Kein Après-ski in Ischgl
Tourismus Der einstige Corona-hotspot in den Tiroler Alpen ist wieder voll gebucht. Die berüchtigten Party-exzesse gibt es jedoch nicht mehr. Von Patrick Guyton
Am Nachmittag ist die Dorfstraße voll mit Menschen. Manche haben Skischuhe an und tragen Skier über der Schulter, andere nicht. In den Lokalen wird getrunken und gegessen, während die Kabinen der Silvretta-seilbahn in schnellem Takt rauf auf den Berg sausen und wieder runter. So zeigt sich Ischgl jetzt im Winter. „Wir haben gerade eine Auslastung wie vor Corona“, sagt Arnold Tschiderer im Gespräch mit dieser Zeitung. Er betreibt das noble Schlosshotel und die vorgelagerte „Champagnerhütte“.
Ischgl – das ist jener Skiort in Tirol mit dem bei vielen miserablen Ruf. Anfang März 2020, als Corona in den Startlöchern stand, kam es dort zu einem massenhaften Ausbruch, dem ersten in Europa. Es sei zu spät gewarnt und nicht rasch genug geschlossen worden, lauteten die Vorwürfe. In den Après-ski-bars infizierten sich die Urlauber vielfach. Bei der überstürzten Abreise der Menschenmassen kam es zu gewaltigem Chaos und zu Szenen von Panik. Wie geht der Ort jetzt, in der ersten Skisaison seit dem März 2020, damit um?
„Wir haben früher nicht alles richtig gemacht, natürlich sind Fehler passiert“, meint Günther Zangerl. Er ist Vorstand der Silvretta-seilbahn und stammt aus dem „Dorf“, wie die Einheimischen Ischgl nennen. Das Image des „Ballermann der Alpen“sei, so Zangerl, „nicht ganz unverschuldet entstanden“. Er erinnert sich gut daran, dass bei einer Reihe
von Urlaubern die Après-ski-besäufnisse am Nachmittag um 15 Uhr begonnen und am nächsten Morgen um fünf Uhr geendet hatten. Auch damals wurde immer wieder im Ort diskutiert: „Wollen wir das, oder wollen wir das nicht?“
Ab 22 Uhr ist nun Sperrstunde in der Gastronomie. Es herrscht die 2G-regel, in Restaurants und Bars erhalten Gäste einen Sitzplatz und müssen dort auch bleiben. Tanzen, feiern, flirten? Alles nicht wie früher möglich. Der Ort ist eine Ansammlung von Hotels, Gastronomie und Sportgeschäften, gruppiert um die Dorfstraße. Auf 1600 Bewohner kommen im Jahr 1,5 Millionen Gästeübernachtungen, die meisten davon sind Skiurlauber. An vielen Tagen liegt das Verhältnis von Touristen zu Einheimischen bei zehn zu eins.
„Nein, Ischgl war nie ein Ballermann der Alpen“, sagt der Hotelier Tschiderer. „Dafür haben wir ein viel zu hohes Qualitätslevel.“Im Ort gebe es jede Menge Top-hotels und Top-restaurants. Viele Urlauber würden zum Skifahren und zum Genießen kommen und sich das auch etwas kosten lassen. „Après-ski ist nur ein kleiner Teil des Angebots.“Ischgl habe jede Menge Stammgäste, die sich nicht fürs Partymachen interessierten. Die Leute wollten Ski fahren und die Natur genießen. „Am Bächlein von Ischgl nach Galtür zu spazieren, das ist wie im Märchen“, schwärmt Tschiderer.
Die Après-ski-lokale sind weiterhin da, aber es gibt kein Aprèsski mehr. Der „Kuhstall“ist voll in den Abendstunden, wie auch „Nikis Stadl“. Und vor dem „Schatzi“stehen die Menschen Schlange und warten auf Einlass. Früher wurde so dafür geworben: „Zwischen 16 und 19 Uhr sorgen hier ‚Tiroler Mädels‘ in kurzen Röcken beim Table Dance vor allem bei den männlichen Gästen für gute Stimmung.“Jetzt bevölkert das Publikum die Bars geordnet und gemäß Corona-regeln.
Berühmt und im Nachhinein am berüchtigtsten war das „Kitzloch“– von einem dortigen Barmitarbeiter waren im März 2020 viele Infektionen an die Besucher weitergetragen worden. Zur Jahreswende wurde nun erneut ein
Angestellter positiv getestet und in der Folge vier weitere. „Alle Regeln werden zu 100 Prozent eingehalten“, beteuert der Wirt Bernhard Zangerl. Die Ereignisse zeigten, dass Corona überall auftauchen könne. Er habe sich daran gewöhnt, dass das Kitzloch „auf dem Präsentierteller liegt“.
Anna Kurz ist mit ihrer Restaurant-bar „Fire and Ice“mitten drin. Seit vier Jahren ist die 30-jährige Ischglerin die Chefin, sie hat den Betrieb von den Eltern übernommen. „Unser Job ist es, unsere Gäste glücklich zu machen“, sagt sie mit strahlendem Lächeln. Sie setzt auf „internationales Publikum von 20 bis 50 Jahren“und meint: „Tourismus ist extrem kreativ.“Die Räume sind chic gestylt, darum kümmert sie sich. In Wien hat sie Uni-abschlüsse in Medienwissenschaft und Dramaturgie gemacht.
Und ist dann heimgekehrt. Dass stoßweise so viele Urlauber da sind, findet sie „total spannend“. Es gebe aber auch ein Dorfleben mit Vereinen – „wir helfen zusammen“. Und es verletze, „dass man als geldgierig oder verantwortungslos dargestellt wurde“. Im „Fire and Ice“wollte sie nur noch leiseren Elektro-pop spielen. Aber das Publikum verlangt auch die Klassiker – Cordula Grün oder YMCA. „Ganz primitive und sexistische Lieder spielen wir nicht“, meint Anna Kurz. Wenn sie genug hat vom Trubel, fährt sie raus zum kleinen Bauernhof der Familie und kümmert sich um ihre vier Lamas.