Heikle Absprungzone
Im Zollernalbkreis soll ein Übungsgelände für Fallschirmspringer ausgewiesen werden. Nun tobt ein Streit. Anrainer stemmen sich vehement gegen die Pläne der Bundeswehr.
- Eisig fegt der Wind über den altehrwürdigen Seehof bei der Kleinstadt Geislingen. Er kommt von der Zollernalb herunter. Selbst die abgehärtete Bäuerin Ursula Eppler fröstelt etwas, als sie vor dem Stall die Milch ihrer Kühe in Transportbehälter gießt. Aber die gefühlte Temperatur lässt sich durch ein simples Mittel anheben. Es reicht, wenn man das Gespräch auf den geplanten Landeplatz für militärische Fallschirmspringer bringt. Schon kocht es. „Das versteht doch keiner, warum so ein Landeplatz unbedingt hier sein muss“, schimpft Eppler aufgeregt und übertönt dabei das Muhen ihrer Kühe.
Die Bäuerin ist schockiert, ebenso ihre landwirtschaftliche Nachbarschaft. Sie alle vermuten „jede Menge zusätzlichen Krach“, dazu noch verschrecktes Vieh durch herumkurvende Propellerflugzeuge oder durch am Fallschirm baumelnde Soldaten. Von möglichen Straßensperrungen durchs Militär ist die Rede, wenn geübt wird. „Und wertvoller Ackerboden verschwindet für immer“, schiebt Eppler im Gespräch nach. Für die Flugzeuge solle eine verfestigte Graspiste gebaut werden.
Beim Zuhören entsteht der Eindruck, die ganze ländliche Idylle stehe auf dem Spiel. Um sie zu retten, hat sich eine Bürgerinitiative gegründet. Ihre Sprecherin Annemarie Schneider warnt vor einer „mit Lärm und Schmutz“überzogenen Region. Sie liegt rund 60 Kilometer südlich von Stuttgart. Bisher stört höchstens das Holcim-Zementwerk. Es steht wegen seiner Emissionen in der Kritik. Ansonsten herrscht meist Beschaulichkeit.
So soll es auch bleiben, findet Annemarie Schneider. Viele wollen dies. Eine Onlinepetition an den Landtag wurde gestartet, ebenso eine Resolution an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne). Rund 6000 Menschen unterstützten dies. Geislingens Bürgermeister Oliver Schmid (parteilos) machte deutlich, dass man den Absetzplatz für die Fallschirmspringer nicht wolle. Das Landratsamt des Zollernalbkreises hält die Wahl des Ortes für höchst fraglich.
Die Ablehnungsfront steht. Gleichzeitig wirken die von Staats wegen vorangetriebenen Pläne durchaus speziell. Seit Jahrzehnten sind fast keine militärischen Liegenschaften mehr ausgewiesen worden – im Gegenteil, Kasernen und Übungsplätze schwanden nach dem Ende des Kalten Kriegs 1989 während diverser Bundeswehrschrumpfungen. Die Politik sprach von einer Friedensdividende.
Nun sollen aber über 60 Hektar Ackerland militarisiert werden. Sie gehören zur Staatsdomäne Waldhof, sind also Landeseigentum. Ein Umstand, der für die öffentliche Hand einen besonderen Charme birgt: Langwierige Verhandlungen mit unwilligen Besitzern entfallen. Enteignungen als finales Mittel für den militärischen Besitzerwerb sind unnötig.
Gebraucht wird das Gelände für Absprungübungen per Fallschirm. Hinzukommt das Anlanden von Lasten, Material der Kämpfer. Jährlich sind bis zu 120 Übungstage vorgesehen. Die Soldaten sollen aus der knapp 50 Kilometer entfernten Schwarzwaldstadt Calw kommen. Sie sind Angehörige des Kommandos Spezialkräfte, besser bekannt unter dem Kürzel KSK – eine Eliteeinheit, obwohl sie zuletzt in Teilen eher durch Vorwürfe des Rechtsextremismus unrühmlich aufgefallen ist.
Weiteres Militär würde die USArmee herschicken. Es sind Soldaten von dem in Stuttgart-Vaihingen stationierten Special Operations Command Europe. Ihnen eilt gerüchteweise der Ruf voraus, es im Zweifelsfall mit deutschen Vorschriften zum Lärmschutz oder zu Flughöhen nicht so genau zu nehmen. Was die Ängste der Anlieger weiter befeuert. Wie in Gesprächen vor Ort deutlich wird, fehlt es an Vertrauen in militärische Versprechungen, so unauffällig wie möglich zu trainieren.
