Diese Frauen kennen keine Tabus
Schloss Achberg zeigt in einer Ausstellung Kunst von zeitgenössischen Malerinnen
- Da sage noch einer, die Oberschwaben seien verschlafen und nicht auf der Höhe der Zeit. Ganz im Gegenteil! Die neue Sommerausstellung auf Schloss Achberg versammelt unter dem Titel „entfesselt!“19 Positionen der figurativen Malerei von Künstlerinnen der Gegenwart. Zu entdecken sind Werke von der arrivierten Professorin bis zur Newcomerin. Eine wegweisende Schau, die es in dieser Konstellation hierzulande noch nie gegeben hat.
Die Kunstgeschichte ist eine Männergeschichte – mit männlichen Meistern und ein paar Musen, von Meisterinnen jahrhundertelang keine Spur. Tempi passati: Die Frauen haben im aktuellen Kunstbetrieb erheblich an Terrain gewonnen und werden in Ausstellungen sowie in der Fachliteratur rund um den Globus gefeiert. Die meisten Künstlerinnen bevorzugen mit ihren radikalen Konzepten neue Medien. Aber immer mehr entdecken auch die Malerei für sich und machen Malerfürsten wie Georg Baselitz mächtig Konkurrenz. Ihre Bilder sind alles andere als hübsch und dekorativ, denn Künstlerinnen arbeiten oft freier und unabhängiger von modischen Strömungen als ihre männlichen Kollegen.
Spiel mit Klischees
Besonders in der figurativen Malerei kommen inzwischen die wesentlichen Impulse von Frauen. Die einen greifen auf alte Techniken zurück und entwickeln sie weiter, die anderen experimentieren mit neuen Materialien. Auch thematisch sind sie innovativ, spielen unverkrampft mit weiblichen Klischees und kennen keine Tabus. Grund genug für Kurator Martin Oswald sich in Achberg auf diese Sparte im Kunstbetrieb zu beschränken.
Zu den erfolgreichsten Malerinnen auf dem internationalen Kunstparkett gehört Marlene Dumas, Jahrgang 1953, die in Amsterdam lebt. Ihre mit verlaufenden Farben gemalten Porträts und Akte schockieren oft durch ihre Bösartigkeit. In der Ausstellung sind allerdings zwei eher harmlose Tusche-Akte aus den Beständen der Landesbank zu sehen. Man hätte gern mehr von Dumas gezeigt, aber der Aufwand wäre zu groß gewesen. Der Besucher kann dieses Manko getrost verschmerzen, denn es gibt viele andere spannende Positionen zu entdecken.
Isabelle Dutoit zum Beispiel, die in Leipzig lebt und arbeitet. Sie ist eine beeindruckende Koloristin mit einer Vorliebe für betörende, leuchtende Farben. Ihre Motive entführen den Betrachter in Fantasiewelten, wo Tiere aus Pflanzen wachsen und umgekehrt. Auch die Österreicherin Xenia Hausner ist eine Meisterin im Umgang mit Pinsel und Farben. Ihre Kompositionen sind sorgfältig aufgebaute szenische Arrangements. „Es sind Filmstills zu Filmen, die das Leben dreht“, schreibt Martin Oswald im Katalog zur Schau.
Apropos. Der Kunstexperte aus Weingarten hat bei der Gruppierung der rund 100 Werke von 19 Künstlerinnen ein sehr gutes Gespür für die Räumlichkeiten vor Ort bewiesen. Immer wieder bieten sich reizvolle Durchblicke oder Kontraste zum barocken Ambiente. Auf Ästhetisches folgt Bizarres, auf Unspektakuläres folgt Dramatisches, auf Farbiges Düsteres. Und zwischendrin gibt es mit optischen Irritationen Überraschungsmomente, die einen zum Schmunzeln bringen. Wie etwa die „Wohnzimmerinstallation“der Wahlberlinerin Justine Otto, die hierfür Kleinmobiliar mit einer Serie grotesker Ölbilder und ausgestopfter Viecher kombiniert.
Überhaupt scheinen Tiere, darunter der Wolf, ein beliebtes Motiv bei Malerinnen zu sein – wobei er nicht immer der Böse ist. Bei der gebürtigen Israelin Zohar Fraiman, mit knapp 30 Jahren die Jüngste im Bunde, wird er im wahrsten Sinne des Wortes zum Schoßhündchen.
Wie schon der Titel „entfesselt!“andeutet, setzen sich Frauen auch in der klassischen Malerei, die bis dato eine Männerdomäne war, immer mehr durch. Mit Lust, Ironie, Können und einer Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen sägen sie an dem Ast, auf dem im Kunstbetrieb ihre männlichen Kollegen sitzen.