angeblichen sexuellen Übergriffe bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall nicht verharmlosen oder vermeintlich rechtsextreme Verbindungen von Studenten der Bundeswehr-Universität Neubiberg; beides Dinge, die ebenfalls in den vergangenen Monaten aufgedeckt werden. Zuletzt werden auch noch Details einer geschmacklosen Feier bei der Eliteeinheit KSK bekannt, bei der Schweineköpfe geworfen, eine Frau als „Gewinn“ausgelobt und der Hitlergruß ge- zeigt worden sein soll. Zudem räumt die Bundeswehr Fehler bei der Ausbildung in Munster (Niedersachsen) ein, bei der Soldaten kollabierten und einer sogar starb. Aber die Berichte über Misshandlungen in Pfullendorf, findet der 60-Jährige, die seien hochgekocht worden – teils mit Fehlinformationen.
Stärk, Stabsfeldwebel außer Dienst und früher selbst dort stationiert, hätte sich gewünscht, dass sich Generäle und Inspekteure gegen die Ministerin und ihre Verallgemeinerungen stellen. Aufnahmerituale wie „kuriose Getränkemischungen“oder „Schläge auf den Po“habe es immer gegeben, ohne dass sich einer beschwert habe. Er glaubt nicht, dass von der Leyen nach der Wahl bleiben wird: „Der Vertrauensverlust ist nicht schnell zu richten.“Zumal gerade erst der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hans-Peter Bartels (SPD), in einem Interview deutlich gemacht hat, dass es eine „Vertrauenskrise“gebe.
Wie sehen das Bundeswehrangehörige in der Region, beim IT-Bataillon 292 in Dillingen an der Donau beispielsweise? Dort erzählen zwei Soldaten, dass sie weder herabwürdigende Rituale noch kriminelle Handlungen erlebt hätten. Was woanders geschehen sein mag, sei inakzeptabel. Aber: „Die Bundeswehr wird schlechtgemacht. Auch wenn es zu verurteilende Einzelfälle gab, rechtfertigt das keinen Generalverdacht“, sagt Tobias Fischer. Der 39-jährige Gefreite war zuvor in der Industrie tätig und ist seit April bei der Bundeswehr – um etwas Sinnvolles für die Gesellschaft zu tun, wie er sagt. Er sei gerne hier. Die Berichte über Eskapaden? Nein, die hätten ihn nicht abgeschreckt.
Christopher G., 27, Oberfeldwebel und Zugführer, sieht das nicht anders. Er ist seit 2009 dabei und möchte nicht, dass man seinen vollen Namen im Internet findet. G. also sagt: „Jeder Soldat ist ein Individuum. Aber da alle dieselbe Uniform tragen, wird das Fehlverhalten Einzelner auf alle übertragen.“Man müsse als Soldat wissen, welche Befehle man befolgen muss – und wann der Boden der Rechtsstaatlichkeit verlassen wird. „Das verstehe ich unter Innerer Führung, die mir sehr wichtig ist.“
Damit weitere negative Vorfälle in den Streitkräften möglichst vermieden werden, soll nun unter anderem der Traditionserlass aus dem Jahr 1982 überarbeitet werden. Der ist so eine Art Grundgesetz für die Soldaten. Es geht um Normen, Werte, und wie Geschichte sinnstiftend sein kann. Der Umgang mit der Wehrmacht ist besonders wichtig. Im Erlass steht schon jetzt: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen.“Trotzdem soll es Änderungen geben – was viele der Ministerin als Aktionismus auslegen. Die wiederum betont, dass der Erlass nur weiterentwickelt werden soll, etwa um den Aspekt der Auslandseinsätze.
In Koblenz hat das Zentrum Innere Führung seinen Sitz, und das spielt in dieser Frage eine zentrale Rolle. Reinhold Janke, 59, gehört zu denen, die an der künftigen Form des Führungskonzepts arbeiten. Der Oberst im Generalstab beklagt: Fällt etwas bei der Bundeswehr vor, werde reflexartig die Innere Führung verantwortlich gemacht. Alles komme dann gleich auf den Prüfstand. „Aber sie muss gelebt, erlebt und auch vorgelebt werden.“Möglicherweise habe die Ministerin diese Philosophie der Bundeswehr gar nicht so verinnerlicht. Grundsätzlich gelte: Wer etwas fordert, was er nicht vorlebt, werde Probleme haben, dass andere einem folgen.
