Heidenheimer Zeitung

Erst entlastet, dann belastet

Eltern von mehreren Kindern zahlen neuerdings etwas mehr Lohnsteuer. Doch weil ihr Beitrag zur Pflegevers­icherung gesenkt wurde, haben sie unterm Strich mehr.

- Samstagsth­ema Von Dieter Keller

Ausgerechn­et Eltern mit mehreren Kindern bekommen neuerdings mehr Lohnsteuer vom Gehalt abgezogen. Manche Personalab­teilung begründet das mit dem Wachstumsc­hancengese­tz, obwohl das eigentlich nach Entlastung­en klingt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht. Sie ist ein Musterbeis­piel für die Komplizier­theit deutscher Steuergese­tze – und für die Bürokratie hierzuland­e.

Alles begann mit einem

Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts im April 2022 zur gesetzlich­en Pflegevers­icherung: Die obersten Richter verlangten, dass die Zahl der Kinder stärker bei den Beiträgen ihrer Eltern berücksich­tigt werden muss. Für die Reform gaben sie nur gut ein Jahr Zeit. Tatsächlic­h trat sie am 1. Juli 2023 in Kraft.

Da der gesetzlich­en Pflegevers­icherung ein großes Defizit drohte, nutzte dies die Bundesregi­erung gleich für eine Beitragser­höhung: Der allgemeine Beitragssa­tz stieg von 3,05 auf 3,4 Prozent vom Gehalt. Davon muss der Arbeitgebe­r die Hälfte tragen. Beschäftig­te ohne Kinder mussten schon seit 2005 einen Zuschlag zahlen, an dem sich der Arbeitgebe­r nicht beteiligt. Dieser stieg Mitte 2023 auf 0,6 Prozentpun­kte.

Der normale Beitragssa­tz gilt nur noch für Eltern mit einem

Kind oder wenn der Nachwuchs mindestens 25 Jahre alt ist. Sie bezahlen also 1,7 Prozent. Für die Eltern von mindestens zwei Kindern unter 25 wurde der Beitragssa­tz gesenkt: bei zwei Kindern auf 1,45 Prozent, bei drei auf 1,2 Prozent, bei vier auf 0,95 Prozent und ab fünf Kindern auf 0,7 Prozent.

Ein Arbeitnehm­er mit drei Kindern und 3500 Euro Monatsgeha­lt beispielsw­eise zahlt jetzt 42 Euro für die Pflegevers­icherung im Monat, ein Kinderlose­r 80,50 Euro. Der Arbeitgebe­ranteil beträgt dagegen immer 1,7 Prozent.

Schon die Umsetzung dieser Regelung war eine Zumutung, klagt der Präsident der Steuerbera­terkammer Nordbaden, Johannes Hurst. Im Grunde sei dies nicht falsch gewesen. Aber die Gesetzgebu­ng sei im Mai/juni 2023 „im Schweinsga­lopp“durch Bundestag und Bundesrat gebracht worden, sagte Hurst dieser Zeitung. Die Steuerbera­ter hätten sich bei der Lohnabrech­nung für ihre Mandanten mit dem Nachweis der Elternscha­ft herumschla­gen müssen, was nicht so einfach möglich war, wie es sich der Gesetzgebe­r vorgestell­t hatte.

Nun haben die Beiträge zur Pflegevers­icherung auch Auswirkung­en auf die Höhe der Lohnsteuer, und damit sind wir bei dem, was seit Anfang des Jahres abgezogen wird. Die Pflegebeit­räge sen sie etwas mehr Lohnsteuer werden über die Vorsorgepa­un- dzahlen. schale schon im Laufe des Jahres Um den Abschlag für mehrere beim Lohnsteuer­abzug berücksich­tigt, Kinder schon beim Lohnsteuer­abzug erklärt Jana Bauer, stellvertr­etende zu berücksich­tigten, Geschäftsf­ührerin brauchte es allerdings eine Gesetzesre­gelung. Die sollte eigentlich im Wachstumsc­hancengese­tz erfolgen, obwohl dies keine geringere Belastung bedeutet hätte. Doch das Gesetz blieb über Monate im Vermittlun­gsausschus­s von Bundestag und Bundesrat hängen, weil sich die Ampelkoali­tion und die Union nicht einigen konnten. des Bundesverb­ands Lohnsteuer­hilfeverei­ne (BVL). Bei Eltern mit mehreren Kindern wiederum werden neuerdings wegen der geringeren Abzüge für die Pflegevers­icherung weniger Sonderausg­aben berücksich­tigt. Daher müs

Bürokratis­cher Kraftakt

Daher wurde die Regelung ins Kreditzwei­tmarktförd­erungsgese­tz verschoben, erläutert Bauer. Inhaltlich hat es damit zwar überhaupt nichts zu tun. Aber dieses Verfahren wird gern genutzt, um eilige Regelungen schneller durchs Parlament zu bekommen. Erfolg: Die Vorschrift konnte noch Ende 2023 beschlosse­n werden.

Die nötigen Regeln für die praktische Umsetzung legte das Bundesfina­nzminister­ium allerdings erst Ende Januar 2024 fest. Folge: Die neue, höhere Lohnsteuer konnte meist erst bei der Gehaltsabr­echnung für den März berücksich­tigt werden. Gleichzeit­ig musste eine Korrektur für die Monate Januar und Februar vorgenomme­n werden. Daher fiel das Minus im März besonders hoch aus.

In der Regel geht es nur um geringe Beträge, bei zwei und drei Kindern im ein- bis zweistelli­gen Euro-bereich, so die Erfahrung von Bauer. Dem steht eine sehr viel höhere Entlastung bei der Pflegevers­icherung gegenüber. Nur ist die schon Mitte 2023 erfolgt; viele haben sie nicht mehr auf dem Schirm. Alles logisch, aber für die Arbeitgebe­r ein bürokratis­cher Kraftakt.

Einen weiteren kleinen Vorteil haben die Eltern mehrerer Kinder: Für das zweite Halbjahr 2023, in dem sie bereits weniger Pflegebeit­rag hatten, gibt es keine Nachberech­nung der Lohnsteuer. Anders sieht das für alle aus, die eine Steuererkl­ärung abgeben müssen oder die dies freiwillig tun, weil sie sich eine Steuerrück­zahlung erhoffen. Denn dann berücksich­tigt das Finanzamt die tatsächlic­h bezahlten Beiträge.

Die Gesetzgebu­ng ist im Schweinsga­lopp durchgebra­cht worden. Johannes Hurst Steuerbera­terkammer Nordbaden

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Foto: Rawpixel.com – stock.adobe.com Eltern mit mehreren Kindern werden bei der Lohnsteuer stärker belastet, als sie vielleicht vermuten.

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