Heuberger Bote

Kollektiv und asiatisch

Die indonesisc­he Gruppe ruangrupa gibt einen Einblick in ihre Pläne für die documenta 2022

- Von Ahmad Pathoni und Caroline Bock

JAKARTA/KASSEL (dpa) - Sie mögen Kassel, weil es so schön ruhig ist. So ganz anders als ihre Heimatstad­t Jakarta, in deren Großraum 30 Millionen Menschen leben. Das erzählt Iswanto Hartono, der zum indonesisc­hen Künstlerko­llektiv ruangrupa gehört, im Interview. Die Gruppe mit einem Kernteam von zehn Leuten wird in zwei Jahren die documenta in Kassel (18. Juni bis 25. September 2022) gestalten. Sie soll auch Leute ansprechen, die sich im Alltag nicht für Kunst interessie­ren.

Es ist kein leichtes Erbe. Die documenta 2017 wurde von Adam Szymczyk kuratiert. Dessen Griechenla­nd-Experiment floppte: Mit den zwei Standorten in Kassel und Athen hinterließ die Ausstellun­g ein Defizit von 7,6 Millionen Euro. Das Land Hessen und die Stadt Kassel sprangen mit einer Bürgschaft ein. Die Geschäftsf­ührerin Annette Kulenkampf­f musste gehen, Sabine Schormann wurde neue Generaldir­ektorin. Auch das künstleris­che Konzept von Szymczyk bekam keine guten Noten.

Nun also ruangrupa, was im Indonesisc­hen etwa „Raum der Kunst“bedeutet. Sie hätten gewusst, dass die documenta eine große Institutio­n sei. Aber sie seien nie dort gewesen. „Was wir über die documenta wussten? Nichts“, sagt Mitglied Reza Afisina in einem mit Büchern vollgestap­elten Büro in Jakarta. „Wir wussten, dass es sie gibt, aber wir haben nie viel darüber nachgedach­t.“Sie seien sich der hohen Erwartunge­n bewusst, aber optimistis­ch, dass ihre documenta ein Erfolg werde.

Für die Geschichte von Deutschlan­ds wichtigste­r Kunstausst­ellung sind es gleich zwei Premieren: Es sind die ersten Kuratoren aus Asien. Und es ist das erste Mal seit dem Beginn 1955, dass ein Kollektiv die documenta gestalten wird. Beides spiegelt aktuelle Trends: Der Blick geht weg aus Europa. Der Teamgedank­e findet sich im Kulturbere­ich häufig. Die Berlinale hat eine Doppelspit­ze, im Theater sind Kollektive schon länger präsent.

In der Kunstwelt sind ruangrupa keine Unbekannte­n. Ihre Werke waren schon bei den Biennalen in São Paulo und in Istanbul oder im Centre Pompidou in Paris zu sehen. In Jakarta machen sie bei der „Gudskul“mit, einem Öko-Studienzen­trum. Auf Bildern sehen sie wie ein Trupp von Kunst-Hipstern aus, die sich weltweit in den Galerien tummeln. Was sie genau machen? Schwer zu sagen. Eigentlich alles: Ausstellun­gen, Festivals, Workshops, Forschung, Bücher. Sie beschäftig­en sich mit der Geschichte des Zuckers genauso wie mit indonesisc­her Untergrund­musik der 1970er-Jahre, ist auf der Homepage zu lesen.

In einer Ausstellun­g zur documenta-Geschichte in Kassel zeigten sie im Herbst einen Vorgeschma­ck: ein Wohnzimmer im Stil der 50er/60er-Jahre. Besucher konnten auf einer Karte die Orte in der hessischen Stadt markieren, die ihnen wichtig sind. Ruangrupa hatten dabei freie Hand. „Die haben dann das gemacht, wofür sie bekannt sind: chillen, entspannen, kommunizie­ren“, sagte Ausstellun­gsmacher Harald Klimpel dazu.

Es geht ihnen aber auch um ernste Themen. Sie wollen den Blick auf das Heilen von „Verletzung­en“richten, die durch wirtschaft­liche und koloniale Ausbeutung entstanden sind. „Wir wollen mit unserem Ansatz verschiede­ne Themen der Gegenwart angehen, dazu gehören Faschismus, Rassismus und wirtschaft­liche Ungleichhe­it“, sagt Iswanto Hartono.

Bei Indonesien müssen viele in Deutschlan­d wohl erst einmal auf die Karte gucken, wo es liegt: nordwestli­ch von Australien. Es war früher eine niederländ­ische Kolonie und hat heute 260 Millionen Einwohner. Der Inselstaat ist das bevölkerun­gsreichste mehrheitli­ch muslimisch­e Land der Welt. Vielen Menschen ist Indonesien aber eher wegen der Orang-Utans oder der Ferieninse­l Bali ein Begriff.

Nun also Kunst aus Südostasie­n: Das ruangrupa-Team will dabei nicht die großen Projekte aus dem Boden stampfen, sondern etwas Bleibender­es in Kassel hinterlass­en. Sie wollen den Austausch mit den Künstlern und Kollektive­n suchen, am Geschehen teilhaben. Iswanto sagt: „Wir wollen dort nicht wie Außerirdis­che landen.“

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FOTO: RUANGRUPA/DPA Typisch ruangrupa: die Installati­on „P_A_U_S_E“. Das indonesisc­he Künstlerko­llektiv mit einem Kernteam von zehn Leuten wird in zwei Jahren die documenta in Kassel gestalten.
 ?? FOTO: AHMAD PATHONI/DPA ?? Die Mitglieder der Gruppe ruangrupa wirken auf den ersten Blick wie ein Trupp von Hipstern, die sich weltweit in den Galerien tummeln. Tatsächlic­h gehören sie derzeit zu den einflussre­ichsten Persönlich­keiten der Kunstwelt. Im Bild sind von links nach rechts Reza Afisina, Ajang Nurul Aini, Mirwan Andan und Iswanto Hartono von ruangrupa zu sehen.
FOTO: AHMAD PATHONI/DPA Die Mitglieder der Gruppe ruangrupa wirken auf den ersten Blick wie ein Trupp von Hipstern, die sich weltweit in den Galerien tummeln. Tatsächlic­h gehören sie derzeit zu den einflussre­ichsten Persönlich­keiten der Kunstwelt. Im Bild sind von links nach rechts Reza Afisina, Ajang Nurul Aini, Mirwan Andan und Iswanto Hartono von ruangrupa zu sehen.

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