In der Vojvodina denken Gäste oft an Piroschka
Die Bevölkerung der autonomen Provinz im Norden Serbiens gleicht einem ethnischen Mosaik
etritt man in Novi Sad ein öffentliches Gebäude, kommt es nicht selten vor, dass es Hinweisschilder gleich in fünf Sprachen gibt: auf Serbisch, Ungarisch, Slowakisch, Russinisch und Rumänisch. Gottesdienste in den Kirchen finden auf Ungarisch, Kroatisch, Altslawisch und Russinisch statt. Verwirrt? Kein Wunder! Denn Serbien ist ein Vielvölkerstaat, und ganz besonders die Bevölkerung der autonomen Provinz Vojvodina gleicht einem ethnischen Mosaik. Das friedliche Miteinander wird heute gerne als Modell für mehr Toleranz auf dem unruhigen Balkan angeführt.
Die Vojvodina ist eine fruchtbare Tiefebene im Norden Serbiens und wird nach Süden hin begrenzt durch die Donau und die Save. Cineasten und Ältere erinnern sich vielleicht an den Film „Ich denke oft an Piroschka“mit Liselotte Pulver in der Hauptrolle – der Lustspielklassiker wurde hier in dieser Kornkammer gedreht. Serben stellen den Hauptteil der rund zwei Millionen Bewohner der Vojvodina; Hauptstadt ist Novi Sad. Anerkannte Minderheiten sind unter anderem Ungarn, Slowaken, Kroaten, Rumänen, Bunjewatzen, Sokci, Russinen (Ruthenen), Ukrainer, Deutsche und Bulgaren.
So bunt diese Mischung ist, so verschiedenartig sind auch Kunst, Religion und Kulinarik. Die Einflüsse aus der Türkei, dem Nahen Osten, Mittel- und Westeuropa machen diesen Landstrich zudem zu einem verborgenen Schatz für alle an Geschichte interessierten Reisenden.
Im Dorf Tavankut zum Beispiel pflegen die kroatischstämmigen Einwohnerinnen die traditionelle Volkskunst des Strohflechtens. Diese Technik beherrschten einst die Mädchen, die nach der Ernte aus goldgelbem Weizenstroh Schmuck anfertigten, während sie auf die Tiere auf den Stoppelfeldern aufpassten. Heute flechten die Frauen unter anderem Wandbilder mit dreidimensionalen Effekten, Bilder auf Grußkarten und Schmuckkästchen mit Intarsien. Die schönsten Objekte werden in einem kleinen Museum aufbewahrt.
Kovacica hingegen ist eines von sieben Dörfern der Slowaken, von denen sich viele der naiven Malerei verschrieben haben. Zuzana Veresky hat sich in ihrem Haus ein Atelier eingerichtet und erzählt, dass sie schon als Kind von morgens bis abends gemalt habe, zur Not auch mit einem Stock im Staub. „Meine Kunst hat mich und meine Bilder schon auf alle fünf Kontinente geführt“, sagt die temperamentvolle 63-Jährige. Ihre Motive sind das Leben auf dem Dorf, Erinnerungen an früher und vor allem Blumen.
Viele Russinen, auch Ruthenen genannt, leben in Ruski Krstur, ihrem geistlichen und kulturellen Zentrum. Sie kamen 1751 aus dem Nordosten des früheren Ungarn – heute Slowakei und Karpatenukraine – in diese Gegend. Russinen sind griechischkatholischen Glaubens und erkennen den Papst als ihr religiöses Oberhaupt an. In Ruski Krstur steht das weltweit einzige russinischsprachige Gymnasium; mit zahlreichen Veranstaltungen und Festen erhalten die Russinen ihre Identität.
