Bittere Süße
Frühe Globalisierung: Wie der Zucker nach Europa kam, zeigt eine Schau in Ravensburg
- Weltweit sind im Jahr 2016/17 178 Millionen Tonnen Rohzucker erzeugt worden. 37,8 kg Zucker verbraucht jeder Europäer durchschnittlich im Jahr. Das war nicht immer so. Denn einst war Zucker ein Luxusgut, das sich nur sehr wenige, sehr reiche Leute leisten konnten. Päpste zum Beispiel. Die Ausstellung mit dem Titel „Die Humpis in Avignon“im Museum Humpis-Quartier in Ravensburg erzählt ein Kapitel aus der Geschichte des Zuckers, das auch ein Beispiel für Globalisierung im Mittelalter ist.
Wie geht das zusammen: Zucker – Avignon – Ravensburg? Die Ravensburger Familie der Humpis unterhielt viele Niederlassungen im Mittelmeerraum. Eine befand sich im 15. Jahrhundert in Avignon. Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft brachte Leinen aus Oberdeutschland von Avignon aus in die Häfen Portde-Bouc und Aigues Mortes und verschickte sie nach Spanien. Viel Geld brachte in den Jahren um 1460 aber vor allem ein Produkt: Zucker.
Ungewöhnlich war, dass die Kaufleute selbst in die Produktion einstiegen. Eine neue Variante des Kapitalismus. Die Große Ravensburger Handelsgesellschaft betrieb eine Zuckerfabrik in der Nähe von Valencia. Die Mauren hatten den Zucker auf die iberische Halbinsel gebracht – und für den aufwendigen Gewinnungsprozess schon Sizilien und Zypern abgeholzt. Die Zuckerproduktion ließ ganze Landstriche veröden.
Julia Luibrand, die die Ausstellung unter Leitung von Museumsdirektor Andreas Schmauder kuratiert hat, hat sich vor Ort in Avignon auf Spurensuche begeben. Die Quellenlage ist schwierig, aber die junge Historikerin ist fündig geworden. Sie hat die Geschäftspapiere der Humpis durchforstet. Dem Zollregister aus Port-de-Bouc konnte sie entnehmen, welche Rolle die Ravensburger im Zuckerhandel spielten.
Die Produktion von Zucker fand unter sehr harten Bedingungen statt. Ob auch die Humpis mit Sklaven arbeiteten, ist unklar. Luibrand schreibt im Begleitbuch zur Ausstellung, dass in der Zeit von 1482 bis 1516 etwa 2500 Sklaven aus dem Senegal in die Gegend von Valencia gebracht worden seien. Die Arbeiter in der Zuckerproduktion der Humpis wären in einem Dokument als ,los moros’ bezeichnet worden, was allerdings auf eine (nord)-afrikanische Herkunft schließen lasse. „Über ihren Status – ob als Vertragsarbeiter des Zuckeranbaus oder Sklaven – ist nichts überliefert.“
Ein Mittel gegen die Pest
Die Exponate der Ausstellung erzählen Geschichten. Zum Beispiel die medial sehr ansprechend animierte aufbereitete Darstellung einer Tapisserie aus dem Musée de Cluny in Paris. „Die Dame mit dem Einhorn“ist eine Allegorie auf den Geschmack. Wenn man den Cursor auf den goldenen Kelch zieht, den die Dienerin ihrer Herrin reicht, erkennt man, dass diese kleine Dragees daraus entnimmt. Es sind Zuckerstückchen. Damit wird verdeutlicht, wie wertvoll die auch als „weißes Gold“gehandelte Ware war.
Doch Zucker wurde nicht wie heute überwiegend zum Süßen verwendet. Da griff man im Mittelalter immer noch auf den Honig zurück. Zucker wurde, wie dem „Reichenauer Kochbuch“von 1470 zu entnehmen ist, als Gewürz verwendet, gerne in Kombination mit Zimt, Ingwer oder Safran. Und in der Fastenzeit wurde gefragt: Ist Zucker ein Genussmittel – und also verboten – oder ist es eine Arznei?
Tatsächlich wurde dem Zucker eine heilende Wirkung zugeschrieben: In einer Übersetzung eines ursprünglich arabischen Bildkodexes aus dem 13. Jahrhundert heißt es über den Zucker: „Er rainiget den Leib, zimpt der Brust, der Nieren unnd der Blasen. Er bringt den Durst und bewegt die Gallen.“In der Ausstellung ist auch das Pestbuch des Jörg Aman aus Ravensburg von 1494 zu sehen. Der Stadtarzt empfiehlt zur Behandlung der Pest einen Wein, gewürzt mit Zucker, Safran, Muskat, Zimt und Mandeln.
Handelswege verändern sich
Auch im Mittelalter mussten sich die Menschen mit den Folgen der Globalisierung auseinandersetzen. Die Entdeckung Amerikas brachte nicht nur vielen Indigenen den Tod. Aus Afrika wurden Millionen Menschen auf den „neuen“Kontinent verschleppt. Sie mussten auf den Plantagen schuften, auch auf den Zuckerrohrplantagen in der Karibik. Der Zucker von dort war billiger als der in Spanien von den Humpis und anderen produzierte.
Insgesamt veränderten sich die Warenströme. Baumwolle aus Übersee war billiger als Leinen und Barchent aus Oberschwaben. Die Handelsmetropolen im Mittelmeerraum wurden uninteressant. Andere Städte, die für den Atlantikhandel günstiger lagen, stiegen auf – Lissabon, London, Antwerpen. Avignon und Valencia wurden bedeutungsloser. Und die Humpis? Die zogen sich allmählich aus dem internationalen Handel zurück, verkauften ihr Geschäft und lebten ein Leben als Landadlige in Oberschwaben.