Ein schräges Denkmal für den Schneider von Ulm
Der Berblinger-Turm droht teuer und ziemlich schräg zu werden – Das Jubiläumsjahr für den berühmten Sohn der Stadt startet mit einer Posse
G- Die einstige Reichsstadt Ulm kann sich bald in die Liste jener Städte eintragen, in denen ein schiefer Turm Touristen anziehen soll. Anders als in Pisa jedoch ist die schräge Optik in der Münsterstadt gewollt. Der Berblinger-Turm soll eine Verneigung sein vor dem berühmten Sohn der Stadt, der mit einer selbst gebauten Konstruktion über die Donau fliegen wollte, stattdessen aber in selbige plumpste. Auch das TurmProjekt droht den Verantwortlichen auf die Füße zu fallen. Kritik kommt nicht nur vom Bund der Steuerzahler. Die steigenden Kosten sind nur eine Sorge. Eine weitere, vor allem für die Gegner des Projekts: Für die Öffentlichkeit soll der Turm gar nicht zugänglich sein, weil die Statik nicht mitspielt.
Von einer „Farce“ist auf Seiten der Gegner die Rede. Es müsse jedem Häuslesbauer wie „Hohn“vorkommen, dass eine Stadt so viel Geld für „eine schiefe Treppe“bezahlt. Eine Treppe, die nur von wenigen bestiegen werden darf. Und die dennoch gebaut wird, den Stimmen der Grünen und der SPD im Gemeinderat sei Dank. Zuletzt verweigerte die CDU dem „Turmbau zu Ulm“die Gefolgschaft.
Aus der anfänglichen Kostenobergrenze von 500 000 Euro sind mittlerweile 750 000 Euro geworden. Und es ist keineswegs sicher, dass dies das Ende der Fahnenstange sein wird. Denn: Der Untergrund für den 20 Meter hohen Berblinger-Turm nahe der Donau ist offenbar nicht prädestiniert für sein solches Vorhaben. Jetzt wurden bei Grabungen auch noch alte Mauerreste entdeckt. Sie sollen zu jener „Adlerbastei“gehören, von der Albrecht Ludwig Berblinger im Mai des Jahres 1811 zu seinem Sturzflug in die Donau abhob.
Ein Münchner Künstler-Duo, nach dessen Entwurf das Denkmal für den gescheiterten Schneider errichtet werden soll, fand die Stätte jedoch gerade deshalb reizvoll. Wie eine Wendeltreppe soll sich ihr Turm just an jenem Punkt in die Höhe winden, an dem Berblinger in den – auch sozialen – Abgrund sprang. Zwar wurde der Schneider noch aus der Donau gefischt, danach jedoch sein Leben lang geschnitten. Er starb verarmt in einem Hospital.
Begeisterung wecken seine Ideen und sein Mut umso mehr in der Gegenwart. Ulm begeht in diesem Jahr ein Berblinger-Jubiläums-Jahr. Anlass ist dessen Geburtstag vor 250 Jahren. Anlehnungen an seinen selbst konstruierten Flugapparat finden sich auch im Turm-Entwurf. Flügelartige Gebilde zieren die Spitze, es gibt eine Aussichtsplattform, die die Besucher nach einem halben Dutzend Kehren erreichen können – wenn der Turm geöffnet ist. Letzteres wird eher selten der Fall sein. Denn anders als geplant, wird er nicht jederzeit frei zugänglich sein.
Der größte Clou des Turms ist gleichzeitig seine größte Schwäche. Neben seiner Geneigtheit um wenige Grad hin zur Donau soll er auch noch eine gewisse Schwingungsfähigkeit mitbringen. Auch das ist als Berblinger-Reminiszenz zu verstehen: Die Besteiger sollen in des Schneiders Haut schlüpfen, der mit wackeligen
Beinen von einem Gerüst gehüpft war. Allerdings: Zu viele Besucher gleichzeitig könnten den Turm so sehr zum Schwingen bringen, dass es gefährlich wird. Rein technisch sei es zwar möglich, so Tim von Winning, der Ulmer Baubürgermeister, einen schwingenden und schiefen Turm zu errichten, auf dem sich viele Menschen tummeln. Nur: Dann müsse man ein architektonisches „Monstrum“bauen. Von Winning äußert eine weitere Sorge: Betrunkene könnten im Überschwang versuchen, es dem Schneider gleichzutun und vom Turm in die Donau zu hüpfen. Deshalb wird der Zugang verriegelt, nur für Führungen soll aufgesperrt werden. Es gilt die Maxime: Höchstens 30 Personen dürfen gleichzeitig auf die Stufen steigen.
Der Bund der Steuerzahler findet, dass sich die Stadt „verrannt“habe. „Ärgerlich“seien sowohl die voraussichtliche Kostensteigerung um mehr als 50 Prozent als auch dessen nur eingeschränkte Nutzbarkeit. Die Empfehlung der Hüter des Steuergelds an die Stadt lautet, sich „ernsthaft zu überlegen“, die Notbremse zu ziehen.
Dieser Zug scheint allerdings abgefahren. Die Turm-Fans sehen für diesen Fall hohe Zahlungen auf die Stadt zukommen, weil bereits Verträge
unterzeichnet worden sind. Und dann stünde Ulm ganz ohne Berblinger-Denkmal da. Kein Turm scheint auch keine Lösung.
Baubürgermeister von Winning spricht von zumindest einigen Zehntausend Euro, die auch im Falle einer „Notbremse“an einen Statiker gezahlt werden müssen. Diesen habe die Stadt im Nachhinein auf eigene Faust beauftragen müssen, da sich die Berechnungen der beiden Münchner Künstler als nicht ausreichend erwiesen hätten.
Eigentlich hätte der Bau im Herbst starten sollen. Die Arbeiten haben jedoch erst vor Kurzem begonnen. Noch ist unklar, ob es mit der geplanten Eröffnung im Mai klappt. Hält die Stadt aber an ihrem Vorhaben fest, wird in Ulm in absehbarer Zeit nicht nur der höchste Kirchturm der Welt stehen, sondern auch die „teuerste nicht frei begehbare Wendeltreppe der Welt“. Der Schneider von Ulm, der Säulenheilige aller Pechvögel, hätte wohl seine Freude an ihr gehabt. Vielleicht sogar Schadenfreude? Zumindest könnte er für sich in Anspruch nehmen, dass sein Vorhaben zumindest durchdacht war. Spätere Untersuchungen ergaben: Sein Apparat war flugfähig. Er hatte vor seinem Sturzflug schlicht die Thermik falsch berechnet.