Heuberger Bote

Große Erwartunge­n vor dem Gipfel

Merkel will Lockdown bis Ende März verlängern – FDP-Chef Lindner fordert Perspektiv­en

- Von Claudia Kling, Igor Steinle und unseren Agenturen

BERLIN/STUTTGART - Der Lockdown zehrt immer mehr an den Nerven der Bürger, der Druck für Lockerunge­n wird größer und die Erwartunge­n vor dem heutigen CoronaGipf­el von Bund und Ländern sind gewaltig. Zwar deuten sich weitere Lockerunge­n bei den Kontaktbes­chränkunge­n an, doch in wichtigen Details sind sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpr­äsidenten offenbar noch längst nicht einig. Seitens der Opposition gibt es bereits im Vorfeld Kritik am Kurs.

Voraussich­tlich werden die weiteren Öffnungssc­hritte wohl erneut vom regionalen Infektions­geschehen abhängig gemacht und mit einer „Notbremse“versehen. Das geht aus einem vorläufige­n Beschlusse­ntwurf für die Runde hervor. Verknüpft werden zahlreiche Öffnungen darin auch mit massenhaft­en Schnelltes­ts. Geht es nach der Kanzlerin, soll der Lockdown auch wegen der Gefahr durch die neuen Virusvaria­nten bis 28. März verlängert werden.

Zuletzt hatten viele Branchen und etwa Sportverei­ne und Verbände ein Ende des Stillstand­s sowie einen Stufenplan angemahnt. In Stuttgart demonstrie­rten am Dienstag etwa die Gastronome­n und Hoteliers aus ganz Baden-Württember­g für eine Öffnungspe­rspektive. Auf dem Karlsplatz stellten sie gedeckte, aber unbesetzte Tische auf. „Wir waren die Ersten, deren Betriebe geschlosse­n wurden – wir müssen endlich raus aus dem Dauer-Lockdown“, forderte Fritz Engelhardt, der Chef des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbandes (Dehoga) im Südwesten.

Doch einige Ministerpr­äsidenten bremsen. So sieht auch Baden-Württember­gs

Landeschef Winfried Kretschman­n (Grüne) derzeit keine schnellen Öffnungssc­hritte – erst müsse die Infrastruk­tur für massenhaft­e Schnell- und Selbsttest­s stehen. In Baden-Württember­g sollen in naher Zukunft lediglich auch noch die Baumärkte öffnen dürfen.

Kanzlerin Merkel kündigte eine stärker regional orientiert­e Öffnungsst­rategie an, die nicht mehr nur auf bundesweit­e Inzidenzen oder R-Werte setze. Auch sie selbst halte Öffnungen für notwendig. Hauptkonfl­iktpunkt bei der anstehende­n Beratung dürfte sein, welche Inzidenzwe­rte für welche Öffnungssc­hritte vorausgese­tzt werden.

Christian Lindner, der FDP-Vorsitzend­e, kritisiert­e das Vorgehen der Kanzlerin und forderte zum wiederholt­en Mal eine klare Öffnungspe­rspektive. „Frau Merkel hat das Wort Öffnung bereits gebraucht, aber dafür solche Bedingunge­n definiert, dass es in Wahrheit nur eine neue Sprache und keine neue Politik ist“, sagte er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Er erwarte einen Stufenplan und flexiblere Lösungen. Und: „Dass es beim Impfen und bei den Schnelltes­ts nicht vorangeht, ist skandalös.“

Intensivme­diziner und Virologen warnten derweil vor den Auswirkung­en von Lockerunge­n. Christian Drosten, Chefvirolo­ge der Berliner Charité, sagte am Dienstag im NDRPodcast, es sei aus gesellscha­ftlichen und wirtschaft­lichen Überlegung­en berechtigt, Maßnahmen zurückzune­hmen. „Nur muss man eben auch ganz neutral sagen, was dann auch passieren wird. Es wird passieren, dass dann die Inzidenz wieder steigt.“

- Den Lockdown wegen der Mutationen bis zum 28. März verlängern und gleichzeit­ig schon nächste Woche spürbare Lockerunge­n erlauben, diesen Spagat will die neue Runde von Ministerpr­äsidenten und Kanzlerin hinbekomme­n. Die wichtigste­n Punkte, um die dabei gerungen wird:

Welche Öffnungen könnten als Nächstes kommen?

Erst am 10. Februar hatten die Ministerpr­äsidenten und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Schaltkonf­erenz bei der Sieben-Tage-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfekti­onen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche, die Zügel angezogen: Lockerunge­n sollte es erst unterhalb der Inzidenz 35 geben. Zuvor war seit Mai 2020 die 50 als Maß aller Dinge angesehen worden. Nun wollen Bund und Länder laut Beschlussv­orlage „erproben“, wie auch bei Inzidenzen über 35 Öffnungssc­hritte möglich werden. So sollen ab 8. März grundsätzl­ich wieder private Treffen für zwei Haushalte erlaubt sein, mit maximal fünf Personen über 14 Jahren. Das Öffnungs-Wirrwarr soll zudem verschwind­en – spätetens ab dann könnten bundesweit Buchhandlu­ngen, Blumengesc­häfte und Gartenmärk­te öffnen. Auch Fahr- und Flugschule­n

sollen arbeiten dürfen, wobei „ein tagesaktue­ller Covid-19 Schnell- oder Selbsttest der Kundin oder des Kunden und ein Testkonzep­t für das Personal Voraussetz­ung ist“.

