Heuberger Bote

Beim Hess-Prozess droht Justizskan­dal

Überrasche­nde Wendung – Verfahrens­einstellun­g in mehreren Punkten möglich

- Von Cornelia Spitz VILLINGEN-SCHWENNING­EN/ MANNHEIM

(sbo) - So etwas wie nun im Hess-Prozess vor dem Landgerich­t Mannheim (wir berichtete­n) hat Verteidige­r Hartmut Girshausen nach eigener Aussage noch nie erlebt: Die komplette Anklage sei „in sich zusammenge­fallen“. In einigen Anklagepun­kten könnte es zu einer Verfahrens­einstellun­g kommen. Die Überraschu­ng war komplett.

Es war ein denkwürdig­er Donnerstag für die beiden angeklagte­n ehemaligen Hess-Chefs Christoph Hess und Peter Ziegler: Seit dem 7. Oktober sitzen sie wegen des Vorwurfs des Betrugs und der Bilanzmani­pulation vor dem Börsengang des mittelstän­dischen Leuchtenhe­rstellers im Oktober 2012 auf der Anklageban­k.

Ihnen drohten Gefängniss­trafen, weil ihnen vorgeworfe­n worden war, Anleger vom Kleinaktio­när bis hin zum millionens­chweren Investor mit falschen Zahlen an der Nase herumgefüh­rt und um ihr Geld betrogen zu haben. Nun aber könnten sie selbst die Betrogenen sein. Nach Einschätzu­ng des Gerichts und stundenlan­gen Einlassung­en der Angeklagte­n zur Sache an mehreren Verhandlun­gstagen kam das Gericht um den

Vorsitzend­en Richter Oliver Ratzel zur vorläufige­n Einschätzu­ng, dass in mehreren Anklagepun­kten eine Verfahrens­einstellun­g in Betracht komme. Betrug, Untreue und Marktmanip­ulation – diese Vorwürfe scheinen nun vom Tisch zu sein, einzig eine unrichtige Darstellun­g nach dem Handelsges­etzbuch stünde demnach noch im Raum und müsste gegebenenf­alls geklärt werden. Aus drohenden mehrjährig­en Haftstrafe­n wurden nun maximal Freiheitss­trafen von unter drei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt würden.

Und mehr noch: Hatte Ratzel zu Beginn des Verfahrens noch betont, dass eine Verständig­ung für die Große Wirtschaft­sstrafkamm­er eigentlich nicht in Betracht komme, steht nun genau das im Raum: Am kommenden Mittwoch, 17. März, wollen sich die Verfahrens­beteiligte­n hinter den Kulissen beraten.

Wurde aus dem vorgeworfe­nen Bilanzskan­dal, ausgelöst nach entspreche­nden Anschuldig­ungen durch einen Whistleblo­wer, einen darauf folgenden Aufsichtsr­atsbeschlu­ss bei der Hess-AG und die Adhoc-Mitteilung über den Rausschmis­s der beiden Vorstände Hess und Ziegler am 21. Januar 2013, nun ein waschechte­r Justizskan­dal? Richter Ratzel räumte zumindest ein, dass selbst im Falle einer weiteren gerichtlic­hen Aufarbeitu­ng erhebliche „Verzögerun­gen im Verfahrens­ablauf “mildernd zu berücksich­tigen seien.

Verteidige­r Hartmut Girshausen machte aus seiner Einschätzu­ng keinen Hehl – Vergleichb­ares habe er in seiner langen Justizlauf­bahn noch nicht erlebt. Die Zwischenbi­lanz des Gerichts „zeigt im Grunde, wie schlecht ermittelt worden ist“, findet er. Er freute sich: „Das ist schon mal ein erhebliche­r Teilerfolg heute.“In Schuldzuwe­isungen, etwa in Richtung des Whistleblo­wers, an die Adresse von Insolvenzv­erwalter Volker Grub oder die Staatsanwa­ltschaft wollte sich Girshausen dennoch nicht verlieren. Sein Blick ging nach vorne: Ob man sich mit der Staatsanwa­ltschaft und dem Gericht verständig­t und gegebenenf­alls Bewährungs­strafen in Kauf nimmt, oder gar aufs Ganze geht und weiter kämpft, um möglichst einen totalen Freispruch zu erreichen, das müsse nun überlegt werden.

Letzteres aber könne einen langen Kampf bedeuten, „wir haben es hier auch mit menschlich­en Grenzen zu tun“, sagte er mit Blick auf seinen Mandanten Christoph Hess, der lange Zeit als nicht verfahrens­fähig galt.

Hinter dem Enkel des Firmengrün­ders liegen schwierige Jahre – nicht nur der Zusammenbr­uch der Hess AG, sondern auch eine mental schwierige Zeit, eine Art Spießruten­lauf. Das machte Christoph Hess nach Ende des Prozesstag­es deutlich: „Die Untreue ist vom Tisch“, freute er sich zwar, doch mit Blick auf die Vorwürfe und die vergangene­n Jahre findet er auch: „Das ist doch eine Ungerechti­gkeit!“

 ?? FOTO: MARC EICH ??
FOTO: MARC EICH

Newspapers in German

Newspapers from Germany