ÜBERALL BAUSTELLEN
Unterwegs mit Verkehrsminister Andreas Scheuer
- Eigentlich fehlt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer zur Attacke nur noch der erhobene Säbel. Aber das wäre bei der Verbandstagung der bayerischen Spediteure in der Lindauer Inselhalle wohl doch nicht angemessen. So bleibt dem 44-jährigen CSU-Politiker am Freitagnachmittag bloß das Saalmikrofon. Ziel des ministeriellen Angriffs ist Tirol, sein gegenwärtiges Lieblingsopfer. „Der Weg über den Brenner muss frei sein“, fordert Scheuer höchst energisch. Er sieht dabei in „Deutschland und Italien, Südtirol und Brüssel“Verbündete seiner Ansichten. Gemeinsam soll dem Tiroler Landeshauptmann Günther Platter praktisch diktiert werden, wie der Verkehr in dessen Land zu laufen hat.
Lautstarker Beifall erschallt in der Inselhalle. Die Spediteure verabscheuen naturgemäß alles, was ihr Geschäft schwerer und teurer macht. Zudem kennt man sich. Den Verbandspräsidenten Heinrich Doll nennt Scheuer „lieber Heinrich“. Sein Auftritt wirkt wie ein Heimspiel. Er kann jovial und kumpelhaft auftreten – und gute Laune versprühen. Der Lindauer Auftritt wird ihm auch gutgetan haben – quasi die Steigerung eines Gute-Laune-Tags.
Station in Leutkirch und Wangen
Bereits zuvor hat Scheuer in Leutkirch im Allgäu einem geneigten Publikum aus regionaler Politik und Wirtschaft seine Anstrengungen beim Breitbandausbau erläutern dürfen. Dafür ist sein Ministerium bekanntlich ebenfalls zuständig. Auch dafür erhielt er Beifall. Danach ließ sich der Minister im nahen Wangen Probleme beim geplanten Bau einer Bahnunterführung an der B 32 erklären. In Scheuers Augen wohl eine Petitesse, die ihm die Rolle als launiger Helfer ermöglichte. Spontan herzte er den erschrockenen Oberbürgermeister Michael Lang. Dann ging es weiter nach Lindau.
Vielleicht sollte man Scheuer seinen Ausflug aufs flache Land gönnen. In Berlin hat er es gegenwärtig nicht leicht und gilt als eines der schwächsten Mitglieder im Bundeskabinett. Medien machen sich einen Spaß daraus, ihn als „Verkehrtminister“zu bezeichnen. An Stammtischen wird sein Name immer mal wieder zu „be-scheuer-t“ergänzt. Angesichts seines Nachnamens eine zwar naheliegende, aber ebenso unter die Gürtellinie gehende Häme. Dass er so viel davon abbekommt, hat mit der Pleite bei der Pkw-Maut für Autobahnen zu tun.
Im Juni war das Prestigeprojekt des Bundesverkehrsministers vom Europäischen Gerichtshof gekippt worden. Ausgerechnet Österreich hatte gegen die Maut geklagt. Die Richter gaben der Regierung in Wien recht. Sie sahen in den Mautplänen eine Diskriminierung ausländischer EU-Bürger, weil den Deutschen das Wegegeld über eine niedrigere KfzSteuer zurückgegeben werden sollte. Scheuer wirkte nach dem Richterspruch überrascht. Nach außen hin sah er zudem blamiert aus.
Dabei war die Maut gar nicht sein ureigenstes Projekt. Es stammt von Scheuers Parteifreund Alexander Dobrindt, der bis Herbst 2017 im Amt war. Wobei ergänzt werden muss, dass die Pkw-Maut von Anfang an in der CSU als Parteivorhaben verstanden worden ist. Die Geschichte führt zurück in den Bundestagswahlkampf 2013. Damals glaubten die Christsozialen, dem vermeintlichen Volksempfinden gerecht zu werden, in dem sie eine „Ausländermaut“propagierten – gegen alle Warnungen, dass so etwas gemäß EU-Gesetzgebung kaum funktionieren kann.
Scheuer darf nun die Trümmer wegräumen. Zum einen eine politische Niederlage für ihn. Schwerwiegender ist aber ein vorschnelles Handeln des Ministers. Ohne das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten, hatte er bereits Ende 2018 Verträge mit Mautbetreibern besiegelt. Diese können nun womöglich zig Millionen Euro Entschädigung fordern. Die Opposition wirft Scheuer deshalb vor, leichtfertig Steuergeld verschleudert zu haben. Der Minister wiederum verteidigt sich damit, er habe rechtzeitig die möglichen Mauteinnahmen sichern wollen. Teilnehmer der entsprechenden Pressekonferenz in Berlin erinnern sich, dass Scheuer ziemlich „nassforsch“aufgetreten sei. Motto: Vorwärtsverteidigung.
Zurückhaltung gehört nicht unbedingt zu Scheuers Habitus. Charakteristischer ist vielmehr der starke Wille, bei Projekten Nägel mit Köpfen zu machen. Er gilt in seiner Partei nicht als Mann, der die Dinge einfach laufen lässt – im Prinzip eine positive Eigenschaft, aber im aktuellen Fall eben schädlich. Zumal er sich auch in den Tagen nach dem Mauturteil nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Im Gegenteil: Diverse seiner Vorstöße erweckten den Anschein, als sollten sie das Mautdebakel vergessen machen.
