Das Gemeinwohl im Sinn
Immer mehr Unternehmen handeln nach ethischen Grundsätzen – Umstrittenes Konzept
- Der Sensorikhersteller Elobau aus Leutkirch hat das „Sie“abgeschafft. Firmenparkplätze sollen demnächst alle Mitarbeiter und nicht nur Führungskräfte nutzen können. Der Grund: Das Unternehmen fühlt sich dem Gemeinwohlgedanken verpflichtet. Daher hat es zum zweiten Mal eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt, die „der Organisationsentwicklung ein übergeordnetes Wertegerüst gibt und Impulse oder Anreize für Maßnahmen liefert“, erklärt der Nachhaltigkeitsbeauftragte des Unternehmens, Armin Hipper.
Diese Bilanzierungsform folgt der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ), die eine alternative Wirtschaftsordnung beschreibt. Sie versteht sich als liberale und ethische Marktwirtschaft und strebt nicht nach Gewinn. Das Ziel ist es, Grundwerte demokratischer Gesellschaften mit den Gesetzen der Marktwirtschaft in Einklang zu bringen. Die Idee dazu stammt von Christian Felber, einem politischen Aktivisten aus Österreich. Das ökonomische Konzept ist unter Wirtschaftsexperten stark umstritten, da es die Innovation hemmt, die wirtschaftliche Freiheit eingrenzt und wenig Vergleichbarkeit bietet. Dennoch orientieren sich immer mehr Unternehmen an der GWÖ.
Elobau ist eines von 400 teils internationalen Unternehmen, das eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt oder zumindest Mitglied der Bewegung ist. Der Grund: „Einen öko-sozialen ‚Kontoauszug‘ in der Hand zu haben, der uns bei der nachhaltigen Entwicklung Orientierung bietet, hat mich von Anfang an angesprochen“, sagt ElobauChef Michael Hetzer.
Im Juli hatte das Unternehmen die zweite Bilanz nach der GWÖ erstellt und in der Überprüfung 558 von 1000 möglichen Punkten erhalten. Gut konnte das Unternehmen im Bereich „Beitrag zum Gemeinwesen“abschließen, da es durch seine neun Anlagen zur Stromerzeugung eine Einspeisevergütung und Stromsteuerreduktion erhält. Dadurch „verdiente“sich das Unternehmen sieben Punkte in der Bilanz. Nachholbedarf hat die Allgäuer Firma allerdings im Bereich „Menschenwürde in der Zulieferkette“. Durch die Zusammenarbeit mit Zulieferern aus China und Indien könne ein menschenwürdiger Umgang mit Mitarbeitern nicht gesichert werden, heißt es im öffentlichen Nachhaltigkeitsbericht von Elobau für 2016/17. Hierfür wurden fünf Punkte abgezogen.
Auch Outdoorausrüster Vaude aus Tettnang, Naturkostgroßhändler Bodan aus Überlingen sowie Cateringunternehmen Vinzenz Service aus Sigmaringen folgen der GWÖ. Während die ersten beiden Unternehmen bereits mehrfach eine Bilanz erstellt haben, steckt Vinzenz Service mitten im ersten Auditprozess. Das bedeutet, dass das Unternehmen den Bericht geschrieben hat und nun von externer Seite die Überprüfung der Ergebnisse ansteht. Der Grund für die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz: „Die GWÖ macht jenseits von finanziellen Kennzahlen unsere Unternehmenswerte und Kultur messbar und sichtbar“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin Elke Hüfner. Es ginge unter anderem darum, „Schwachstellen zu identifizieren und diese kontinuierlich zu verbessern“.
Der Naturkostgroßhändler Bodan aus Überlingen geht noch weiter. In den Statuten der Firma seien Umweltschutz und die Förderung von Erzeugern, Händlern und Verbrauchern von Bio-Lebensmitteln verankert, sagt Geschäftsführer Volker Schwarz. „Wirtschaftlicher Erfolg ist für uns nur erstrebenswert, wenn er auch der Gesellschaft nutzt.“
Das ist auch der Grundgedanke der GWÖ. Der Initiator der Bewegung, Christian Felber, beruft sich sogar auf die bayerische Verfassung, in der genau das festgelegt ist: „Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl.“Im Kern hofft Felber, drei Punkte zu verändern: „Die ökologischen Lebensgrundlagen sollen effektiv geschützt, die Ungleichheit auf ein vernünftiges Maß verringert werden, und die Erfolgsmessung soll von den Mitteln auf die Ziele schwenken“, erklärt Felber. Das bedeutet, dass nicht mehr der Gewinn im Vordergrund steht, sondern wie nachhaltig ein Unternehmen wirtschaftet. Mit der Idee geht auch die Änderung des Steuersystems für Unternehmen einher. Firmen, die viel für das Gemeinwohl tun, sollen weniger Steuer zahlen.
GWÖ ist „innovationsfeindlich“
„Wenn man sich die Ideen der GWÖ anschaut, klingt das beim ersten Durchlesen alles super“, sagt Ökonom Dominik Enste, vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln. Daher sei eine freiwillige Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz nicht verwerflich. Es sei gut, wenn Unternehmen überlegen, wie sie Mitarbeiter bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf unterstützen oder mehr auf die Umwelt achten. Er halte es aber für wichtig, dass das bestehende marktwirtschaftliche System, das Vergleichbarkeit von Unternehmen sichert und Innovation stärkt, bestehen bleibt. Man sollte es allerdings um soziale Aspekte ergänzen, sagt Enste. Eine verpflichtende Einführung der GWÖ kommt für ihn nicht infrage. Unternehmen, die die Ansichten teilen, würden motiviert – „für alle anderen wirken die Vorgaben und ideologisch bedingten Einschränkungen der Freiheit eher demotivierend und innovationsfeindlich“, erklärt Dominik Enste. Außerdem warnt er davor, dass die GWÖ erhebliche Einschränkungen der wirtschaftlichen Freiheit jedes Einzelnen und Unternehmen zur Folge hätte. Dies gehe bis zur Enteignung.
Auch Vaude teilt nicht alle Ansichten der GWÖ: Darunter fällt zum Beispiel die Legitimierung der Führungskräfte. „Wir streben keine demokratische Wahl der Führungskraft an, wie es die Gemeinwohl-Ökonomie vorschlägt“, sagt Lisa Fiedler vom Nachhaltigkeitsteam.
Grundsätzlich stimmt der Outdoor-Ausrüster mit den Visionen der GWÖ überein. Positiv sei, dass Punkte wie „Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitentscheidung und Transparenz“gestärkt werden, sagt Fiedler. Deshalb hat Vaude im Einklang mit der GWÖ einige Unternehmensziele entwickelt: Zum Beispiel soll der Anteil an Frauen in Führungspositionen erhöht und Emissionen durch Dienstreisen verringert werden.