Unbequeme Wahrheit
An diesem Donnerstag wird der Spatenstich für die Jüdische Akademie in Frankfurt am Main gelegt. Ein jüdisches Haus, mitten in der Stadt, das die jüdische Perspektive auf gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatten sichtbar machen soll. Schön, dass sich mit Innenminister Horst Seehofer (CSU) und Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) Politikprominenz angekündigt hat. Schlecht ist, dass das Thema Antisemitismus im Wahlkampf bisher überhaupt keine Rolle spielt.
Es ist gerade einmal rund einhundert Tage her, da waren tausende Menschen in Deutschland auf der Straße, um gegen Israel zu demonstrieren. Nun ist sachliche Kritik an politischen Entscheidungen der israelischen Regierung völlig legitim. Das gilt erst recht für eine kritische Auseinandersetzung mit dem korrupten Ex-ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Aber was sich auf vielen der Anti-israel-demos abspielte, hatte damit nichts zu tun. „Tod Israel!“wurde da skandiert – unwidersprochen.
Nun legen Jüdinnen und Juden in Deutschland zurecht großen Wert darauf, nicht für den Staat Israel in Sippenhaft genommen zu werden. Wenn sie dann aber auf deutschem Boden „Tod Israel!“lesen und hören müssen, wie können sie das nicht auf sich, auf ihr Existenzrecht in diesem Land, ja auf diesem Planeten beziehen? Ganz klar: Das ist Antisemitismus.
Anlassbezogen fällt diese notwendige klare Kante der politischen und gesellschaftlichen Elite des Landes leicht. Je schlimmer die Vorfälle (wie der Anschlag auf die Synagoge in Halle), desto klarer die Sprache. Wirklich etwas verändern lässt sich aber nur, wenn Antisemitismus nicht ausschließlich nach einer Tragödie breit diskutiert wird. Schon seit sechs Jahren warnt der Zentralrat der Juden davor, in bestimmten Stadtvierteln die Kippa zu tragen. Nur wenig hat sich verändert. Es wurde eher schlimmer.
Das hat mit zwei unbequemen Wahrheiten zu tun. Studien zeigen, dass die Hälfte der Menschen mit muslimischem Migrationshintergrund antisemitische Einstellungen hat. Dabei geht es nicht darum, den Judenhass mit Muslimfeindlichkeit zu bekämpfen. Aber es kann auch nicht angehen, dass man Antisemitismus einfach hinnimmt aus lauter Sorge davor, als islamophob zu gelten. Eine harte, aber differenzierte Debatte in und mit
Es genügt nicht, wenn nur nach Tragödien diskutiert wird. Es bedarf kritischer Selbstreflexion.
der muslimischen Community, warum diese Ansichten so oft vorkommen und warum sie etwa in Koranschulen in Deutschland nicht verbreitet werden dürfen, ist zwingend notwendig.
Die zweite unbequeme Wahrheit ist: Antisemitische Haltungen sind herkunftsübergreifend. Ein gesellschaftlicher Blick in den Spiegel deckt auf, dass entsprechende Vorurteile weit verbreitet sind. Im rechtsextremen Milieu sowieso, aber auch im linken und bürgerlichen. Und das Gefühl steigt, diese ohne Konsequenzen aussprechen zu dürfen. Eine kritische Selbstreflexion hierüber ist zwingend. Der Wahlkampf wäre die passende Arena dafür. Schade, dass all das keine Rolle spielt. Für jüdisches Leben in der Mitte unserer Gesellschaft reicht kein Haus mitten in der Stadt.