Fliegende Samenspender in Gefahr
Palmen-Flughunde forsten die Brachen Afrikas auf – Aber trotz ihrer wertvollen Dienste landen die Tiere immer wieder in den Kochtöpfen der Menschen
Tagsüber hängen sie schläfrig kopfüber in den Bäumen auf dem Gelände eines Militärkrankenhauses in Accra, der Hauptstadt des westafrikanischen Staates Ghana: 152 000 Palmen-Flughunde verschlafen dort inmitten einer Millionenstadt den Tag. Die fliegenden Säugetiere sind nicht nur ähnlich groß wie die verwilderten Haustauben europäischer Städte, sondern kommen auch in ähnlichen Mengen vor. Aus Sicht eines Wirtschaftswissenschaftlers aber gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen beiden Arten. Während hierzulande die Stadtkämmerer über die hohen Kosten klagen, die sie für das Beseitigen der Tauben-Hinterlassenschaften aufwenden müssen, kurbeln die in den Bäumen afrikanischer Städte hängenden Flughunde die Wirtschaft ihrer Heimat sogar kräftig an. „Palmen-Flughunde verbreiten die Samen von Dattelpalmen, Mangos und anderen Früchten über riesige Entfernungen und können so allein in Ghana jedes Jahr 800 Hektar abgeholzte Flächen wieder aufforsten“, erklärt Dina Dechmann vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell und der Universität Konstanz die Rolle der Tiere im Öko- und Wirtschaftssystem des Landes.
Den Tieren ist die Wirtschaftskraft des Landes vermutlich egal, sie gehen nur ihren alltäglichen Geschäften nach. Diesen Lebenswandel der Palmen-Flughunde untersucht die Biologin Dina Dechmann und entdeckt dabei, dass diese großen Verwandten der Fledermäuse auf der Suche nach leckeren Früchten weit herumkommen. Das tun die Tiere in der Kolonie am Militärkrankenhaus von Accra nicht ganz freiwillig: Rund um die Stadt sind die Wälder und Bäume mit Früchten weitgehend abgeholzt, für die mehr als 150 000 Tiere gibt es dort bei Weitem nicht genug zu fressen. Bei Sonnenuntergang brechen die Flughunde daher auf und fliegen auf der Suche nach einem Abendessen weit in die Umgebung. „Bis zu 95 Kilometer fliegen sie zu einem Baum voller Früchte, an dem sie sich dann den Bauch vollschlagen“, erklärt Dina Dechmann.
Nach dem Fressen geht es dann die gleiche Strecke wieder nach Accra zurück, um die Hitze des Tages im Schatten in der Krone alter Bäume beim Militärkrankenhaus zu verschlafen. Auf dieser Strecke arbeitet die Verdauung der Tiere eifrig und die Flughunde entledigen sich der Reste dieses Vorgangs bereits in der Luft auf dem Nachhauseweg. In ihrem Kot aber stecken die Samen der
Feigen oder des Afrikanischen Teak, die sie zum Abendessen verzehrt haben. „Diese Samen bleiben zwischen einer und acht Stunden im Darm“, berichtet Dina Dechmann von Fütterungsexperimenten. Die PalmenFlughunde verteilen also auf ihrem Rückweg zu ihrer Kolonie über den längst abgeholzten Flächen rund um Accra die Samen von Bäumen, die auch für die Menschen wichtig sind.
