Große Erwartungen vor dem Gipfel
Merkel will Lockdown bis Ende März verlängern – FDP-Chef Lindner fordert Perspektiven
BERLIN/STUTTGART - Der Lockdown zehrt immer mehr an den Nerven der Bürger, der Druck für Lockerungen wird größer und die Erwartungen vor dem heutigen CoronaGipfel von Bund und Ländern sind gewaltig. Zwar deuten sich weitere Lockerungen bei den Kontaktbeschränkungen an, doch in wichtigen Details sind sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten offenbar noch längst nicht einig. Seitens der Opposition gibt es bereits im Vorfeld Kritik am Kurs.
Voraussichtlich werden die weiteren Öffnungsschritte wohl erneut vom regionalen Infektionsgeschehen abhängig gemacht und mit einer „Notbremse“versehen. Das geht aus einem vorläufigen Beschlussentwurf für die Runde hervor. Verknüpft werden zahlreiche Öffnungen darin auch mit massenhaften Schnelltests. Geht es nach der Kanzlerin, soll der Lockdown auch wegen der Gefahr durch die neuen Virusvarianten bis 28. März verlängert werden.
Zuletzt hatten viele Branchen und etwa Sportvereine und Verbände ein Ende des Stillstands sowie einen Stufenplan angemahnt. In Stuttgart demonstrierten am Dienstag etwa die Gastronomen und Hoteliers aus ganz Baden-Württemberg für eine Öffnungsperspektive. Auf dem Karlsplatz stellten sie gedeckte, aber unbesetzte Tische auf. „Wir waren die Ersten, deren Betriebe geschlossen wurden – wir müssen endlich raus aus dem Dauer-Lockdown“, forderte Fritz Engelhardt, der Chef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) im Südwesten.
Doch einige Ministerpräsidenten bremsen. So sieht auch Baden-Württembergs
Landeschef Winfried Kretschmann (Grüne) derzeit keine schnellen Öffnungsschritte – erst müsse die Infrastruktur für massenhafte Schnell- und Selbsttests stehen. In Baden-Württemberg sollen in naher Zukunft lediglich auch noch die Baumärkte öffnen dürfen.
Kanzlerin Merkel kündigte eine stärker regional orientierte Öffnungsstrategie an, die nicht mehr nur auf bundesweite Inzidenzen oder R-Werte setze. Auch sie selbst halte Öffnungen für notwendig. Hauptkonfliktpunkt bei der anstehenden Beratung dürfte sein, welche Inzidenzwerte für welche Öffnungsschritte vorausgesetzt werden.
Christian Lindner, der FDP-Vorsitzende, kritisierte das Vorgehen der Kanzlerin und forderte zum wiederholten Mal eine klare Öffnungsperspektive. „Frau Merkel hat das Wort Öffnung bereits gebraucht, aber dafür solche Bedingungen definiert, dass es in Wahrheit nur eine neue Sprache und keine neue Politik ist“, sagte er der „Schwäbischen Zeitung“. Er erwarte einen Stufenplan und flexiblere Lösungen. Und: „Dass es beim Impfen und bei den Schnelltests nicht vorangeht, ist skandalös.“
Intensivmediziner und Virologen warnten derweil vor den Auswirkungen von Lockerungen. Christian Drosten, Chefvirologe der Berliner Charité, sagte am Dienstag im NDRPodcast, es sei aus gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Überlegungen berechtigt, Maßnahmen zurückzunehmen. „Nur muss man eben auch ganz neutral sagen, was dann auch passieren wird. Es wird passieren, dass dann die Inzidenz wieder steigt.“
- Den Lockdown wegen der Mutationen bis zum 28. März verlängern und gleichzeitig schon nächste Woche spürbare Lockerungen erlauben, diesen Spagat will die neue Runde von Ministerpräsidenten und Kanzlerin hinbekommen. Die wichtigsten Punkte, um die dabei gerungen wird:
Welche Öffnungen könnten als Nächstes kommen?
