Kein Ende der Müllflut in Sicht
Chinas Importstopp von Kunststoffabfällen schadet nicht nur der deutschen Recyclingquote
- Alle paar Meter liegen Plastikflaschen im Staub. Aus einem vorbeifahrenden Auto kommt eine weitere dazu – achtlos weggeworfen. Eine typische Szene in China. Auf den Dörfern sammelt sich in offenen Müllhäuschen tagelang der Abfall, da nur selten ein Müllsammler vorbeikommt. In urbanen Gegenden, wie in Peking, der Hauptstadt Chinas, gibt es sie – wie die alte Frau, die durch enge Gassen schlurft und einen riesigen Sack voller Plastikflaschen auf dem Rücken hat. Ihr Ziel ist der Recyclinghändler am Ende der Straße. Dieser nimmt sauberes Plastik, Pappe oder Metall an. Auf dem handgeschriebenen Pappschild des Händlers steht „Warenannahme zu hohen Preisen“.
China hat ein Plastikproblem. Nach offiziellen Statistiken produzieren 60 Prozent der Städte mehr Müll, als sie entsorgen können, – größtenteils Plastik. Dass die Recyclingrate ist niedrig ist, Deponien überfüllt sind, verschärft die Lage. Zudem sind viele Verbrennungsanlagen veraltet und stoßen im Vergleich zu moderneren Anlagen mehr Schadstoffe aus. Auf dem Land fehlt vielfach ein richtiges Abfallmanagement. Trotzdem war China jahrzehntelang bereit, zusätzlich noch Müll aus dem Westen, auch aus Deutschland, anzunehmen: 2017 importierte die Volksrepublik 43,7 Millionen Tonnen fester Abfälle.
Mit den Müllimporten hat China während des Wirtschaftsbooms der 1980er-Jahre angefangen, als Metalloder Plastik-Rohstoffe angesichts des rasanten Wachstums knapp wurden. Denn der Müll aus dem Ausland war oft billiger als die Rohstoffe. Seit 1992 importierte China allein 106 Millionen Tonnen Plastikmüll, schrieb die US-Zeitschrift „Science Advances“. Zu Spitzenzeiten führte China laut Greenpeace jedes Jahr fast neun Tonnen Plastikmüll ein.
Müll der halben Welt
Doch vergangenes Jahr änderte die chinesische Regierung ihren Kurs. Ende 2017 verbot China Importe zunächst von gefährlichen Abfällen, dann, Anfang 2018, zusätzlich 24 Arten festen Mülls – darunter Plastikabfälle, Stoffreste, unsortiertes Altpapier. Im kommenden Jahr verschärft China das Verbot weiter – dann darf überhaupt kein Plastik mehr aus dem Ausland, auch nicht aus Deutschland, eingeführt werden.
Noch 2016 gingen 47 Prozent des weltweit gehandelten Plastikabfalls nach China, schreibt die „Welt“. Besonders viel kam aus Japan, den USA und eben auch aus Deutschland. Der durchschnittliche Deutsche produziert demnach 216 Kilogramm Verpackungsmüll pro Jahr, 37 Kilogramm davon sind Plastikverpackungen. Ein Teil ist gut getrennt und sortenrein und lässt sich leicht wiederverwerten, zum Beispiel PET-Flaschen. Anders sieht es bei Folien aus oder wenn bei Verpackungen verschiedene Sorten Plastik miteinander verschweißt sind. Bisher ließ sich beides gewinnbringend nach China verkaufen, und weil das in der Statistik als Weiterverwertung zählte, wurde damit auch noch Deutschlands ambitionierte Recyclingquote erfüllt, schreibt die „Welt“weiter. Die liegt derzeit bei 36 Prozent, damit ist Deutschland ein Vorzeigeland der Müllverwertung. In fünf Jahren soll die Quote sogar bei 63 Prozent liegen.
