Endlich ein Siegspringer
Der Oberstdorfer Karl Geiger beschert den deutschen Skispringern den ersten Erfolg 2018
(SID) - Riesenjubel über Karl Geigers Coup, große Sorge um Richard Freitag: Die deutschen Skispringer sind bei der Generalprobe für die Vierschanzentournee im Schweizer Engelberg mitten im Gefühlschaos gelandet. Während eine erneute Hüftverletzung für ein dickes Fragezeichens hinter Freitags Tourneeplänen sorgt, ist Geiger nach seiner Siegpremiere im Weltcup plötzlich ein ganz heißer Favorit für den ersten Saisonhöhepunkt.
Allerdings fiel die Feier im Teamhotel der deutschen Skispringer bescheiden aus. Geiger hat schließlich in den nächsten Wochen noch Großes vor. Dennoch genoss der bisher selten in der ersten Reihe stehende DSV-Adler aus Obersdorf seinen Flug ins Rampenlicht in vollen Zügen: „Das ist schwer in Worte zu fassen, es war ein genialer Tag“, sagte Geiger. Insgesamt war es für ihn „ein grandioses Wochenende“, denn auch 24 Stunden nach seinem Triumph im ersten Springen von der Gross-Titlis-Schanze erreichte er ein beachtliches Ergebnis, verpasste als Vierter beim Sieg von Weltcup-Spitzenreiter Ryoyu Kobayashi einen weiteren Podestplatz nur um umgerechnet einen halben Meter.
Das konnte der 25 Jahre alte Oberstdorfer aber locker verschmerzen. Denn hatte Geiger zuvor lange auf seinen Durchbruch gewartet, auch wenn der sich schon oft angekündigt hatte. Im 107. Weltcup-Springen seiner Karriere stand er dann erstmals ganz oben, stürmte mit einem Wahnsinnssprung auf 141,0 m im zweiten Durchgang von Platz fünf noch zum Sieg: „Dass ich ganz oben stehen könnte, hätte ich nicht gedacht“, sagte Geiger, der zuvor im Februar 2016 in Lahti als Zweiter seine einzige Podestplatzierung erreicht hatte: „Jetzt weiß ich aber, was möglich ist, wenn alles zusammenpasst. Es ist immer gut, wenn man so kurz vor der Vierschanzentournee sieht, dass man gut in Form ist.“
Sieben Mal in sieben Saisonspringen landete Geiger unter den besten Zehn, das macht ihn zum deutschen Kandidaten Nummer 1 auf eine Spitzenplatzierung bei der Tournee, die am 29. Dezember in Geigers Heimatort Oberstdorf beginnt.
Was bei Geiger möglich ist, hatte Bundestrainer Werner Schuster schon vor Saisonbeginn geahnt. „Karl hat nahtlos an Olympia angeknüpft, hat einen richtigen Schub bekommen, nicht nur sportlich, sondern auch persönlich“, sagte Schuster. Der Österreicher hatte Geiger in der Vorsaison gestützt, als es bei diesem sehr mäßig lief, ihn beim Olympia-Teamspringen aufgeboten – was Geiger mit einer ganz starken Leistung zurückzahlte.
Freitag und Freund bereiten Sorge
Seit diesem Silber von Pyeongchang läuft es prächtig, Geigers Karriere nahm rasant an Fahrt auf, nachdem sie bei allem Talent lange vor sich hingeplätschert war. „Bei mir ging es nicht so schnell, ich war nicht mit 17 schon Weltklasse – da war ich noch im Deutschland-Pokal unterwegs und habe versucht, mich Schritt für Schritt weiterzuentwickeln“, sagte Geiger: „Da muss man geduldig bleiben.“Diese Geduld, diese urallgäuer Gelassenheit, sie zahlt sich nun aus. „Toll, dass wir einen neuen Siegspringer haben“, sagte Schuster.
Doch nicht nur wegen Geiger, der dafür sorgte, dass den deutschen Springern das erste Kalenderjahr ohne Einzelsieg seit 2010 erspart bleibt, sieht Schuster seine Adler gerüstet. „Wir haben ein ordentliches Niveau, sind mannschaftlich geschlossen“, sagte der Österreicher.
Gefallen hatte ihm auch der Aufschwung von Markus Eisenbichler, der nach am Samstag verpasstem zweiten Durchgang zum Abschluss Sechster wurde. Stephan Leyhe (Plätze sechs und elf) ist eine Bank, Olympiasieger Andreas Wellinger (14. und 24.) sucht seine Form. Größtes Sorgenkind bleibt aber Richard Freitag (bestes Ergebnis in diesem Winter ein 14. Platz in Kuusamo). Freitag trat, nachdem es den Sachsen in der Probe am Samstag ordentlich beim Telemark zusammengestaucht hatte, zwar noch zum Wettkampf an, schied als 31. nach dem ersten Durchgang aber aus und klagte danach über Schmerzen an der Hüfte, die er sich vor einem Jahr in Innsbruck lädiert hatte. Ob Freitag den letzten Lehrgang vor der Tournee wie geplant bestreiten kann wird sich in den kommenden Tagen zeigen.
Ein schwarzes Wochenende erwischte auch Severin Freund, der im ersten richtigen Tief nach der Rückkehr aus langer Verletzungspause steckt: An beiden Tagen den zweiten Durchgang verpasst – der Weg zu alter Stärke ist noch weit. Wie gut, dass der Bundestrainer bis dahin einen Karl Geier hat.