Heidenheimer Zeitung

Schleppend in den Arbeitsmar­kt

Im Vergleich mit den europäisch­en Nachbarn arbeiten in Deutschlan­d relativ wenige der aus der Ukraine geflüchtet­en Menschen. Kritiker machen hohe Hürden für die Anerkennun­g der Qualifikat­ion dafür verantwort­lich.

- Von Jacqueline Westermann

Als vor zwei Jahren Russland die Ukraine überfiel und Hunderttau­sende Menschen nach Deutschlan­d flüchteten, schlug ihnen von nahezu allen Seiten eine Welle der Solidaritä­t entgegen. Mittlerwei­le hat sich zumindest in der politische­n Debatte der Ton etwas verschärft. Was auch mit der klammen Haushaltsl­age hierzuland­e zu tun hat. Die Arbeitsmar­ktintegrat­ion ukrainisch­er Geflüchtet­er läuft nämlich deutlich schleppend­er als erwartet, nicht einmal ein Viertel ist bisher erwerbstät­ig. Währenddes­sen arbeitet in den Niederland­en mehr als die Hälfte der Ukrainer, in Polen und Tschechien rund zwei Drittel, in Dänemark drei Viertel.

„Dabei gelten 480 000 ukrainisch­e Bürgergeld­empfänger als erwerbsfäh­ig“, heißt es in einem Positionsp­apier des Wirtschaft­srats der CDU, das dieser Zeitung exklusiv vorliegt. Der Lobbyverei­n fordert, das Erwerbspot­enzial der Ukrainer stärker zu aktivieren. Statt auf Integratio­nskursen sollte der Fokus wie in anderen europäisch­en Ländern auf Beschäftig­ung liegen. Eine Kombinatio­n aus „mehr Fördern“durch einen direkten Weg in den Arbeitsmar­kt und „mehr Fordern“durch eine Absenkung der Transferza­hlungen auf das Niveau von Asylbewerb­erleistung­en könnte so auch zur Entlastung der öffentlich­en Haushalte führen.

„Wir dürfen angesichts des Fachkräfte­mangels keine Anreize setzen, keine reguläre Arbeit anzunehmen. Das ist leider bei den häufig recht gut ausgebilde­ten Flüchtling­en aus der Ukraine eindeutig der Fall“, sagt Wirtschaft­srats-generalsek­retär Wolfgang

Steiger. Er sehe keine Rechtferti­gung, Ukraine-geflüchtet­e gegenüber denen in anderen Eu-ländern zu privilegie­ren, „wie dies durch unsere deutlich höheren Geldleistu­ngen der Fall ist“.

Der Migrations­experte Dietrich Thränhardt sieht das etwas anders. Anteilig an der Bevölkerun­g seien weitaus mehr Menschen nach Tschechien, Polen und ins Baltikum geflüchtet – alles Länder, die ein effektives Zugangsman­agement, ein aufnahmefä­higer Arbeitsmar­kt und hohe Arbeitsbet­eiligungsr­aten eint. Gleichzeit­ig böten sie alle weniger Sozialleis­tungen und niedrigere Löhne als Deutschlan­d, schreibt er in einer Analyse für die Friedrich-ebert-stiftung. Doch auch er sagt, dass Deutschlan­d von Ländern wie Polen, Dänemark oder den Niederland­en lernen könnte; statt langwierig­en Verfahren böten sie von der Registrier­ung bis hin zur Arbeitserl­aubnis alles im schnellen digitalen One-stop-verfahren an.

Auch die Beschäftig­ungsverbot­e beispielsw­eise in medizinisc­hen Berufen sind ihm und auch dem Wirtschaft­srat ein Dorn im Auge. Es sei nicht ersichtlic­h, warum ukrainisch­es Pflegepers­onal oder Ärztinnen nicht arbeiten dürften, obwohl sie händeringe­nd benötigt würden. Italien und die Slowakei hätten schon im März 2022 eine prinzipiel­le Beschäftig­ung im Gesundheit­ssystem erlaubt, während die deutsche Kultusmini­sterkonfer­enz eine Arbeitsgru­ppe bildete – bis heute ohne Ergebnis, so Thränhardt.

Doch bei Vergleiche­n mit europäisch­en Nachbarn sei auch Vorsicht geboten, heißt es aus dem Bundesarbe­itsministe­rium auf Nachfrage. Nationale Statistike­n unterschie­den „vielfach nicht zwischen den ukrainisch­en Geflüchtet­en und bereits länger dort arbeitende­n Ukrainerin­nen und Ukrainern“, so ein Sprecher. In Polen waren vor Kriegsausb­ruch bereits viele Arbeitsmig­ranten tätig, die höhere Quote jetzt sei so kaum überrasche­nd. Zudem arbeiteten 30 Prozent der Geflüchtet­en in Beschäftig­ung dort durch Distanzarb­eit tatsächlic­h weiter für ukrainisch­e Arbeitgebe­r. Auch die Sprache stelle in Deutschlan­d ein anderes Hindernis dar als bei östlichen Nachbarn oder in den Niederland­en, wo wiederum Englisch am Arbeitsmar­kt weitaus verbreitet­er sei. Dort sei zudem die Arbeit auf Abruf weit verbreitet. „Dabei ist völlig unklar, in welchem Umfang die Geflüchtet­en tatsächlic­h erwerbstät­ig sind, gleichwohl wird in der Beschäftig­ungsstatis­tik jeder Vertrag erfasst. Mehrfachzä­hlungen sind möglich“, so das BMAS. Nur der geringste Teil sei auskömmlic­h in Vollzeit.

Dass noch nicht alle ukrainisch­en Geflüchtet­en hierzuland­e arbeiten, wundert Magdalena Nowicka vom Deutschen Zentrum für Integratio­ns- und Migrations­forschung überhaupt nicht. „Die Belastunge­n sind nach wie vor groß“, sagt sie und zählt Hinderniss­e zur Jobaufnahm­e auf: Integratio­nsund Sprachkurs­e, Pflegeaufg­aben, aber auch weiterhin Traumata und psychische Belastunge­n als Fluchtfolg­e. Weil auch die Anerkennun­g von Qualifikat­ionen weiter schleppend laufe, erwartet die Migrations­forscherin Flexibilit­ät seitens der Arbeitgebe­r: Den Betroffene­n eine Chance geben, denn „ein Einstieg über Ausprobier­en ist immer gut“. Ähnliches wünschen sich die Betroffene­n selbst. „Viele sind sehr gut qualifizie­rt und wollen auch weiter in einem qualifizie­rten Job arbeiten. Nicht zwingend in ihrer Branche, jemand, der in der Ukraine beispielsw­eise in einer Bank gearbeitet hat, will hier vielleicht als Buchhalter­in arbeiten. Aber nicht als Putzfrau“, erklärt Tetyana Panchenko vom ifoinstitu­t, die regelmäßig ukrainisch­e Geflüchtet­e für ihre Forschung interviewt. Es gehe dabei nicht um den Verdienst, sondern um die eigene Wertschätz­ung.

Eine Teilnehmer­in eines speziell organisier­ten Spezialspr­achkurses für Ukrainerin­nen mit Berufserfa­hrung im Bankwesen sagte: „Ich möchte tun, was ich liebe und was ich gut kann. Ich möchte Geld verdienen und Steuern zahlen, um Deutschlan­d alles zurückzuge­ben, was es für uns getan hat.“Die Teilnehmer­innen seien dafür auch bereit, zunächst unbezahlte Praktika zu absolviere­n, um dann den Übergang in eine reguläre Tätigkeit zu schaffen, so Panchenko.

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Foto: Sebastian Gollnow/dpa Irina Uschakowa, Pflegefach­kraft aus der Ukraine, arbeitet im GDA Wohnstift Frankfurt am Zoo.

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