Verband sieht Schulen im Notbetrieb
Umfrage zeigt massiven Lehrermangel an fast allen Schulformen
- Jede zehnte Grundschule in Baden-Württemberg kann derzeit den vorgesehenen Unterricht nicht vollständig erteilen, weil Lehrer fehlen. Das gilt auch für jede fünfte weiterführende Schule - außer für Gymnasien. Bei den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) liegt der Anteil sogar bei 40 Prozent Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Verbandes Bildung und Erziehung Baden-Württemberg (VBE). „Unterm Strich sind wir über alle Schularten hinweg an einem kritischen Punkt angekommen“, sagte VBE-Landeschef Gerhard Brand am Mittwoch. Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) wirft dem VBE vor, die Lage zu dramatisieren.
Wer wurde befragt?
Der VBE hat die Schulleitungen aller Grund-, Haupt-, Werkreal-, Realund Gemeinschaftsschulen angeschrieben. Laut VBE hat etwa jede fünfte Schule den Fragebogen ausgefüllt, das waren insgesamt 884 Schulen. Befragt wurden die Verantwortlichen wenige Wochen nach Start des Schuljahres, und zwar zwischen dem 22. und 27. September. Laut VBE ist die Studie damit zwar nicht repräsentativ, lässt aber wegen des hohen Rücklaufs genaue Schlüsse auf die Lage an allen Schulen zu. Nicht miteinbezogen sind Gymnasien und Berufsschulen.
Welche Ergebnisse gab es an den Grundschulen?
Jede zehnte der rund 2330 Grundschulen arbeitet laut VBE im Notbetrieb. Das heißt: Es gibt zu wenig Lehrer, um die vorgeschriebenen Unterrichtsstunden abzudecken und die Schule kann diesen Mangel nicht ausgleichen. An jeder fünften Grundschule sind weniger als 90 Prozent der Lehrerstellen besetzt. Auch hier reicht das Personal damit eigentlich nicht, um den Regelunterricht zu erteilen. Denn das ist nur möglich, wenn alle Stellen besetzt sind. Doch diese Schulen schaffen es dennoch, den normalen Stundenplan einzuhalten. Dazu ergreifen sie zum Teil drastische Maßnahmen: In 40 Prozent der Fälle wurden Klassen zusammengelegt, in 20 Prozent erteilten pensionierte Lehrer oder Personal ohne Lehramtsausbildung Vertretungsstunden. Ministerin Schopper hält die Lage zwar für angespannt, mahnt aber: „Aus den Rückmeldungen der Regierungspräsidien und den Staatlichen Schulämtern wissen wir, dass die Schulen
aber grundsätzlich arbeitsfähig sind. Deswegen ist es nicht gerechtfertigt, von einem Notbetrieb an den Schulen zu sprechen.“
Wie ist die Lage an den übrigen Schulen?
Auch dort gibt es laut Brand einen „dramatischen Lehrermangel“. Jede fünfte Schule laufe im Notbetrieb, es falle also massiv Unterricht aus. Ein weiteres Drittel der Schulen muss Personalmangel ausgleichen, Klassen werden zusammengelegt und Vertretungsunterricht von Personal ohne abgeschlossene Lehrerausbildung erteilt. Bei den Sonderschulen sei der Mangel zum Teil so dramatisch, dass es im Winter durch Krankheitsausfälle zu Schulschließungen kommen könne.
Wie geht es weiter?
Schon zu Schuljahresbeginn hatten laut Kultusministerium 890 Lehrer in Baden-Württemberg gefehlt, ein Negativrekord. Nun hat sich die Lage laut VBE verschärft. Weitere Engpässe seien absehbar. Und: Kinder, die ab Sommer 2026 eingeschult werden, haben Anspruch auf einen Ganztagesplatz. Für den VBE ist klar: Bessert sich die Personallage an den Schulen bis dahin nicht deutlich, ist dieses Projekt gefährdet. Deswegen will der VBE die Einführung stoppen.
Ministerin Schopper verweist auf bereits laufende Maßnahmen gegen den Mangel. „Wir beschäftigen Pensionärinnen und Pensionäre, wir stellen zusätzliches Personal für die Beschulung Geflüchteter ein und haben auch schon 1000 Verträge dafür abgeschlossen“, sagt die Kultusministerin. Außerdem habe die Landesregierung bereits neue Studienplätze
für Sonderpädagogen eingerichtet.
Warum fehlen so viele Lehrer?
Dafür gibt es viele unterschiedliche Gründe. Vor einigen Jahren rechneten die Verantwortlichen noch mit sinkenden Schülerzahlen. Doch aufgrund des Zuzugs nach Baden-Württemberg und zuletzt auch durch rund 25 0000 Kinder aus der Ukraine sind diese eher gestiegen. Deshalb mussten neue Studienplätze geschaffen werden. Bis die Studierenden im Klassenzimmer ankommen, dauert es. Außerdem wurden in den vergangenen Jahren sehr viele Lehrer pensioniert, die ebenfalls ersetzt werden mussten. Allerdings ist die Lage in Stadt und Land unterschiedlich dramatisch. Viele junge Lehrer wollen nicht in ländliche Regionen, besonders schwer haben es zum Beispiel Schulen in der Region Tuttlingen. Der VBE sieht einen Hauptgrund darin, dass der Lehrerberuf unattraktiver geworden sei. Der Beruf werde immer fordernder: Schwierigere Schüler, die Inklusion von Kindern mit Behinderung in Regelschulen, Digitalisierung seien nur einige Punkte.
Was fordern die Lehrer?
Vor allem Grundschullehrer, aber auch ihre Kollegen an Haupt- und Werkrealschulen müssten besser bezahlt und die Arbeitsbelastung gesenkt werden, um den Beruf für Nachwuchs attraktiver zu machen. An Grundschulen bekommen Berufseinsteiger die Besoldungsstufe A12 (3900 Euro monatlich), an allen übrigen Schularten eine Stufe höher (4500 Euro) Bayern hatte angekündigt, Junglehrern flächendeckend A13 zahlen zu wollen. Der VBE warnt deshalb vor Abwamderung junger Lehrer. Außerdem müsse die Belastung der Lehrer gesenkt werden – durch kleinere Klassen oder weniger Wochenstunden. Derzeit unterrichten Lehrer an Grundschulen 28 Stunden in der Woche, die Klassen haben maximal 28 Kinder. Beides ist mehr als an den übrigen Schularten. Durch solche Schritte würden zwar mehr Lehrer benötigt als bisher. Doch aus Sicht des VBE würde dieser Effekt wettgemacht, wenn mehr junge Leute den Beruf ergreifen und weniger Lehrer durch den Druck krank ausfielen. Kultusministerin Schopper aber hält den Job für attraktiv. Als Beleg führt sie an: „An den Pädagogischen Hochschulen haben wir zum Beispiel für das Lehramt Grundschule regelmäßig immer noch mehr Bewerberinnen und Bewerber, als wir angesichts der Studienplätze aufnehmen können.