Grundsätzlich geht es beim Übungsansatz in der Regel um Sprünge aus 400 Metern Höhe. Ganz gleich, ob Helikopter, kleinere Flugzeuge oder große Transportmaschinen heranfliegen: Ihre Motoren arbeiten eben nicht geräuschlos. Weshalb über Flugkorridore diskutiert wird, die möglichst wenig bewohntes Gebiet berühren. Dies kann einzelnen Orten helfen. Bei verstreut in der Landschaft liegenden Gehöften ist ein allgemeines Ausweichen hingegen schwer vorstellbar.
„Wenn da noch einer tiefer als 400 Meter kommt, wackeln bei mir die Dachziegel“, glaubt einer der Betroffenen. Tobias Hölle vom Steinefurthof gehört auch zu diesem Kreis. Er sitzt im Vorstand der Bürgerinitiative und hat nach einem Probeüberflug der Bundeswehr vergangenen April Bedenkliches berichtet: Alle seine Hühner seien „fluchtartig in den Stall zurück“.
Bauern wie Hölle fürchten bei einer Dauerbelastung ihre Tierhaltung zumindest im Freiland aufgeben zu müssen. Übel stößt ihnen auf, dass in einem Infoportal der Landesregierung die mögliche Lärmbelästigung durch Überflüge mit Vogelgezwitscher aus 15 Metern Entfernung verglichen wird.
Die Landesregierung will offenbar nur noch über Varianten beim Umsetzen der Pläne auf der Staatsdomäne Waldhof diskutieren. Die grundsätzliche Entscheidung für das Gelände sei aber gefallen, heißt es aus dem grün geführten Staatsministerium. Florian Stegmann, Chef der Staatskanzlei, ließ bereits bei der Bekanntgabe der Pläne vergangenen März keinen Zweifel daran aufkommen. Weshalb rund um die Domäne Waldhof von „Basta-Politik“die Rede ist. Ein weiterer Mosaikstein der regionalen Verärgerung.
Wie ist es dazu gekommen? Dies hat mit dem Flugplatz Malmsheim zu tun, einem Gelände westlich von Stuttgart. Die Bundeswehr nutzte es einst unter anderem für Lagerzwecke. Später kam das KSK zum Üben von Fallschirmabsprüngen. Dies taten ebenso die Amerikaner. 2010 erwarb jedoch der Automobilzulieferer Bosch Teile des Geländes, um ein „Zentrum für Forschung und Vorausentwicklung“aufzubauen. Ein weiteres Stück übernahm das Land BadenWürttemberg – aber mit der Option, dass Bosch zeitnah den Zuschlag bekommt, spätestens 2029. So lange sollten die Soldaten auf dem landeseigenen Grund noch trainieren dürfen.
Doch dies gilt nicht mehr. Der Bosch-Konzern will sein Forschungszentrum erweitern. Die Landesregierung goutiert dies. Sie habe das Ziel, „bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen“, verkündete Staatsminister Stegmann. Das Land wolle Unternehmen beste Bedingungen gewähren, um sie in Baden-Württemberg zu halten. Regierungssprecher Matthias Gauger sagte dazu, bis Ende 2023 wolle man das Gelände auf dem Flugplatz Malmsheim frei haben.
Nun muss für das Militär alles schneller gehen. Wobei die Suche nach Alternativen zu Malmsheim früh angefangen hat. Es sollte ein Objekt möglichst nahe beim KSK-Standort Calw sein. Seit 2016 wurde ein Terrain bei der Kleinstadt Haiterbach präferiert, rund 30 Kilometer weiter südlich. Die Krux dabei: verschiedene private Grundbesitzer. Von ihnen wollte nicht jeder verkaufen. Das Land hätte langwierige Enteignungsverfahren anstrengen müssen.
