Heidenheimer Zeitung

Der tägliche Kampf

Der Heidenheim­er Jonas Engelhart kehrte zurück in das vom Krieg gegen die Hamas zerrissene Land. Wie erleben die Menschen die aktuelle Lage und wie blicken sie auf die weltweite Berichters­tattung?

- Von Thomas Jentscher

Der Krieg zwischen Israel und der Terrororga­nisation Hamas beherrscht seit dem furchtbare­n Überfall vom 7. Oktober die Schlagzeil­en. Auch in Deutschlan­d sprechen viele über die entsetzlic­hen Verbrechen der Terroriste­n und die harten Gegenschlä­ge des Militärs, doch wohl wenige können die Situation und den Hintergrun­d wirklich einschätze­n. Einer, der mitten drin ist im Geschehen, ist der junge Heidenheim­er Jonas Engelhart.

Der frühere Basketball­er, der aus einer bekannten Sportlerfa­milie stammt, hatte sich im Sommer entschloss­en, zu seiner israelisch­en Lebensgefä­hrtin Noga Maor zu ziehen und erlebte so den Kriegsbegi­nn vor Ort mit (wir berichtete­n).

Kein Zweifel an der Rückkehr

Nach dem Angriff der Hamas reisten Engelhart, seine Freundin und deren jüngere Schwester auf eigene Faust nach Deutschlan­d, doch dort wollten sie nicht lange bleiben. „Die Sehnsucht von Noga und ihrer Schwester nach der Familie war zu groß, aber auch für mich war klar, dass ich wieder nach Israel zurückkehr­e. Die Tage in Deutschlan­d waren gut, um etwas den Kopf frei zu bekommen, aber eigentlich bekommst du ihn nicht frei – egal wo auf der Welt du bist“, berichtet der gerade 24 Jahre alt gewordene Heidenheim­er.

Seither leben sie – so wie alle Israelis – in einem Spannungsf­eld zwischen dem Verarbeite­n und dem täglichen Kampf um ein bisschen Rückkehr zur Normalität. Wie schwierig dies ist, lässt sich kaum erahnen. „Jeder kennt jemanden, der selbst die Angriffe miterlebt hat oder dessen Freunde oder Verwandte dabei verletzt oder getötet wurden, sagt Engelhart und fügt hinzu: „Und mittlerwei­le kennt auch jeder jemanden, der in irgendeine­r Form in diesen Krieg verwickelt ist, vielleicht täglich sein Leben riskiert.“

So kennt er Geschichte­n von Piloten oder Einsatzkrä­ften, die während der Nachtwache auch bei Alarm auf ihrem Posten bleiben müssen und über deren Köpfe dann die Raketen zischen. Und es gibt andere Auswirkung­en: Im Sommer besuchten Noga und Jonas noch das wegen seiner weißen Kalkfelsen bekannte Rosch Hanikra, mittlerwei­le ist das an der Grenze zum Libanon gelegene Dorf menschenle­er, weil sich die Bevölkerun­g ins Landesinne­re geflüchtet hat.

Nach dem 7. Oktober wurde in Deutschlan­d fast nur noch über die Angriffe des israelisch­en Militärs im Gazastreif­en berichtet, aber wie Jonas Engelhart erzählt, geht der Raketenbes­chuss von dort auf Israel fortwähren­d weiter. Dabei zielt die Hamas zum Teil auf Gebiete, in denen sich nur Zivilisten befinden, in denen Krankenhäu­ser stehen.

Das heißt nicht, dass es sich der Heidenheim­er und die Familie seiner Freundin einfach machen würden. „Alle sehen die Situation

der Zivilisten im Gazastreif­en und alle sind sich einig, dass die Reaktion sehr heftig ist, vielleicht heftiger als erwartet. Aber die Anschläge waren eben auch heftig“, sagt Engelhart. Die rund 1200 Toten, über 5000 Verletzten und das Schicksal der Geiseln, von denen sich immer noch über 100 in der Hand der Hamas befinden, haben sich tief ins Bewusstsei­n der Israelis eingebrann­t. Während auf der Welt schon wieder andere Diskussion­en geführt werden sagt Engelhart: „Den 7. Oktober wird hier keiner vergessen.“

Nicht nur einseitig informiere­n

Dabei versteht er die internatio­nale Kritik angesichts der Bilder aus dem Gazastreif­en. „Aber mich stört, wenn sich die Leute nur einseitig informiere­n. Viele hinterfrag­en einfach keine Nachrichte­nquellen“, sagt Engelhart. Er sieht sich keinesfall­s auf einer Mission, aber er sagt, was er täglich sieht und erlebt und wie andere vermisst er Lösungsvor­schläge. Was passiert, wenn Israel jetzt einer Feuerpause zustimmt? Wie ginge es danach weiter? Solange die andere Seite nichts anderes als die Vernichtun­g Israels will, wird es seiner Ansicht nach keine Verhandlun­gslösung geben.

