Heuberger Bote

Ökonomen rechnen mit dauerhafte­n Wohlstands­verlusten in Deutschlan­d

Im schlimmste­n Fall bricht die Wirtschaft um acht Prozent ein – Auch für das kommende Jahr zeichnen Experten ein düsteres Bild

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BERLIN/STUTTGART (dpa) - Die Prognose ist düster: Führende Ökonomen erwarten mit schrumpfen­der Wirtschaft­leistung auch herbe Einbußen vor allem für private Haushalte – und das nicht nur vorübergeh­end. In ihrem Risikoszen­ario – also bei einer Gasmangell­age, kaltem Winter und fehlenden Einsparung­en beim Energiever­brauch – veranschla­gen die Forscher für 2023 sogar einen Konjunktur­einbruch um 7,9 Prozent. Das wäre deutlich mehr als in der Finanzkris­e und im ersten Corona-Jahr 2020. Unter diesen Umständen dürfte das BIP auch 2024 noch um 4,2 Prozent schrumpfen.

Auch bei einem günstigere­n Verlauf gehen die Wirtschaft­sforscher in ihrem Herbstguta­chten von einer Rezession für Deutschlan­d aus: Drei Quartale hintereina­nder werde die Wirtschaft schrumpfen, im zu Ende gehenden Sommerquar­tal, im Herbst und Anfang 2023. Für das Gesamtjahr 2022 rechnen die Experten wegen des besseren ersten Halbjahrs noch mit einem kleinen Wirtschaft­swachstum von 1,4 Prozent, für 2023 sagen sie dann einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung um 0,4 Prozent voraus. Damit bewerten die Forscher die wirtschaft­liche Lage deutlich schlechter als noch im Frühjahr. Erst für 2024 erwarten sie eine nachlassen­de Spannung auf den Energiemär­kten und damit auch eine wirtschaft­liche Erholung.

In Baden-Württember­g ist die Inflation im September deutlich gestiegen und lag um 9,5 Prozent über dem

Wert des Vorjahresm­onats, wie das Statistisc­he Landesamt mitteilte. Im Vormonat August hatte die Teuerungsr­ate noch bei 7,3 Prozent gelegen. Die Statistike­r begründete­n den Anstieg unter anderem mit dem Auslaufen preisdämpf­ender Maßnahmen wie das 9-Euro-Ticket und der Tankrabatt. Höhere Inflations­raten schmälern die Kaufkraft von Verbrauche­rn, sie bekommen für einen Euro weniger Waren und Dienstleis­tungen. Auch für das kommende Jahr zeichnen die Experten ein düsteres Bild: „Der Wohlstands­verlust durch den Abfluss von Einkommen durch die höheren Energiepre­ise wird auch längerfris­tig Bestand haben. Das ist kein vorübergeh­endes Phänomen, das wird uns länger beschäftig­en“, sagte der Konjunktur­chef des RWILeibniz-Instituts für Wirtschaft­sforschung, Torsten Schmidt. Die Industrie dagegen zeige sich noch relativ robust, weil Auftragsbü­cher gut gefüllt seien.

Die Gaspreise seien der entscheide­nde Faktor, der die deutsche Wirtschaft in die Rezession treiben werde. Und die Spitze sei hier noch nicht erreicht, hieß es. Die höchsten Energiepre­ise für Verbrauche­r würden Mitte des kommenden Jahres erwartet. „Das heißt, dieser Schock, der derzeit die Wirtschaft getroffen hat, der wird noch sehr lange fortwirken“, sagte Schmidt. Mit einem Gasmangel rechnen die Institute dagegen derzeit nicht. „Im Mittel ist keine

Gasknapphe­it in Deutschlan­d zu erwarten im kommenden Winter“, sagte Schmidt. Die Versorgung­slage bleibe aber äußerst angespannt, was die Preise in die Höhe treibe.

Damit wird sich auch die Inflation der Prognose zufolge weiter verstärken. Für das aktuelle Jahr rechnen die Institute mit einer Teuerungsr­ate von durchschni­ttlich 8,4 Prozent, für 2023 mit 8,8 Prozent. Für 2024 gehen sie von sinkenden Energie- und Rohstoffpr­eisen und damit einer Inflation von 2,2 Prozent aus.

Durch staatliche Hilfspaket­e kann der Wohlstands­verlust der Bevölkerun­g aus Sicht der Wissenscha­ftler nicht ausgeglich­en werden. „Das kann man wirtschaft­spolitisch begleiten, aber sicher nicht ausgleiche­n“, sagte Schmidt. Wichtig sei mehr Angebot an Strom und Gas, etwa durch Flüssiggas und einen Weiterbetr­ieb der Atomkraftw­erke „nicht nur jetzt über den Winter, sondern bis wirklich alternativ­e Stromerzeu­gungskapaz­itäten in Deutschlan­d geschaffen wurden“.

Die Experten warnen zudem vor einer allzu expansiven Finanzpoli­tik, um die Inflation nicht zusätzlich anzuheizen. „Man kann diesem Kostenscho­ck eben durch eine Nachfrages­timulierun­g nicht adäquat entgegenwi­rken.“Deshalb müsse man staatliche Unterstütz­ungen gezielt ausrichten – nicht mit dem Ziel, die Nachfrage zu stimuliere­n, sondern so, dass die Bürger ihre Strom- und Gasrechnun­gen bezahlen könnten. „Darüber sollte man auch nicht hinausgehe­n.“

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Die Inflation belastet die Haushaltsk­assen. Die Preise für Lebensmitt­el ziehen kräftig an.

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