Es musste also ein anderes Gelände her. Wie es von Militär und Behördenvertretern heißt, habe man sich über mehrere Jahre hinweg gut 100 regionale Optionen angeschaut, darunter auch die Staatsdomäne Waldhof. Wie aus einer Anfrage ans Staatsministerium hervorgeht, waren KSK-Soldaten bereits im März 2016 zur Erkundung hier gewesen – offenbar ohne weiter Aufmerksamkeit bei den Anrainern zu wecken. Jedenfalls traf sie die Waldhof-Nachricht sechs Jahre später wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Im Nachhinein fiel Einheimischen auf, dass das Land die Wohnund Wirtschaftsgebäude der Domäne schon länger nicht mehr verpachtet hatte. Ein Jogger, der sich auf einem Waldweg hinter dem verlassenen Anwesen fit hält, berichtet empört darüber. „Dabei hat es Interessenten gegeben“, meint er.
Auch Felder wurden wohl nur noch jeweils für ein Jahr an benachbarte Bauern vergeben. Also ein von langer Hand vorbereiteter behördlicher Coup? Davon will das Staatsministerium nichts wissen. Es folgt nur der Hinweis, dass die Soldaten schließlich irgendwo üben müssten. Dies ist immerhin ein gewichtiger Punkt, bei dem sich die beteiligten Streitparteien weitgehend einig sind – nur dass es eben vor Ort heißt: bitte nicht hier.
Die Bürgerinitiative will nicht lockerlassen. Immerhin existiert sogar ein regionales Beispiel, dass sich Widerborstigkeit gegen Militärpläne auszahlen kann. Vor rund drei Jahren sollte das in Donaueschingen stationierte Jägerbataillon einen zusätzlichen Standortübungsplatz bekommen. Seine alten Trainingsgefilde im nahen Immendingen waren aufgelöst worden. Sie dienen der Daimler AG seit 2018 als Testzentrum.
Als Ersatz visierte die Bundeswehr ein Gelände bei Tannheim an, einem Dorf, das wegen seiner Nachsorgeklinik für schwer erkrankte Kinder bekannt ist. Deren Leitung befürchtete unkalkulierbare Folgen für die kleinen Patienten, sollten in der Nachbarschaft Gefechte geübt werden. Es gelang ihr, sich bis ins Verteidigungsministerium Gehör zu verschaffen. Die Pläne wurden nach einigem Hin und Her beerdigt. Für umfangreicheres Training muss das Jägerbataillon zum Truppenübungsplatz Heuberg fahren.
Fällt dieser Name, werden rund um die Domäne Waldhof die Ohren gespitzt. So auf dem Danneckerhof, einem Anwesen zur Haltung von Freilandhühnern. Ihn bewirtschaftet Tobias Vötsch, ein weiteres Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative. Er hat sich schon früh „für eine Verlegung des Absprungplatzes auf den Heuberg“ausgesprochen. Dieser befindet sich gerade mal 20 Kilometer weiter südlich. Doch das KSK will nicht. Sein Argument: Wegen des dortigen Übungsbetriebs auf den Schießbahnen seien Fallschirmabsprünge zu gefährlich.
Ins Blickfeld der Bürgerinitiative ist sogar der ehemalige Truppenübungsplatz Münsingen geraten. Diese Option wurde abgelehnt, weil das Gelände längst Mittelpunkt des Biosphärengebiets Schwäbische Alb ist. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Dies gilt auch für Thomas Bareiß, CDU-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis ZollernalbSigmaringen. Er fordert: „Das Land muss selbstverständlich alternative Standorte prüfen.“
Bareiß ergänzt zudem, dass die zuständigen Behörden doch bitte endlich „die Gutachten über Auswirkungen im Bereich Lärm, Mensch, Tier, Umwelt und Verlust fruchtbarer Ackerflächen“liefern sollten. Eigentlich hätte dies schon zum Ende des vergangenen Jahres der Fall sein sollen. Vom Staatsministerium wurde aber bedeutet, man müsse sich von Amts wegen erst neu sortieren.
„Das kann doch wohl nicht wahr sein“, beschwert sich wiederum Anrainerin Ursula Eppler auf ihrem alten Seehof, während sie weiter nach den Kühen schaut. „Wir werden hängen gelassen. Es geht immerhin um unsere Heimat“, sagt sie frustriert. Worauf der heranpfeifende Wind wieder spürbar eisiger erscheint.
Er soll übrigens oft recht heftig über die Hochfläche bei der Domäne Waldhof wehen, wie Eppler und andere Einheimische süffisant berichten. Dahinter verbirgt sich ein elementares Problem fürs Militär: kein Fallschirmspringen bei zu starker Brise. Die Soldaten könnten sonst vom Wind verweht werden.