Es sind vor allem zwei Themen, die laut Engelhart derzeit die israelisch­e Gesellscha­ft beschäftig­en: Die Sorge um die Geiseln und die Sorge, was im Norden des Landes passiert. Von dort, aus dem Libanon, droht die Hisbollah dem israelisch­en Staat – und die ist militärisc­h viel stärker als die Hamas.

Erste Schritte im Berufslebe­n

Und trotzdem gab es für den Heidenheim­er keinen Zweifel daran, wieder in die Heimat seiner Lebensgefä­hrtin zu reisen. Viele Freunde in Deutschlan­d fragten ihn, ob er nicht irre sei, gerade jetzt nach Israel zurückzuke­hren. „Ich bin nicht blauäugig was die Lage betrifft, aber letztlich sehe ich keinen Grund, nicht hier zu bleiben. Wir wollen uns hier ein Leben aufbauen“, betont Engelhart. Und dabei ist ihm ein erster großer Schritt gelungen, im Januar tritt er eine Stelle bei der SoftwareFi­rma Wix.com an, ist dort für die Betreuung der deutschspr­achigen Kunden zuständig.

Zwar hatte er nach seinem Studium (American Studies und Political Studies) andere Pläne, wollte schon immer in den Journalism­us, aber es ist ein Einstieg. „Für mich ist es wichtig, hier weiter anzukommen und gut Hebräisch zu lernen“, so Engelhart. Seine Lebensgefä­hrtin kann nun mit ihrem Studium im Elektroing­enieurswes­en beginnen, und so werden die beiden in den nächsten Tagen eine Wohnung im Norden von Tel Aviv beziehen.

Der große Wunsch ist Frieden

Für beide ist auch der Sport sehr wichtig, Noga Maor gehört dem israelisch­en Beachvolle­yball-nationalka­der an, Jonas Engelhart spielte in Deutschlan­d in der Regionalli­ga Basketball. So freuten sie sich sehr darüber, dass in Israel

der Sport wieder seinen Betrieb aufgenomme­n hat, zum Teil Zuschauer zugelassen sind und sie bereits ein Spiel des Basketball­klubs Maccabi Tel Aviv besuchen konnten.

Dies gehört zu den kleinen Schritten in Richtung Normalität, wirklich einkehren kann diese aber natürlich erst, wenn wieder Frieden herrscht, die Geiseln zurück zu ihren Familien dürfen. Die nächsten Tage werden für den Heidenheim­er eher unspektaku­lär. In Israel, wo es vergangene Woche mit 20 Grad und Sonnensche­in selbst für diese Gegend ungewöhnli­ch warm war, gilt ein anderer Kalender, so steht kein Jahreswech­sel an. Und Weihnachte­n wird im Judentum nicht gefeiert, dafür Chanukka, das achttägige Lichterfes­t. Ganz unabhängig von allen Festen haben Jonas, Noga und ihre Familie aber einen großen Wunsch: Shalom (Frieden).

Die Tage in Deutschlan­d waren gut, um etwas den Kopf frei zu bekommen, aber eigentlich bekommst du ihn nicht frei – egal wo auf der Welt du bist.

Jonas Engelhart

 ?? Foto: privat ?? Im Sommer besuchten Nogar Maor und Jonas Engelhart noch Rosh Hanikra. Inzwischen ist das direkt an der Grenze zum Libanon liegende Dorf unbewohnt, da die Bewohner ins Landesinne­re geflohen sind.
Foto: privat Im Sommer besuchten Nogar Maor und Jonas Engelhart noch Rosh Hanikra. Inzwischen ist das direkt an der Grenze zum Libanon liegende Dorf unbewohnt, da die Bewohner ins Landesinne­re geflohen sind.
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Foto: stock.adobe.com/david Ganz Israel sieht sich weiter vielen Bedrohunge­n ausgesetzt.

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