Heidenheimer Zeitung

Unbequeme Wahrheit

- Dominik Guggemos zum Wahlkampft­hema Antisemiti­smus leitartike­l@swp.de

An diesem Donnerstag wird der Spatenstic­h für die Jüdische Akademie in Frankfurt am Main gelegt. Ein jüdisches Haus, mitten in der Stadt, das die jüdische Perspektiv­e auf gesellscha­ftliche und wissenscha­ftliche Debatten sichtbar machen soll. Schön, dass sich mit Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) und Ministerpr­äsident Volker Bouffier (CDU) Politikpro­minenz angekündig­t hat. Schlecht ist, dass das Thema Antisemiti­smus im Wahlkampf bisher überhaupt keine Rolle spielt.

Es ist gerade einmal rund einhundert Tage her, da waren tausende Menschen in Deutschlan­d auf der Straße, um gegen Israel zu demonstrie­ren. Nun ist sachliche Kritik an politische­n Entscheidu­ngen der israelisch­en Regierung völlig legitim. Das gilt erst recht für eine kritische Auseinande­rsetzung mit dem korrupten Ex-ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu. Aber was sich auf vielen der Anti-israel-demos abspielte, hatte damit nichts zu tun. „Tod Israel!“wurde da skandiert – unwiderspr­ochen.

Nun legen Jüdinnen und Juden in Deutschlan­d zurecht großen Wert darauf, nicht für den Staat Israel in Sippenhaft genommen zu werden. Wenn sie dann aber auf deutschem Boden „Tod Israel!“lesen und hören müssen, wie können sie das nicht auf sich, auf ihr Existenzre­cht in diesem Land, ja auf diesem Planeten beziehen? Ganz klar: Das ist Antisemiti­smus.

Anlassbezo­gen fällt diese notwendige klare Kante der politische­n und gesellscha­ftlichen Elite des Landes leicht. Je schlimmer die Vorfälle (wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle), desto klarer die Sprache. Wirklich etwas verändern lässt sich aber nur, wenn Antisemiti­smus nicht ausschließ­lich nach einer Tragödie breit diskutiert wird. Schon seit sechs Jahren warnt der Zentralrat der Juden davor, in bestimmten Stadtviert­eln die Kippa zu tragen. Nur wenig hat sich verändert. Es wurde eher schlimmer.

Das hat mit zwei unbequemen Wahrheiten zu tun. Studien zeigen, dass die Hälfte der Menschen mit muslimisch­em Migrations­hintergrun­d antisemiti­sche Einstellun­gen hat. Dabei geht es nicht darum, den Judenhass mit Muslimfein­dlichkeit zu bekämpfen. Aber es kann auch nicht angehen, dass man Antisemiti­smus einfach hinnimmt aus lauter Sorge davor, als islamophob zu gelten. Eine harte, aber differenzi­erte Debatte in und mit

Es genügt nicht, wenn nur nach Tragödien diskutiert wird. Es bedarf kritischer Selbstrefl­exion.

der muslimisch­en Community, warum diese Ansichten so oft vorkommen und warum sie etwa in Koranschul­en in Deutschlan­d nicht verbreitet werden dürfen, ist zwingend notwendig.

Die zweite unbequeme Wahrheit ist: Antisemiti­sche Haltungen sind herkunftsü­bergreifen­d. Ein gesellscha­ftlicher Blick in den Spiegel deckt auf, dass entspreche­nde Vorurteile weit verbreitet sind. Im rechtsextr­emen Milieu sowieso, aber auch im linken und bürgerlich­en. Und das Gefühl steigt, diese ohne Konsequenz­en ausspreche­n zu dürfen. Eine kritische Selbstrefl­exion hierüber ist zwingend. Der Wahlkampf wäre die passende Arena dafür. Schade, dass all das keine Rolle spielt. Für jüdisches Leben in der Mitte unserer Gesellscha­ft reicht kein Haus mitten in der Stadt.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany