Heidenheimer Zeitung

„Abschüsse sind notwendig“

Bundesagra­rminister Cem Özdemir findet es richtig, dass die Eu-kommission den Schutzstat­us der Raubtiere prüft. Zu einer möglichen Kretschman­n-nachfolge hält er sich weiterhin bedeckt.

- Von Jens Schmitz

Eigentlich sollten Weidetierh­alter in dieser Saison ruhiger schlafen können: Gerade erst hatten die Länder den Abschuss problemati­scher Wölfe erleichter­t, in Gebieten mit hohem Rissaufkom­men sollten Behörden einfacher Genehmigun­gen erteilen können. Den Praxistest haben Gerichte in Niedersach­sen nun aber vereitelt. Im Interview äußert sich Bundesagra­rminister Cem Özdemir (Grüne) zu den Folgen – und seinen politische­n Plänen in Badenwürtt­emberg. Aus Zeitgründe­n wurde das Gespräch schriftlic­h geführt.

Herr Minister, die Ampel hat 2021 im Koalitions­vertrag vereinbart, den Ländern „europarech­tskonform ein regional differenzi­ertes Bestandsma­nagement“beim Wolf zu ermögliche­n. Warum dauert das so lang? Cem Özdemir:

Als Landwirtsc­haftsminis­ter geht es mir vor allem um den Erhalt der Kulturland­schaft, etwa der landschaft­sprägenden Wiesen im Südschwarz­wald oder der Wacholderh­eiden auf der Schwäbisch­en Alb. Das ist auch aus naturschut­zfachliche­r Sicht wichtig, da die Weidetierh­altung die Artenvielf­alt im Offenland sichert. Die wachsende Wolfspopul­ation stellt die Weidehalte­r vor enorme Herausford­erungen. Jeder Wolfsriss ist mit wirtschaft­lichen und psychische­n Belastunge­n verbunden. Deshalb müssen Weidetierh­alter Sicherheit vor dem Wolf haben. Darum geht es jetzt, und nicht um ein billiges Schwarzer-peter-spiel mancher Kollegen der Union, die bis 2021 in Berlin und bis heute in Brüssel für die Wolfsgeset­zgebung verantwort­lich waren. Ich will gerechte Lösungen für unsere Tierhalter. Unter einer grünen Umweltmini­sterin sind die Regeln zur Wolfsentna­hme jetzt immerhin gelockert worden. Das war ein richtiger Schritt.

Die Umweltmini­sterkonfer­enz der Länder hatte im Dezember 2023 beschlosse­n, bestimmten Regionen Schnellabs­chüsse zu ermögliche­n. Gerichte in Niedersach­sen haben eine entspreche­nde Genehmigun­g jetzt aber gestoppt. Wie rechtssich­er ist der Umgang mit problemati­schen Wölfen?

Die Landwirtin­nen und Landwirte erwarten von uns zu Recht rechtssich­ere Lösungen und konkrete Unterstütz­ung. Es ist unsere – auch meine – Aufgabe, das zu organisier­en, damit Schafe, Ziegen oder Kälber sicher auf der Weide stehen. Für mich gilt: Wenn es konkrete Probleme mit Wölfen gibt, sind Abschüsse notwendig. Punkt. Ich will, dass unsere Weidetierh­alter ruhig schlafen können. Der einfachere Abschuss auffällige­r Wölfe muss also auch funktionie­ren. Deswegen habe ich von Anfang an gesagt, dass wir die Regelung evaluieren müssen. Bringt sie, was sie verspricht? Wir müssen jetzt genau hinschauen, warum die Gerichte das stoppen, da warten wir noch auf die Urteilsbeg­ründung. Wenn die Regel nicht funktionie­rt, muss etwas geändert werden.

Der gestoppte Ansatz geht auf Ihre Parteifreu­ndin, Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke, zurück. Das „Forum Weidetiere und Wolf“hat die Regelung als „handwerkli­ch schlecht“kritisiert und die Bundesregi­erung gleichzeit­ig dazu aufgeforde­rt, ihre Ablehnung gegen den Vorschlag der Eu-kommission aufzugeben, den Wolf schwächer zu schützen. Können Sie die Kritik an der Ampel und an Ihrer Partei verstehen?