Doch auch die Chinesen haben ein Problem mit dem Importverbot, besonders von Plastikmüll. „Das bedeutet eine komplette Umstellung des Betriebsmodells der gesamten chinesischen Kunststoffrecycling-Industrie“, sagte Wang Yonggang von der China National Resources Recycling Association. Ein Drittel der bestehenden Recyclingbetriebe habe sich bereits darauf eingestellt, so Wang. Andere Betriebe führten entweder eigene Recyclingsysteme in ihrer Region ein oder bauten entsprechende Anlagen außerhalb der Volksrepublik. Der Grund für die Umstellung ist, dass das Plastik aus dem Ausland qualitativ besser und ordentlicher sortiert ist als der heimische Plastikmüll.
„Plastikmüll aus dem Inland ist schmutzig, die Qualität ist schlecht, und es gibt keine Standards“, erklärt Liu Hua von Greenpeace in Peking. Zum Beweis zeigt er gerne ein Video, das der Umweltschutzaktivist bei einer Pekinger Wohnanlage gedreht hat, bei der ein Pilotprojekt zur Mülltrennung läuft.
Drei Tonnen sind in dem Video zu sehen – für Küchenabfälle, recycelbaren Müll und Restmüll. Zu unterscheiden ist der Inhalt der verschiedenen Tonnen kaum – und am Ende kippen die Arbeiter der Müllabfuhr alle drei Tonnen zusammen in den Müllwagen. Mülltrennung – die funktioniert überhaupt nicht“, kritisiert Liu. „Die Anwohner sagen, sie hätten keine Zeit zum Sortieren“, erzählt er von Gesprächen. Außerdem sei die Mülltrennung freiwillig, womit letztlich auch der Anreiz fehle“.
Probleme mit dem Recycling
Seit März gibt es in 46 Städten staatliche Mülltrennungsprojekte wie in Peking – derzeit noch parallel zu den alten, unregulierten Recyclinghändlern, die Geld für den Müll zahlen. Ausnahmen sind da die wenigen Städte, die mit smarten Mülltonnen experimentieren. Für richtig eingeworfenen Abfall zahlen diese Tonnen Geld aus oder es gibt Bonuspunkte, die auf Chipkarten gespeichert werden.
Doch in der Regel erfüllen besonders die kleineren Recyclingfirmen laut Liu keinerlei Standards, manche seien sogar illegal. „Plastikmüll schädigt nicht direkt das Wasser, so wie es andere Schadstoffe aus ungeklärten Abwässern tun. Daher kämpft die Regierung vorrangig gegen die Schadstoffe“, sagt Ma Jun, Direktor des Institute of Public & Environmental Affairs (IPE) in Peking und einer der angesehensten Wasserexperten des Landes. Daher treiben Kunststoffabfälle in Chinas Seen und Flüsse, zerfallen zu Mikroplastik und fließen schließlich ins Meer.„Plastik hat noch keine Priorität“, sagt Ma und geht davon aus, dass es erst schlechter werde, bevor sich die Lage bessert.
Neben all den Problemen, die China mit dem eigenen Müll hat – die Volksrepublik soll zusammen mit Indonesien, Thailand, den Philippinen und Vietnam für mehr als die Hälfte des in den Weltmeeren treibenden Plastikmülls verantwortlich sein, was schätzen Umweltorganisationen wie der WWF schätzen – bleibt die Frage ungeklärt, wer jetzt den Müll nimmt, der nicht mehr nach China darf.
„Es gibt nicht das eine Land, das Chinas Recycling-Kapazität ersetzen kann“, sagt Adam Minter, Autor des Buches „Junkyard Planet: Travels in the Billion-Dollar Trash Trade“. „Aber in den vergangenen sechs Jahren haben wir beobachtet, dass mehr Material nach Südostasien geflossen ist. Langfristig wird auch Indiens produzierendes Gewerbe ein bedeutender Importeur sein.“Das Problem ist, dass diese Länder ja auch längst zu viel eigenen Müll haben – genau wie Deutschland.