Unter Freunden
Die Speerwerfer Thomas Röhler und Andreas Hofmann sind Rivalen – und Kumpels
- Es war vor dem sechsten Versuch, als Andreas Hofmann mal kurz zu Olympiasieger Thomas Röhler rüberging und um Rat bat. Die Winde hatten gedreht, ein Gewitter war im Anzug, vom Marathontor wehte ein Lüftchen rein. Grundsätzlich, und das war ein wenig problematisch, herrschte oben in der Luft ja Gegenwind, führte Röhler tags danach aus – Speerwerfer und ihre Trainer sind wie Skispringer halbe Meteorologen. Hofmann kam nicht ganz so gut damit zurecht wie Röhler, der „kleine Änderungen sehr schnell erkennen und umsetzen kann“, also konnte er einen Tipp gebrauchen. Bloß: Röhler war grad Erster, Hofmann Zweiter, und immerhin ging es um den EM-Titel im eigenen Land. Was machte Röhler also? Er gab bereitwillig Auskunft. Darüber, wie er gerade die Hand halte und den Speer, eben alles, was Sie schon immer über Neigungs- und Anstellwinkel wissen wollten, wie Woody Allen sagen würde.
Als die beiden am nächsten Morgen nach zwei Stunden Schlaf müde, aber glückstrunken ihre Geschichte erzählten, schien es für sie das Normalste der Welt zu sein. Hofmann sagte, sie seien zwar Rivalen im Wettkampf, aber eben auch Kumpels in Jena, Freunde, die nicht nur zusammen studierten – Hofmann Sport, Röhler zusätzlich noch Wirtschaft – , sondern auch privat viel zusammen machten.
Röhler sagte: „Natürlich haben wir geredet, auch bei einer EM. Wir wollen immer beide wissen, wer der Beste ist, wie man noch weiter werfen kann“– und dafür täten sie alles. Weil Hofmann den Rat aber nicht mehr umsetzen konnte, war es beim deutschen Speerwurffestival Donnerstagnacht im Olympiastadion am Ende so, dass Thomas Röhler, wo er schon mal daneben stand und das Klima in Berlin neuerdings sehr tropisch ist, in den benachbarten Wassergraben sprang – wie einst Diskus-Ikone Robert Harting in Sevilla.
Tropfnass stieg Röhler wieder hinaus, quiekte schrill wie ein Kind, ehe er nach einem Luftsprung einen männlichen Urschrei ins Runde jagte. Klare Sache: Der Mann, der in Rio die Speerwurfwelt aus den Angeln gehoben hatte, 2017 in London allerdings WM-Bronze trotz starker 88,27 Meter um sieben Zentimeter verfehlt hatte, hatte sich zurückgemeldet. Röhler ist wieder der, der er war: der SpeerwurfProfessor, der Tüftler und Schrauber an der eigenen Leidenschaft. Mit seinen 89,47 Metern vom dritten Versuch lag er klar vor dem gebürtigen Heidelberger Hofmann (87,60) und dem Esten Magnus Kirt (85,96). Weltmeister Johannes Vetter, der Röhler 2017 auch den deutschen Rekord weggenommen hatte (94,44 gegenüber 93,90 Metern), kam dagegen gar nicht ins Rollen. Mit 83,27 wurde der gebürtige Dresdner, der in Offenburg bei Bundestrainer Henry Obergföll übt, nur Fünfter.
Es gibt übrigens nicht nur die eine, optimale Art, den Speer zu werfen, sondern zahllose: Vetter etwa ist das explosive Kraftpaket, das quasi zur Ziellinie wurfhechtet und dort regelmäßig auf den Bauch fällt, Röhler der elegante Akribiker, der nach dem Sieg stolz und patriotisch verkündete, heute habe man „gezeigt, was deutsche Präzision ist“. Dennoch hätte er auch gerne noch mehr – von Hofmann nämlich: „Seinen Arm natürlich, schauen Sie sich den Kerl doch mal an, er hat 20 Kilo mehr.“Hofmann, der kürzlich in Nürnberg deutscher Meister geworden war, war auch als Zweiter sehr zufrieden – klar, er hatte gerade seine erste internationale Medaille gewonnen. „Das war hammerfettbombenkrass“, jauchzte er am Morgen danach.
100 Meter: eine Barriere – noch
Auch bei der Wüsten-WM im Oktober 2019 in Katars Hauptstadt Doha werden die Deutschen, die ja sechs Weltklassewerfer stellen – alle Mitte 20 – und dann zu viert starten dürfen, klar favorisiert sein. Warum, machte Röhler, der auch Athletensprecher im Weltverband IAAF ist, klar – weil sie erfolgsbesessen sind. „Natürlich werden wir auch weiterhin über die 100 Meter reden“, sagte er. „Sie sind eine Schallmauer, sie gelten als Barriere, und exakt deshalb wollen wir sie brechen. Wir akzeptieren keine Barrieren.“Außer vielleicht die, dass auch Speerwerfer im Wassergraben nass werden.