Gezerre um Corona-Prämie für die Altenpflege
Fachkräfte sollen 1500 Euro extra bekommen, doch um die Finanzierung wird gestritten
- Die Nachricht vom vermeintlichen Aus des versprochenen Pflegebonus sorgte bei den Betroffenen schnell für Unmut: „Ich bin stinksauer“, sagte Monika Materna, die Leiterin des Seniorenzentrums am Ringweg in Leutkirch im Allgäu. „Wir haben im Team schon gerätselt, wie lange die Wertschätzung andauert“, sagte sie. Es geht um die Wertschätzung der mehr als 70 Voll- und Teilzeitkräfte, die dort 75 Bewohner betreuen. Und das in Zeiten der Corona-Krise unter deutlich erschwerten Bedingungen. Die Senioren dürfen die Einrichtung nicht mehr verlassen, Angehörige seit Wochen nicht mehr zu Besuch kommen. Die Angst vor dem Virus sorgt für höheren Zuwendungsbedarf, die Maskenpflicht erschwert die Arbeit. „Es ist anstrengender geworden“, sagt Materna.
Das sollte belohnt werden, hieß es Anfang April. Die Gewerkschaft Verdi und der Arbeitgeberverband BVAP einigten sich auf einen Corona-Bonus von 1500 Euro, den Vollzeitbeschäftigte mit dem Juli-Gehalt erhalten sollten. Doch wer die Prämie bekommen soll und vor allem, wer das Ganze bezahlt, ist nicht klar. Weil die Krankenkassen am Mittwoch in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“klarstellten, dass sie die Mehrkosten von bis zu einer Milliarde Euro nicht schultern wollten, herrschte am Mittwoch in Berlin helle Aufregung. „Es kann nicht sein, dass allein die Beitragszahler hierfür aufkommen müssen“, erklärte die Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassen-Verbands VDEK, Ulrike Elsner, gegenüber der „FAZ“. AOK-Chef Martin Litsch spielte den Ball von den Kassenmitgliedern an den Steuerzahler weiter: „Die symbolische Anerkennung für systemrelevante Berufsgruppen, die jetzt in der Corona-Krise verstärkt gefordert sind, muss deshalb vom Bund oder von den Ländern kommen, etwa über zweckgebundene Zuschüsse für die Soziale Pflegeversicherung“, sagte er. Kommt es zu keiner Einigung, bliebe die Prämie an den Pflegebedürftigen hängen, die höhere Zuzahlungen berappen müssten. „Genau die Menschen, die Pflege aber schon heute arm macht“, kritisierte Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz und sprach von einer „Blamage“für Gesundheitsminister Jens Spahn.
Der wollte eigentlich an diesem Morgen mit einem Erfolg glänzen, nämlich den höheren Mindestlöhnen in der Branche. Das Kabinett segnete am Mittwochmorgen die Erhöhung auf 12,55 Euro für Pflegehilfskräfte im Jahr 2022 sowie auf 15 Euro für Fachkräfte 2021 ab.
Stattdessen musste Spahn nun im Bundestag erklären, welch „großartige Arbeit“Monika Materna und ihre Kollegen leisten. Und versprach ihnen, dass man zu einer „fairen Verteilung
der Kosten“kommen müsse. „In den nächsten ein, zwei Wochen“wolle er ein konkretes Ergebnis der Verhandlungen haben. Ziel sei, dass der Eigenanteil der Pflegebedürftigen nicht steige.
Spahn nannte als Kompromisskandidaten die Bundesebene, die Arbeitgeber, die Pflegekassen und die Bundesländer, „die zum Teil schon eigene Programme und Angebote gemacht haben“. Spahn meint damit insbesondere Bayern, das mit einem 500-Euro-Pflegebonus vorgeprescht war.
Am Mittwochnachmittag telefonierten Spahn und die Gesundheitsminister, um eine Lösung zu finden. „Es wird eine möglichst bundeseinheitliche Regelung angestrebt“, sagte ein Sprecher von Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) der „Schwäbischen
Zeitung“. Neben dem Staat (also letztlich dem Steuerzahler) sollten sich auch Arbeitgeber und Kassen Gedanken über die finanzielle Aufwertung des Pflegeberufs machen, sagte der Lucha-Sprecher. „Vor diesem Hintergrund haben wir mit einem gewissen Befremden die Weigerung der Kassen zur Kenntnis genommen, sich an einer Lösung zu beteiligen“, erklärte er.
Doch es ist nicht nur zu klären, von wo das Geld kommt. Sondern auch, wer es bekommen soll. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollen gemeinsam schauen, wer in der Pflege den Bonus bekommen soll. Denn das müssen nicht zwangsweise nur die Fachkräfte sein, erklärte Gesundheitminister Spahn. „Ich will nur ein Beispiel sagen: Auch die Reinigungskräfte in Pflegeeinrichtungen leisten natürlich gerade eine wichtige Arbeit“,
sagte der CDU-Politiker. Es sei wichtig, nun alle Berufsgruppen in der Altenpflege in den Blick zu nehmen. Die Gewerkschaft Verdi und Branchen-Arbeitgeber unterbreiteten am Mittwoch einen ersten Vorschlag, der gestaffelte Prämien für Pflegekräfte, Auszubildende und andere Beschäftigte vorsieht.
Aus Sicht von Materna wäre die Prämie auf jeden Fall berechtigt. Vor wenigen Tagen erst ist ein neuer Bewohner eingezogen, der direkt für zwei Wochen in Quarantäne bleiben muss. Pflegekräfte dürfen nur mit Schutzausrüstung in sein Zimmer. Sollte der Corona-Bonus wirklich wegfallen, wäre sie wütend. „Das wäre für uns wirklich eine Wertschätzung gewesen“, sagte Materna. Doch überrascht wäre sie nicht: „Dass Kostenträger die Verantwortung hinund herschieben, kennen wir schon“.