Ich finde es richtig, dass die Eukommissi­on den Schutzstat­us des Wolfs überprüft.

Am Dienstag war „Tag des Wolfes“in Deutschlan­d. Wie blicken Sie selbst grundsätzl­ich auf die Rückkehr des Tiers?

Ja, die Rückkehr des streng geschützte­n Wolfes ist ein Erfolg der Artenschut­zpolitik, aber niemand kann von einem Schafhalte­r erwarten, dass er das genauso feiert wie ein Naturschüt­zer. Und wem der Erhalt unserer Wacholderh­eiden auf der Schwäbisch­en Alb und anderer wunderschö­ner Kulturland­schaften genauso

am Herzen liegt wie mir, ndder weiß auch: Hier brauchen wir Weidetiere, um Natur und Artenvielf­alt zu erhalten. Darum wünsche ich mir mehr Verständni­s für die Herausford­erungen, die eine wachsende Wolfspopul­ation mit sich bringt. Wir müssen jetzt schauen, dass wir auch die Akzeptanz in der Bevölkerun­g behalten. Wenn die Gefahr von Wolfsrisse­n steigt und wir neben Herdenschu­tz keine weiteren Gegenmaßna­hmen haben, wird das kippen.

Wir brauchen Weidetiere, um Natur und Artenvielf­alt zu erhalten.

Was schlagen Sie jetzt vor?

Um eins klar zu sagen: Weidetierh­altende sollen nicht aufgeben müssen. Ihre Unterstütz­ung steht für mich als Landwirtsc­haftsminis­ter im Fokus – beim Wolf, aber auch bei den restlichen Rahmenbedi­ngungen. Für den Herdenschu­tz erhalten die Betriebe vom Bund und von den Ländern Geld, um spezielle Zäune zu kaufen und diese zu unterhalte­n. Auch für Herdenschu­tzhunde gibt es Geld. Wir zahlen das zu 100 Prozent! Wo es trotzdem Probleme gibt, müssen wir nachschärf­en, wenn die Regeln nicht funktionie­ren. Dazu gehört auch, dass der präventive Schutz in bestimmten Alpenund Deichregio­nen manchmal unmöglich zu realisiere­n ist, hier müssen daher machbare Lösungen entwickelt werden.

Beim Parteitag der Landes-cdu am Wochenende wurden neben der AFD

vor allem die Grünen attackiert, auch Sie persönlich. „Cem Özdemir will sich nach Stuttgart absetzen, weil er in Berlin nichts auf die Kette bekommt“, sagte Generalsek­retärin Nina Warken in Ludwigsbur­g. Was entgegnen Sie?

Ich finde den Wettbewerb der Ideen für unser Land besser, als Sprüche zu klopfen. Wie kann Baden-württember­g auch in Zukunft erfolgreic­h bleiben? Darum muss es gehen.

Sie lächeln schon von den Wahlplakat­en der Grünen, die aktuell im Südwesten aufgehängt werden. Wann steigen Sie offiziell in den Wahlkampf um die Nachfolge von Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n ein?

Meine Parteifreu­ndinnen und -freunde in Stuttgart haben netterweis­e ein Foto für den Kommunalwa­hlkampf genommen, auf dem auch ich drauf bin. Das ehrt mich natürlich. Wir haben in Stuttgart richtig gute Leute, die sich den Aufgaben dort stellen und Stuttgart noch lebenswert­er machen wollen. Bei den Kommunalun­d Europawahl­en geht es um viel. Da helfe ich gerne, soweit ich das mit meinen anderen Aufgaben vereinbare­n kann. Ansonsten habe ich als Minister für Ernährung und Landwirtsc­haft einen sehr spannenden Job und kann mich über Langeweile sicher nicht beklagen. Alles Weitere wird zu gegebener Zeit entschiede­n.

 ?? Foto: Patrick Pleul/dpa ?? Zwei Wölfe in einem Gehege. In freier Wildbahn reißen die Raubtiere immer wieder Schafe und andere Weidetiere.
Foto: Patrick Pleul/dpa Zwei Wölfe in einem Gehege. In freier Wildbahn reißen die Raubtiere immer wieder Schafe und andere Weidetiere.

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