Liebe Agitprop,
es ist kein Wunder, dass man länger nichts mehr gelesen hat von Dir. Als Du in Mode warst, schrieb man die 1920er Jahre, und in der nagelneuen Sowjetunion schraubten die Kommunisten aus den Wörtern Agitation und Propaganda die „Agitprop“zusammen. Die Idee war mehr als nur Werbung und PR. Es ging um die idealistische Vorstellung, dass man die Welt durch Plakate formen und umgestalten kann. Sowjetmensch? Vollendeter Kommunismus? Internationale Solidarität? Man muss es nur genügend plakatieren, dann wird das schon.
Spannenderweise hat diese Idee bis heute ihre Anhängerinnen und Anhänger. So tritt auch in Heidenheim eine Partei an, die sich bis heute den Ideen von Karl Marx und Wladimir Iljitsch Uljanow verschrieben hat, den man übrigens Lenin nannte
(also Uljanow, nicht Marx).
Besagte Partei beeindruckt durch bienenfleißiges Plakatieren, und ein Stück weit scheint die Agitprop auch zu wirken: Im vom Wahlkampf eingefärbten Heidenheimer Straßenbild kommt man an den kleinen, aber stets kämpferisch formulierten Plakaten der Partei nicht vorbei, manche Straßenzüge beherrschen sie, und es ist schon Tradition, dass die Seewiesenbrücke ganz alleine dieser Partei gehört, es fühlt sich ein wenig an wie einst in einem sozialistischen Land mit Einheitspartei.
Allein schon das hebt besagte Partei aus der Vielfalt anderer Gruppierungen heraus. Das eigentlich Rekordverdächtige an dieser Partei ist aber das Verhältnis von Wahlwerbung zu Wahlerfolg. Bei der Bundestagswahl 2017 holte die Partei von Marx und Lenin in der Stadt Heidenheim insgesamt 120 Stimmen (88 Erst- und 32 Zweitstimmen) und ist damit die einzige Partei, die deutlich mehr Plakate als Stimmen verzeichnete. Wenn die CDU das auch hätte schaffen wollen, hätte man allein in Heidenheim mehr als 16 000 Plakate aufhängen müssen.
Bleibt also die Frage: Wirkt Agitprop? Im Prinzip ja, Genossen . . . Aber Ihr lest das ja eh wieder nicht.