Die zentrale Dienstvorschrift der Inneren Führung und der Traditionserlass seien nach wie vor aktuell. Nur hätten Einzelne Probleme, sie zu akzeptieren. „Wir wollen unseren Leuten differenziertes Denken beibringen und dass sie keine Pauschalurteile fällen, bevor sie die Lage erkundet und bewertet haben.“Da verunsichere es viele, dass dies für die politische Leitung keine Gültigkeit gehabt habe.
Wer beim Zentrum Innere Führung geschult wird, macht gerne mal einen Bildungsausflug ins nahe Andernach. In der dortigen Kaserne begann die Geschichte der Bundeswehr. Anton Steer war 1956 einer der ersten Rekruten. Der Generalmajor a. D. sagt: „Wenn das Parlament gut führt, ist die Truppe gut.“Auch hier klare Botschaft: Vorfälle müssten aufgearbeitet und Verantwortliche bestraft werden. Er habe aber überzeugte Staatsbürger in der Bundeswehr erlebt. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das plötzlich gewandelt hat.“Das entstandene Vertrauen der Bürger in ihre Streitkräfte werde sicher nicht erschüttert – wenngleich in früheren Zeiten die Wehrpflicht und die stärkere Verankerung in der Gesellschaft sie „besser gegen Anfechtungen schützte“.
Solche Kritik sitzt. Und hatte auch schon disziplinarische Maßnahmen zur Folge – nicht nur für Soldaten, sondern auch für die zivile Verwaltung. So ist dem Verband der Arbeitnehmer der Bundeswehr ein Fall bekannt, bei dem einer Angestellten nach einer „inakzeptablen Bemerkung während einer Pause“fristlos gekündigt wurde. Einen Rüffel oder kleinere Strafen, das hat es früher schon gegeben. Aber gleich eine Entlassung?
Viele Kollegen, sagt Verbandschef Herberg Schug, seien angesichts des Aktionismus regelrecht erschrocken. Einiges verselbstständigte sich auch. So wurde vorübergehend ein Foto von Altkanzler Helmut Schmidt in Wehrmachtsuniform an der Bundeswehr-Uni Hamburg abgehängt, Kasernen sollten umbenannt werden und Räume wurden auf Wehrmachtsandenken überprüft – wobei nicht wirklich viel herauskam.
Auch der Verband der Beamten der Bundeswehr mahnt eine Verhältnismäßigkeit an. Während Kollege Herbert Schug die Reaktionen als kontraproduktiv für die Nachwuchsgewinnung und als schlechte Werbung kritisiert, sieht der Beamtenverbands-Bundesvorsitzende Wolfram Kamm keine dadurch entstandenen Probleme. Die Bewerberzahlen liegen über denen vom
„Da alle dieselbe Uniform tragen, wird das Fehlverhalten Einzelner auf alle übertragen.“Oberfeldwebel Christopher G. Wo die Wiege der Bundeswehr steht „Wer etwas fordert, was er nicht vorlebt, wird Probleme haben, dass andere einem folgen.“
Oberst Reinhold Janke
Vorjahr – was auch das Ministerium bestätigt. Alles in allem habe es sicherlich Minister gegeben, mit denen man größere Probleme hatte, sagt Kamm dann noch.
Gibt es bei so viel Gegenwind niemanden, der Ursula von der Leyen explizit unterstützt? Doch. Oswin Veith, 56, ist Oberst der Reserve, CDU-Bundestagsmitglied und Präsident des Reservistenverbandes. Klar, die einen verurteilten die Reaktionen der Ministerin, sagt er. Andere fänden aber sehr wohl, dass die vielen „Einzelfälle“in der Summe beweisen, dass in den vergangenen Jahren etwas schiefgelaufen ist. Veith, der Parteikollege, hält es für richtig, Probleme zu benennen und Lösungen zu suchen, damit die Truppe gestärkt wird. Er schließt jedenfalls aus, „dass sich die Vorfälle und ihre Behandlung durch die Ministerin spürbar auf die Bereitschaft der Reservisten auswirken, zu dienen“. Das tue man ja nicht, fügt er noch hinzu, weil einem ein Politiker gefällt, sondern weil einem sein Land wichtig ist.