Wie unser Körper gegen Corona kämpft
Das Immunsystem ist nicht chancenlos gegen das Virus
Achtung! Höchste Gefahr! Ich heiße Corona, auch Sars-CoV-2 genannt, und stelle für die gesamte Menschheit derzeit eine Art Monster dar. Gefährlich und zurecht gefürchtet. Im Moment bin ich in aller Munde, oft im wahrsten Sinne des Wortes. Seit meinem Auftauchen im vergangenen Jahr in Wuhan habe ich die Welt in kürzester Zeit auf den Kopf gestellt. Und mein verheerender Siegeszug ist noch lange nicht zu Ende.
Dominik Harzheim ist Pneumologe und Chefarzt an den Fachklinken in Wangen und damit erklärter Gegner des Coronavirus. Um ihn und seine Kollegen im Kampf gegen das Virus zu unterstützen, versuchen Wissenschaftler auf der ganzen Welt, so viel wie möglich über Corona und die damit einhergehende Erkrankung Covid-19 zu erfahren. Sie haben das Virus analysiert, seine Gene ausgelesen und es beim Eindringen in die menschlichen Zellen beobachtet. Auch Harzheim verfolgt die Forschungsergebnisse aufmerksam und erklärt, warum für manche Menschen das Virus harmlos ist, für andere aber den Tod bedeutet: „Dafür gibt es meines Erachtens drei Kriterien. Erstens: Wie gut und schnell reagiert das Immunsystem? Zweitens: Wie empfindlich ist der Wirt, ist er durch Vorerkrankungen geschwächt? Drittens: Wie viele Viren auf einmal können eindringen? Und gelangen sie direkt in die Lunge oder verbleiben sie erst einmal im MundRachenraum? Das hängt davon ab, ob ich direkt von einem Infizierten angehustet werde und so Tausende von Viren direkt einatme, oder ob ich mich zum Beispiel über wenige Tröpfchen, die noch in der Luft hängen, indirekt angesteckt habe.“
Geschafft! Ich und ein paar Hundert meiner Kollegen sind über winzige Tröpfchen von einem menschlichen Mund in den anderen gewandert. Jetzt haben wir nur ein Ziel. Wir wollen hinein in die Zellen! Nur dafür hat uns die Evolution geschaffen. Mit meinen kronenförmigen Stacheln kralle ich mich an einer menschlichen Zelle in der Mundschleimhaut fest. Hier, wie im gesamten Mund-Rachenraum und auch in der Lunge, finde ich jede Menge Pneumozyten Typ 2, an die ich wunderbar andocken kann. Mit ihrer rauen Struktur sind sie ideale Partner für mich. Doch noch kann ich nicht in die Zelle eindringen. Ich muss warten bis mein Freund Furin vorbeischwimmt.
Furin ist ein Enzym, das im menschlichen Gewebe vorkommt. Es hilft, Proteine zu aktivieren, indem es Teile der Zelle abspaltet. Dabei unterscheidet Furin nicht zwischen einer gesunden und einer befallenen Zelle. Unglücklicherweise macht Furin so auch den Weg für das Coronavirus frei. Es kann dank seiner Hilfe in die Zelle eindringen. Der Mensch hat noch keine Ahnung von den Vorgängen in seinem Körper, obwohl er möglicherweise ein wenig Kopfschmerzen verspürt und ab und zu husten muss. „Er kann jetzt auch andere anstecken“, betont Harzheim.
Das Kommando habe jetzt ich. Die Zelle gehorcht mir aufs Wort, macht, was ich will: Nämlich mich zu vermehren – tausendfach, millionenfach. Und meine neuen Kollegen erobern dann wiederum Zelle um Zelle. Dabei hilft uns der sogenannte Golgi-Apparat der Zelle, der unter anderem für die Vermehrung und den Transport zuständig ist.
Der menschliche Körper ist dem Coronavirus nicht hilflos ausgeliefert. Sobald es in den Mund gelangt, reagiert unsere Immunabwehr, schickt Wächter und Killerzellen los. Sie versuchen, die Eindringlinge zu vernichten und senden gleichzeitig Botenstoffe aus, um weitere Abwehrmechanismen zu alarmieren. Zum Beispiel Antikörper zu produzieren, die die Viren verkleben und neutralisieren. Alles geschieht parallel. Der Mensch spürt, wenn seine Immunabwehr
auf Hochtouren läuft. Er bekommt Fieber, weil das Immunsystem schneller arbeiten kann, je wärmer der Körper ist.
Der Kampf tobt. Aber ich bin stark. Trotz Gegenwehr habe ich es geschafft, bis in die Lunge vorzudringen.
Das kriegt auch der Kranke mit. Er fühlt sich sehr schwach und jedes Mal, wenn er hustet, schmerzt die Brust. Das Fieber steigt weiter, er bekommt Atemnot. „Jetzt schrillen in unserem Körper sämtliche Alarmglocken“, erklärt Harzheim.
Verdammt, die Immunabwehr will partout nicht aufgeben. Also starte ich die nächste Phase und löse einen Entzündungsprozess aus. Erfahrungsgemäß wird das die Körperabwehr stark schwächen. So haben es meine Kumpels, die Bakterien, leichter, vorzudringen und die Situation zu verschärfen. Mal sehen, was dann passiert.
Harzheim spricht in diesem Stadium von einem Machtkampf zwischen Virus und Immunsystem. Der Patient hustet immer stärker und muss eventuell beatmet werden. Denn die Entzündung in der Lunge hat zur Folge, dass sich selbst die kleinen Enden der Bronchien, die Alveolen, mit Flüssigkeit füllen. Sie verstopfen und können keinen Sauerstoff
mehr ans Blut abgeben. „Das nennt man Milchglas-Infiltration und ist in der Computertomografie gut zu sehen. Statt dem durchsichtigen Sauerstoff kann man dann eben die milchige Flüssigkeit entdecken“, erklärt der Pneumologe. Eine mögliche Antwort unserer Abwehr darauf ist der Zytokin-Sturm, um Immunzellen schnell an den Ort der Entzündung zu schicken. Aber je nachdem, wie heftig dieser Sturm ausfällt, kann das auch zu einer Überreaktion des Immunsystems bis hin zu Organschäden führen. Nieren, Leber oder das Herz nehmen allerdings auch Schaden, wenn sie nicht mit genügend Sauerstoff versorgt werden.
Mist. Mir geht es an den Kragen. Die meisten meiner Kollegen sind schon vernichtet oder neutralisiert. Jetzt hat es auch mich erwischt. Die Soldaten der Immunabwehr tragen einmal mehr einen Sieg davon. Mein Kampf ist verloren.
Auch Harzheim konnte schon Covid-19-Erkrankte, die schwere Symptome aufgewiesen haben und beatmet werden mussten, als genesen aus der Wangener Klinik entlassen. „Ob aber Schäden an der Lunge zurückbleiben werden, wissen wir jetzt noch nicht.“