Roboter mit Herz
Scarlett Johannson als Mensch-Maschine mit Identitätsproblemen in Rupert Sanders „Ghost in the Shell“
Ausgerechnet der WerbefilmRegisseur Rupert Sanders wurde auserkoren, das Hollywood-Remake von „Ghost in the Shell“auf die Leinwand zu bringen. Scarlett Johannson, Juliette Binoche und der japanische Komiker Takeshi Kitano spielen die Hauptrollen dieses Science-Fiction-Thrillers mit philosophischer Tiefe. Im Zentrum steht ein Cyborg, ein kybernetischer Organismus - zu deutsch: Mensch-Maschine.
Eine Frau mit Lederanzug und Nachtsichtgerät steht auf einem Hochhausdach. Dann springt sie hinab, wie sonst nur Hollywoods Batman in Gotham City.
Dies ist die erste von einem Dutzend großer Action-Sequenzen in diesem Film. Und zunächst könnte man meinen, es handle sich hier um nicht mehr als einen weiteren actionreichen Film, bei dem ein Superheld oder hochgerüsteter Geheimagent in einer Mission Impossible gegen das Böse dieser Welt kämpft, gegen einen geldgierigen Wirtschaftstycoon oder einen autoritären Präsidenten, der vom Cäsarenwahn besessen ist.
Japanisches Vorbild
Diese Beschreibung ist zwar nicht falsch, aber sehr unvollständig. Denn „Ghost in the Shell“handelt von mehr und von ganz anderem: Eine nicht allzu ferne technoide Zukunft; eine neonerleuchtete futuristische Megalopolis, und mitten darin ein Cyborg, die Verschmelzung zwischen Mensch und Maschine. Das war die Kombination, die 1995 Mamoru Oshiis japanischen Animationsfilm „Ghost in the Shell“im Nu zu einem Kultklassiker des Kinos machte. Der japanische Film wurde zu einem wegweisenden Film über das Motiv des Mensch-Maschine-Hybriden, der von Steven Spielberg bis James Cameron alle beeinflusste, die sich für Zukunftsvisionen im Kino interessieren.
Was den Film zu einem formalen wie inhaltlichen Höhepunkt des Genres werden ließ, war seine tiefere Bedeutung, die philosophische Dimension, die an die Debatte um Geist und Körper, eben den Geist in seiner Hülle anknüpft, und ins melancholische Fazit mündet, dass uns eine posthumane Zukunft bevorsteht, in der irgendwann auch Maschinen Gefühle und Rechte haben werden. All das muss man wissen, wenn man jetzt 22 Jahre später nun die Realverfilmung des Animationsstoffes betrachtet. Denn es gilt auch – und das ist für alle Fans des Originals die beste Nachricht – auch für das Remake.
Neu interpretiert
Regisseur Rupert Sanders gelingt ein unterhaltsamer und visuell herausragender Film, der einerseits einige Szenen der Vorlage eins zu eins auf die Leinwand bringt, andererseits keineswegs eine bloße Nacherzählung ist. Eher eine Neuinterpretation der komplexen Geschichte. Sanders gelingt es, einiges von der Faszination und philosophischen Tiefe des Originals in unsere Gegenwart zu überführen.
Alles spielt in einem computergesteuerten und erkennbar von FritzLangs Metropolis inspirierten Hongkong, in der sich Autobahnen in großer Höhe durch die Häuserschluchten schlängeln, und hochhausgroße, dreidimensionale Werbefiguren für Produkte werben. Die Hauptfigur heißt Major, und wird von Scarlett Johannson als gefühlloser „Tomboy“gespielt - ein „Robo-Cop“, der für eine Geheimeinheit der Polizei arbeitet und Terroristen jagt. Juliette Binoche verkörpert deren mütterliche Erschafferin, eine Roboterforscherin mit Abgründen. Der japanische Komiker Takeshi Kitano spielt Majors fuchsschlauen Chef, der ihr auch eine Art Ersatzvater ist – transnationale Besetzung für den globalen Kinomarkt.
Als besonders gefährlich stellt sich bald der Diebstahl von Daten eines Computerunternehmens heraus. Hierzu benutzt ein Verbrecher selber Kampfroboter, die zum Beispiel wie altjapanische Geishas aussehen, sich dann aber in Hochgeschwindigkeit im Spinnengang an Wänden fortbewegen wie einst das besessene Mädchen im „Exorcist“. Offenbar steckt mehr dahinter. „Ghost in the Shell“ist auch ein Paranoia-Thriller. Irgendwann kommt es dann zu einer Art Sklavenaufstand der Roboter, die offenbar auch mit übermenschlicher Sensibilität ausgestattet sind und ihr Herz entdecken.
So verschmelzen in der Handlung immer wieder echte Welt und Cyberspace. Das ist alles zwar nicht wirklich neu, aber toll anzusehen und sehr kurzweilig. Im Action-Dschungel bemüht sich der Film um Tiefe. Das glückt in Maßen. Der philosophische Kern dieses Films dreht sich um die Frage, wie bedeutsam Erinnerungen für die Identität sind. Was macht es mit einem, wenn sich herausstellt, das Erinnerungen nicht authentisch sind, sondern nachträglich implantiert wurden? Die Antwort des Films ist existenzialistisch: Was uns definiert sind unsere Taten. Andere Ideen, etwa die Frage einer Gefühlsentwicklung der Maschinen, bringt das neue Werk aber nicht sehr glaubwürdig an sein Publikum.
Was bleibt ist ein Film, der für alle, die die Vorlage nicht kennen, überdurchschnittliches Actionkino ist. Wer sie kennt, der wird so melancholisch wie die Hauptfigur Major, die fortwährend von Déjà-vu aus ihrem früheren Leben heimgesucht wird. Das Verdrängte lässt sich nicht tilgen, es kehrt zurück, gerade im Kino. Und in „Ghost in the Shell“trägt die Vergangenheit über die Gegenwart einen eindeutigen Sieg davon.