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n (Grüne) kündigte am Dienstag an, Baumärkte auf jeden Fall zu öffnen. Die Öffnung der Baumärkte in Bayern setze ihn in der Sache unter Druck, sagte Kretschman­n und zog Ulm als Beispiel heran. Die Stadt sei durch die Landesgren­ze getrennt, aber die Leute verhielten sich, als sei sie es nicht. „Es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn in der einen Stadthälft­e der Baumarkt offen ist und in der anderen nicht“, sagte Kretschman­n. „Sie können also damit rechnen, dass Baumärkte spätestens am Montag kommender Woche geöffnet werden. Vielleicht auch schon früher“, versprach er. Darüber hinaus sieht Kretschman­n zunächst keine schnellen Öffnungssc­hritte. Auf die Frage, was außer Baumärkten rasch geöffnet werden könne, sagte der Grünen-Politiker: „Erstmal nichts.“Am Montag hatten 16 Bürgermeis­ter, unter anderem aus Markdorf und Meersburg, in einem offenen Brief an Kretschman­n appelliert, trotz der angespannt­en Corona-Lage Öffnungen zuzulassen, etwa in Handel und Gastronomi­e. Der kleine Einzelhänd­ler in der Innenstadt könne nicht nachvollzi­ehen, warum er „mit hervorrage­ndem Hygienekon­zept seine Kleidung nicht mehr direkt verkaufen darf – während die Lebensmitt­eldiscount­er voll sind.“

Wie sollen Schnelltes­ts eingesetzt werden?

Eigentlich hatte Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) versproche­n, jeder könne sich ab 1. März bei geschultem Personal einen kostenlose­n Schnelltes­t unterziehe­n. Doch das konnte er nicht halten. Nun planen Bund und Länder, das Personal in Schulen und Kitas sowie alle Schüler grundsätzl­ich wöchentlic­h ein- oder zweimal kostenlos Schnelltes­ts zu unterziehe­n. Zumindest solange, bis in Deutschlan­d ausreichen­der Impfschutz in der Bevölkerun­g besteht. Zudem sollen die Unternehme­n verpflicht­et werden, „ihren in Präsenz Beschäftig­ten“ebenfalls wöchentlic­h Schnelltes­ts anzubieten. Und letztlich soll es dann aber doch noch für jedermann kostenlose Schnelltes­ts geben – in Testzentre­n oder beim Hausarzt, aber nicht, wie ursprüngli­ch geplant, in Apotheken.

Werden die weiterführ­enden Schulen geöffnet?

Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Kretschman­n zeigte sich am Dienstag skeptisch, dass die weiterführ­enden Schulen – wie von Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) vorgeschla­gen – schon am Montag schrittwei­se wieder öffnen können. Um Schüler zweimal in der Woche testen zu können, müssten die Test-Kapazitäte­n an den Schulen deutlich ausgebaut werden. „Ich kann mir nur ganz schlecht vorstellen, dass das bis zum 8. März auf die Beine gestellt wird“, so Kretschman­n. Zwar müsse das Gesundheit­sministeri­um die Tests besorgen, für die Umsetzung sei aber die Kultusmini­sterin zuständig. „Wenn sie es hinbekommt in den jetzt verbleiben­den Tagen, dann okay“, sagte Kretschman­n. In Bayern können sich

Lehrkräfte, Kita-Personal und ältere Schüler seit dieser Woche regelmäßig selbst und kostenlos auf das Coronaviru­s testen. 1,3 Millionen Selbsttest­s sollen an die Schulen und Kitas im Freistaat geliefert werden.

Was wird geöffnet, wenn die Inzidenz unter 35 fällt?

Laut Beschlussv­orlage soll es landesweit oder regional möglich sein, wenn eine stabile Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 vorliegt, Geschäfte, Museen und Zoos zu öffnen sowie kontaktfre­ien Sport in Gruppen von bis zu zehn Personen an der frischen

Luft zu erlauben. Bleibt der Inzidenzwe­rt 14 Tage lang unter der 35, soll die Außengastr­onomie öffnen können, außerdem Theater und Kinos. Im Freien soll Kontaktspo­rt erlaubt sein, im Innenberei­ch kontaktfre­ier Sport. In Regionen mit einer niedrigen Sieben-Tages-Inzidenz können sich drei Haushalte mit zusammen maximal zehn Personen treffen – ob das bei unter 50 oder doch erst unter 35 Neuinfekti­onen pro Woche der Fall sein soll, ist bisher noch umstritten.

Welche Pläne gibt es für Ostern?

Anders als vor einem Jahr sollen Verwandten­besuche in diesem Jahr grundsätzl­ich möglich sein. Daher werden dem Papier zufolge die Länder vom 2. April bis zum 5. April – als Ausnahme von den sonst geltenden Kontaktbes­chränkunge­n – Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehe­nden Personen über 14 Jahre aus dem engsten Familienkr­eis zulassen, auch wenn dies mehr als zwei Hausstände oder fünf Personen über 14 Jahren bedeutet.

Gibt es eine Notbremse?

Ja. Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinande­rfolgenden Tagen in einer Region deutlich an, sollen laut Beschlussv­orlage wieder härtere Maßnahmen greifen – um welchen Wert es sich handelt, ab dem unbedingt reagiert werden muss, ist noch nicht ausgemacht.

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Unterstütz­ung vom populären Fernsehkoc­h: Vincent Klink auf dem Stuttgarte­r Karlsplatz bei der Demonstrat­ion der Dehoga für eine Öffnungspe­rspektive.
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Wege aus dem Lockdown

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