Erst am 10. Februar hatten die Ministerpräsidenten und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Schaltkonferenz bei der Sieben-Tage-Inzidenz, also der Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche, die Zügel angezogen: Lockerungen sollte es erst unterhalb der Inzidenz 35 geben. Zuvor war seit Mai 2020 die 50 als Maß aller Dinge angesehen worden. Nun wollen Bund und Länder laut Beschlussvorlage „erproben“, wie auch bei Inzidenzen über 35 Öffnungsschritte möglich werden. So sollen ab 8. März grundsätzlich wieder private Treffen für zwei Haushalte erlaubt sein, mit maximal fünf Personen über 14 Jahren. Das Öffnungs-Wirrwarr soll zudem verschwinden – spätetens ab dann könnten bundesweit Buchhandlungen, Blumengeschäfte und Gartenmärkte öffnen. Auch Fahr- und Flugschulen
sollen arbeiten dürfen, wobei „ein tagesaktueller Covid-19 Schnell- oder Selbsttest der Kundin oder des Kunden und ein Testkonzept für das Personal Voraussetzung ist“.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) kündigte am Dienstag an, Baumärkte auf jeden Fall zu öffnen. Die Öffnung der Baumärkte in Bayern setze ihn in der Sache unter Druck, sagte Kretschmann und zog Ulm als Beispiel heran. Die Stadt sei durch die Landesgrenze getrennt, aber die Leute verhielten sich, als sei sie es nicht. „Es ist natürlich nicht sinnvoll, wenn in der einen Stadthälfte der Baumarkt offen ist und in der anderen nicht“, sagte Kretschmann. „Sie können also damit rechnen, dass Baumärkte spätestens am Montag kommender Woche geöffnet werden. Vielleicht auch schon früher“, versprach er. Darüber hinaus sieht Kretschmann zunächst keine schnellen Öffnungsschritte. Auf die Frage, was außer Baumärkten rasch geöffnet werden könne, sagte der Grünen-Politiker: „Erstmal nichts.“Am Montag hatten 16 Bürgermeister, unter anderem aus Markdorf und Meersburg, in einem offenen Brief an Kretschmann appelliert, trotz der angespannten Corona-Lage Öffnungen zuzulassen, etwa in Handel und Gastronomie. Der kleine Einzelhändler in der Innenstadt könne nicht nachvollziehen, warum er „mit hervorragendem Hygienekonzept seine Kleidung nicht mehr direkt verkaufen darf – während die Lebensmitteldiscounter voll sind.“
Wie sollen Schnelltests eingesetzt werden?
Eigentlich hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochen, jeder könne sich ab 1. März bei geschultem Personal einen kostenlosen Schnelltest unterziehen. Doch das konnte er nicht halten. Nun planen Bund und Länder, das Personal in Schulen und Kitas sowie alle Schüler grundsätzlich wöchentlich ein- oder zweimal kostenlos Schnelltests zu unterziehen. Zumindest solange, bis in Deutschland ausreichender Impfschutz in der Bevölkerung besteht. Zudem sollen die Unternehmen verpflichtet werden, „ihren in Präsenz Beschäftigten“ebenfalls wöchentlich Schnelltests anzubieten. Und letztlich soll es dann aber doch noch für jedermann kostenlose Schnelltests geben – in Testzentren oder beim Hausarzt, aber nicht, wie ursprünglich geplant, in Apotheken.
Werden die weiterführenden Schulen geöffnet?
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann zeigte sich am Dienstag skeptisch, dass die weiterführenden Schulen – wie von Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) vorgeschlagen – schon am Montag schrittweise wieder öffnen können. Um Schüler zweimal in der Woche testen zu können, müssten die Test-Kapazitäten an den Schulen deutlich ausgebaut werden. „Ich kann mir nur ganz schlecht vorstellen, dass das bis zum 8. März auf die Beine gestellt wird“, so Kretschmann. Zwar müsse das Gesundheitsministerium die Tests besorgen, für die Umsetzung sei aber die Kultusministerin zuständig. „Wenn sie es hinbekommt in den jetzt verbleibenden Tagen, dann okay“, sagte Kretschmann. In Bayern können sich
Lehrkräfte, Kita-Personal und ältere Schüler seit dieser Woche regelmäßig selbst und kostenlos auf das Coronavirus testen. 1,3 Millionen Selbsttests sollen an die Schulen und Kitas im Freistaat geliefert werden.
Was wird geöffnet, wenn die Inzidenz unter 35 fällt?
Laut Beschlussvorlage soll es landesweit oder regional möglich sein, wenn eine stabile Sieben-Tage-Inzidenz von unter 35 vorliegt, Geschäfte, Museen und Zoos zu öffnen sowie kontaktfreien Sport in Gruppen von bis zu zehn Personen an der frischen
Luft zu erlauben. Bleibt der Inzidenzwert 14 Tage lang unter der 35, soll die Außengastronomie öffnen können, außerdem Theater und Kinos. Im Freien soll Kontaktsport erlaubt sein, im Innenbereich kontaktfreier Sport. In Regionen mit einer niedrigen Sieben-Tages-Inzidenz können sich drei Haushalte mit zusammen maximal zehn Personen treffen – ob das bei unter 50 oder doch erst unter 35 Neuinfektionen pro Woche der Fall sein soll, ist bisher noch umstritten.
Welche Pläne gibt es für Ostern?
Anders als vor einem Jahr sollen Verwandtenbesuche in diesem Jahr grundsätzlich möglich sein. Daher werden dem Papier zufolge die Länder vom 2. April bis zum 5. April – als Ausnahme von den sonst geltenden Kontaktbeschränkungen – Treffen mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen über 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis zulassen, auch wenn dies mehr als zwei Hausstände oder fünf Personen über 14 Jahren bedeutet.
Gibt es eine Notbremse?
Ja. Steigt die Sieben-Tage-Inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen in einer Region deutlich an, sollen laut Beschlussvorlage wieder härtere Maßnahmen greifen – um welchen Wert es sich handelt, ab dem unbedingt reagiert werden muss, ist noch nicht ausgemacht.