Erst wollte Scheuer Autofahrern die Erlaubnis verschaffen, ohne weitere Prüfung auch schwere Motorräder fahren zu dürfen. Selbst das CSU-geführte bayerische Innenministerium meldete Bedenken an: womöglich zu gefährlich. Tage später ging Scheuer auf die Tiroler los. Deren Landeshauptmann hatte Fahrverbote für die Wochenenden verhängt, um samstags und sonntags den Ausweichverkehr von der Autobahn herunter in die Dörfer zu verhindern. Scheuer lief zu großer Form auf und giftete: Das Vorgehen der Tiroler sei „zutiefst diskriminierend“, er könne dies „nur aufs Schärfste zurückweisen“, seine Leute würden eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof vorbereiten.
Offenbar war bei Scheuer nicht angekommen, dass die Fahrverbote auch für Österreicher gelten. Gleichzeitig machte der Minister den Eindruck, mit Tiroler Verkehrsverhältnissen wenig vertraut zu sein. Immerhin hatte sich der Alpentransitverkehr bei Staus auf den Autobahnen plötzlich durch kleine Bergdörfer gewälzt. Absurd, sie erstickten im Verkehr. Desweiteren brachte Scheuer die Fahrverbote mit der immer mal wieder von Tirol verhängten Lkw-Blockabfertigung an der Grenze bei Kufstein in Verbindung. Hier geht es aber nicht um Italienurlauber, sondern um den zunehmenden Güterverkehr auf der Brennerroute. Aber egal, Hauptsache, es geht gegen Tirol, scheint die Parole zu lauten.
Vor den Spediteuren in Lindau wirft Scheuer den Nachbarn vor, eine einst geltende billige Korridormaut für die ersten Kilometer nach der Grenze abgeschafft zu haben. Was einem Verbiegen der tatsächlichen Verhältnisse gleichkommt. Denn für die Maut ist nicht Tirol, sondern der österreichische Autobahnbetreiber Asfinag beziehungsweise die Bundesregierung in Wien zuständig. Zudem wirft er Tirol vor, durch günstiges Benzin Verkehr in ihr Land zu ziehen. Aber auch die Mineralölsteuer wird nicht in Innsbruck, sondern in Wien beschlossen. Im Saal goutierte man seine Bemerkungen trotzdem.
Scheuer ist schon oft schnell mit deftigen Worten gewesen. Prägend dürfte in diesem Zusammenhang sein Job als CSU-Generalsekretär von 2013 bis 2018 gewesen sein. Menschen auf diesem Posten sollen nach traditioneller Ansicht der Christsozialen „Wadlbeißer“sein. Eine seiner heftigsten Bemerkungen fiel am 15. September 2016 im Regensburger Presseclub. Scheuer sprach über das Flüchtlingsthema und sagte: „Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist – weil den wirst du nie wieder abschieben. Aber für den ist das Asylrecht nicht gemacht, sondern der ist Wirtschaftsflüchtling.“Selbst aus seiner Partei heraus wurde er von einigen wegen dieser Sätze kritisiert. Der damalige bayerische Ministerpräsident und CSUChef Horst Seehofer stand jedoch zu seinem Generalsekretär.
Steile Parteikarriere
Richtig gestolpert ist Andreas Scheuer noch nie. Er hat eine relativ zügige Parteikarriere gemacht. Sie fing in seiner niederbayerischen Geburtsstadt Passau an. Dort machte er 1994 das Abitur. Im selben Jahr erfolgte sein Eintritt in die Junge Union und die CSU. 2002 zog er als Abgeordneter in den Bundestag ein. Ein Jahr zuvor hatte Scheuer ein Studium an der Passauer Uni abgeschlossen. Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft waren seine Fächer gewesen.
Etwas irritierend ist, dass sich Scheuer zwecks Erlangung eines weiteren akademischen Titels an die Prager Karlsuniversität begab. Dort erhielt er einen sogenannten „kleinen Doktorgrad“der Philosophie für eine Arbeit über die CSU. Im Prinzip ist dies eine Art besserer Mastertitel, weitere wissenschaftliche Ambitionen sind nicht überliefert. Scheuer versuchte dennoch sich mit einem „Dr.“vor seinem Namen zu schmücken. Damit hatte es erst ein Ende, als 2014 Plagiatsvorwürfe gegen ihn erhoben wurden. Nach einer Prüfung der Karlsuniversität ergaben sich zwar keine schwerwiegenden Verstöße gegen die Ethikregeln, dennoch zog Scheuer rasch die Notbremse. Fortan verzichtete er auf jeglichen Titel. Thema abgehakt, weiter geht’s – so wie es immer wieder seiner Handlungsweise entspricht.
Bloß bei den Tirolern lässt der CSU-Mann nicht locker. In Lindau erklärt er den Spediteuren noch einmal, wie es weitergehen soll. Scheuer hat den österreichischen Verkehrsminister Andreas Reichhardt und Tirols Landeshauptmann Platter nach Berlin eingeladen. Beide haben grundsätzlich zugesagt. Platter hat aber bereits betont, nichts zu akzeptieren, was seiner Meinung nach den Menschen in Tirol schade. Worauf Scheuer in Lindau einmal mehr über „Blockaden und die Verhinderung des freien Warenverkehrs“schimpft. Die Pleite bei der Pkw-Maut ist dagegen kein Thema mehr.
„Der Weg über den Brenner muss frei sein.“Verkehrsminister Andreas Scheuer in Lindau