Da Palmen-Flughunde anscheinend überall im afrikanischen Regenwald von der Elfenbeinküste am Atlantik bis hinüber nach Kenia am Indischen Ozean leben, übernehmen diese Tiere so eine Schlüsselrolle für die Natur. Zwar fressen auch etliche andere Arten die leckeren Früchte. Affen aber bleiben normalerweise im Wald und scheiden die Samen nur dort, aber nicht auf gerodeten Flächen oder größeren Lichtungen aus, über die Flughunde auf dem Nachhauseweg fliegen. Und da die fliegenden Säugetiere ihr großes Geschäft während des Fluges erledigen, landen die Samen häufig auch auf diesen freien Flächen. Dort aber hadiesem ben die Keimlinge viel weniger Konkurrenz als im Wald und können rasch zu kräftigen Bäumen wachsen. So verteilen die Flughunde nicht nur in Ghana, sondern auch in vielen anderen Ländern Bäume über viel größere Flächen als die allermeisten anderen Tiere und helfen damit beim Wiederaufforsten der gerodeten Gebiete.
In der Zeitschrift Current Biology schätzen Mariëlle van Toor von der Linné-Universität an der schwedischen Ostseeküste und Dina Dechmann mit ihren Kollegen in Radolfzell und Konstanz, dass die Flughunde der Kolonie in Accra mit ihrem Kot 338 000 Samen in einer einzigen Nacht über eine riesige Fläche verteilen. In einem Jahr können die Flughunde Ghanas daher eine Fläche von 800 Hektar aufforsten. Nach einigen Jahren können dort dann nicht nur Flughunde und Affen, sondern auch Menschen Früchte ernten. Die Zweibeiner können natürlich auch das wertvolle Holz des Afrikanischen Teaks schlagen. Insgesamt ermöglichen die Flughunde Ghanas Land damit einen Gewinn von 700 000 Euro im Jahr, schätzen die Forscher.
Allerdings hängen die Flughunde nicht nur in Accra, sondern auch in vielen anderen Städten wie in Ouagadougou in Burkina Faso, aber auch auf dem flachen Land und vermutlich auch fernab von menschlichen
Siedlungen tagsüber in den Bäumen. Nachts fressen die Tiere dann Früchte und verteilen die Samen über große Strecken. Ähnlich wie Zugvögel scheinen die Tiere über große Entfernungen in Regionen zu fliegen, in denen gerade die Regenzeit beginnt und viele Früchte reif werden. Im Oktober treffen im Kasanka-Nationalpark im Herzen Sambias die ersten Palmen-Flughunde ein. Mitte November hängen dort dann rund acht Millionen Tiere tagsüber schlafend in den Bäumen und laben sich in der Nacht an den dort mehr als reichlich hängenden Früchten. Bis Weihnachten und in den ersten Januarwochen fliegen die Flughunde dann wieder zurück und verteilen während der gesamten drei oder vier Monate dieser Reise eifrig Samen, die am Boden später keimen.
Für die Natur und auch für das Wirtschaften der Menschen spielen die Palmen-Flughunde so eine extrem wichtige Rolle. Allerdings wissen die Zweibeiner diese unentgeltliche Hilfe anscheinend nicht so recht zu schätzen. In etlichen Ländern schießen Menschen mit Schrotflinten in die Kolonien der Palmen-Flughunde und sammeln die verletzt aus den Bäumen fallenden Tiere auf. Das ist ein lukratives Geschäft: Mit einem Schuss erwischt man mit ein wenig Glück drei Dutzend Tiere, von denen jedes auf dem Markt in Accra einen US-Dollar bringt. Das ist in Westafrika eine Menge Geld. Da PalmenFlughunde nicht nur als Delikatesse für den Kochtopf sehr beliebt sind, sondern mancherorts auch als Mittel in der traditionellen Medizin begehrt sind, scheinen die Bestände deutlich zu schrumpfen. Dina Dechmann und ihre Kollegen unterstützen daher nach Kräften verschiedene Initiativen, die den Menschen in mehreren Ländern und vor allem den Kindern in den Schulen die wichtige Rolle erklären, die PalmenFlughunde für die Natur und die Wirtschaft spielen. Nur wer den Wert der Tiere kennt, wird sie auch schützen. Diese Erkenntnis gilt nicht nur für die Bienen und andere Insekten in Mitteleuropa, sondern auch für die Flughunde Afrikas.