Der rumänisch-orthodoxen Kirche gehören die Rumänen in Serbien an, die mehrheitlich in Vrsac wohnen. Das Weinbaugebiet liegt nur ungefähr 75 Kilometer von Temeswar in Rumänien entfernt. Auch die Rumänen versuchen, mit eigenen Schulen, eigenen Zeitungen und eigenen Kirchengemeinden ihre Herkunft nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ion Cissmas ist so etwas wie der gute Geist der Rumänen in Vrsac. Der 50Jährige hat Geschichte studiert und arbeitete zunächst als Journalist beim Fernsehen, bevor er in die Politik ging. Heute ist er Präsident der rumänischen Abordnung im serbischen Parlament. Auf die Frage, ob er sich mehr als Serbe oder als Rumäne fühle, antwortet er: „In erster Linie bin ich Europäer.“Sieben Nationalitäten habe sein Großvater im Laufe seines Lebens gehabt, ohne auch nur ein Mal seinen Wohnort gewechselt zu haben. „Wir brauchen jetzt ein einheitliches Europa“, plädiert er.
Genug des Landlebens, auf in die Stadt. Subotica hat rund 100 000 Einwohner, liegt nur 15 Kilometer von der ungarischen Grenze entfernt – und ist wunderschön. Im Zentrum reiht sich ein Jugendstil-Gebäude ans andere, auf den breiten Prachtboulevards flanieren die Menschen oder sitzen in eleganten Straßencafés unter hohen Bäumen. Wahrzeichen der Stadt ist das Rathaus, das zwischen 1908 und 1912 erbaut worden ist. Es beherbergt die Verwaltung, das Touristenbüro sowie einige Geschäfte und Banken. Außerdem hat es einen 76 Meter hohen Turm, der bestiegen werden kann und von dem man einen großartigen Blick über die Stadt genießen kann.
Vor dem Ersten Weltkrieg gehörte Subotica zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn und wurde auch Maria-Theresiopolis genannt. Noch heute sind 50 Prozent der Einwohner Ungarn. Sehenswert ist neben dem Raichle-Palast die restaurierte jüdische Synagoge, erbaut in der ungarischen Variante des Jugendstils – sie gilt als eine der schönsten Europas.
Zurück nach Novi Sad, dem Ausgangspunkt der Reise. Die eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten der zweitgrößten Stadt Serbiens sind der großzügige Freiheitsplatz im Zentrum mit Marienkirche und Rathaus sowie die Festung Petrovaradin mit ihren einzigartigen Labyrinthen und unterirdischen Galerien. 1999 wurde hier im Kosovokrieg bei einem Angriff der Nato die alte Marschall-Tito-Brücke zerstört. 22 Jahre später, nämlich 2021, wird Novi Sad Europäische Kulturhauptstadt und ist damit die erste Kulturhauptstadt eines EU-Beitrittskandidatenlandes überhaupt. So schnell ändern sich die Zeiten – hier zum Guten. Wer Musik mag und im Juli in die Vojvodina reist, darf das Festival „Exit“nicht verpassen, das alljährlich in Novi Sad in den alten Mauern der Festung Petrovaradin über die Bühne geht. Open-Air-Fans aus der ganzen Welt pilgern hierher, denn „Exit“ist Südosteuropas größtes Rockevent.
Nach sage und schreibe 15 Jahren der Schließung und Renovierung ist das Serbische Nationalmuseum in der Hauptstadt Belgrad im Sommer 2018 wieder eröffnet worden. Ursprünglich wurde es 1902 bis 1903 als Gebäude der Hypothekenbank errichtet. Das Museum zeigt frühgeschichtliche Skulpturen, mittelalterliche Ikonen, aber auch zeitgenössische Kunst. Wer sich noch ein bisschen Urlaub mit nach Hause nehmen will, der kauft am besten ein Glas Ajvar – vorzugsweise direkt von einem Bauern. Die rote Paste aus Paprika schmeckt nach Serbien und eignet sich gleichermaßen als Würzmittel wie auch als Dip oder Brotaufstrich. Gern genommen wird auch der Obstschnaps Rakija, der nach einer Art Reinheitsgebot hergestellt wird. Der Obstbrand aus Zwetschgen wird Sliwowitz genannt. (bil)