Darauf einen Espresso
Die Sänger überzeugen in Mozarts Oper „La clemenza di Tito“– Der Inszenierung allerdings fehlt ein schlüssiges Konzept
- Musikalisch kommt man bei der Neuproduktion von Wolfgang Amadé Mozarts letzter Oper „La clemenza di Tito“(„Die Milde des Titus“) am Ulmer Theater allemal auf seine Kosten. Besonders in sängerischer Hinsicht bleiben kaum Wünsche offen. Die von Joongbae Jee kompetent dirigierte Premierenvorstellung wurde vom Publikum ausgiebig gefeiert. Weniger überzeugend ist die ambitionierte, aber mit unausgegorenen Details überladene Inszenierung von Nilufar K. Münzing geraten.
Das 1791 für die Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen entstandene Stück feiert das Idealbild eines aufgeklärten Monarchen. Die in großer Eile komponierte Oper, für die der Mozart-Schüler Franz Xaver Süßmayr die Rezitative geschrieben haben soll, wurde drei Monate vor dem Tod des Meisters in Prag aus der Taufe gehoben. Caterino Mazzolàs Libretto basiert auf einer Vorlage des berühmten Dichters Pietro Metastasio, die damals jedoch schon mehr als ein halbes Jahrhundert alt war.
Rund 40 Komponisten hatten diesen Text bereits vertont. Mittlerweile wirkte vieles daran ideologisch wie musikdramatisch veraltet. Zwei Jahre nach dem Beginn der Französischen Revolution hatte sich die Ästhetik der Opera seria überlebt. Bald empfand man auch Mozarts revidierte Version des Krönungsstücks als altmodisch. Im 19. Jahrhundert avancierte „Titus“dennoch in einer stark bearbeiteten deutschsprachigen Fassung vorübergehend zur beliebtesten Mozart-Oper neben der „Zauberflöte“.
Mit dem historischen Kaiser Titus, dem Zerstörer des Tempels in Jerusalem, hat die Titelfigur wenig zu tun. Bei Mozart ist der römische Herrscher ein Untertanen-Versteher und Weltmeister im Verzeihen. Vitellia fühlt sich von ihm übergangen und überredet Sesto, der ihr in blinder Liebe verfallen ist, zu einem Mordanschlag auf seinen Herzensfreund Tito. Zu spät erfährt sie, dass jener sie nun doch zu seiner Gattin machen möchte. Tito hat überlebt und begnadigt den Verräter, als er die wahren Hintergründe des Putsches erfährt.
Garrie Davislim betört als Tito
Anfangs klingt das Orchester in Ulm teilweise noch etwas matt, findet aber schnell zu plastischer Linienzeichnung und intensiver Farbenpracht. Garrie Davislim betört als Tito mit geschmeidig-stabilem Tenor. Allein schon die Arie, in der er selbstgefällig tänzelnd mit Gärtnerschurz und Gießkanne eine Show wie ein Popstar abzieht, lohnt einen Besuch dieser Produktion. Tatjana Charalgina gibt als zickige Vitellia bravourös die berechnende Egomanin, die sich noch im ariosen Selbstmitleid luxuriös von Klarinettenkantilenen umschmeicheln lässt.
Vokal und darstellerisch großartig bewähren sich die Mezzosopranistinnen I Chiao Shih und Christianne Bélanger in den Hosenrollen des Sesto und seines Freundes Annio. Auch Maria Rosendorfsky (Servilia) und Martin Gäbler (Publio) bieten erlesenen Mozart-Gesang. Eindrucksvoll gelingen die von Hendrik Haas vorbereiteten Chorpartien. Britta Lammers’ Bühne kann mit schattenrissartigen Standbildern vor hellem, farbigem Hintergrund punkten (Licht: Johannes Grebing). Christiane Beckers Kostüme wirken teils unbeholfen.
Münzings Inszenierung bemüht viele, teils abgegriffene Zutaten, ohne sie schlüssig in ein durchgehendes Konzept zu integrieren. Andeutungen bleiben vage, szenische Bebilderungen von Arien sind nicht klar genug abgesetzt von der Handlung. Aktuelle Bezüge zum politischen Gegenwartsgeschehen werden verschenkt. Plausibel sind Machtstrukturen im Raum choreografiert. Inflationäres Servieren von Espresso zu Amtshandlungen des Kaisers schafft als adäquater Running Gag einen ironischen Kontrapunkt zur Opera seria.