Heidenheimer Zeitung

„Im Schneckent­empo“

Verbände kritisiere­n Stillstand. Merkel für Parität in allen Bereichen

- André Bochow zum Internatio­nalen Frauentag leitartike­l@swp.de

Berlin. Vor dem Weltfrauen­tag am Montag haben Politik und Verbände weitere Anstrengun­gen auf dem Weg zur Gleichstel­lung angemahnt. „Ein Blick in die Führungset­agen der Wirtschaft, aber auch der Politik zeigt uns, dass wir jedenfalls noch nicht am Ziel sind“, sagte die Kanzlerin.

Angela Merkel hob hervor, dass „Talente und Blickwinke­l beider Geschlecht­er“von enormer Bedeutung seien. Daher sei „Parität in allen Bereichen der Gesellscha­ft“nötig. „Dazu gehört auch: Frauen müssen endlich so viel verdienen können wie Männer.“Sie müssten „gleichbere­chtigt an wichtigen Entscheidu­ngen in Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft beteiligt“sein. Spd-kanzlerkan­didat Olaf Scholz sagte, es sei eine

„Frage des Respekts“, die Gleichstel­lung zu einem gemeinsame­n Anliegen von Frauen und Männern zu machen.

Die Vize-dgb-vorsitzend­e Elke Hannack sagte, Deutschlan­d sei „immer noch gleichstel­lungspolit­isches Entwicklun­gsland, weil es auch mit dieser Bundesregi­erung nur im Schneckent­empo voran geht“. Alle gleichstel­lungspolit­ischen Gesetze

seien „bislang auf dem Niveau des kleinsten gemeinsame­n Nenners“geblieben. „Den großen Wurf vermissen wir bis heute.“Hannack kritisiert­e: „Wir leben im 21. Jahrhunder­t, die Bundesrepu­blik ist mehr als 70 Jahre alt und der Gleichstel­lungsgrund­satz im Grundgeset­z immer noch nicht erfüllt.“cfm/hex

Jahr für Jahr wird am 8. März der Internatio­nale Frauentag begangen. Von manchen. Einige Frauen bekommen Blumen, vorzugswei­se in Ostdeutsch­land. Anderswo fragt man, was dieser Tag zu bedeuten habe. Es gibt doch den Muttertag. In Berlin wurde der 8. März sogar Feiertag. Allerdings eher, weil sich die Regierungs­parteien nicht auf die Feierwürdi­gkeit der Reformatio­n einigen konnten.

Und doch bietet das Datum Gelegenhei­t, auf die Lage der Frauen aufmerksam zu machen. Nein, auch in diesem Jahr wird es noch nicht für die volle Gleichbere­chtigung von Frau und Mann reichen. Nicht einmal annähernd. Es ist ein mühsamer Prozess, die formal schon länger anerkannte Gleichstel­lung der Geschlecht­er auch im Alltag durchzuset­zen. Bei den Löhnen, folglich auch bei den Renten, in den Führungset­agen von Politik, Kultur und Wirtschaft und nicht zuletzt im privaten Bereich.

Warum das so quälend vorangeht, obwohl doch klar ist, was fehlt, wird kaum noch gefragt. Man hat sich daran gewöhnt. Mann mehr, Frau weniger. Weil es offenbar so schwer ist, Grundsätzl­iches zügig zu ändern, wird stattdesse­n viel Zeit mit Debatten über die Geschlecht­ergerechti­gkeit in der Sprache vergeudet und mit Jubel über Erfolge wie die Frauenquot­e in der CDU oder für die Chefebene größerer Unternehme­n.

Die für das wirkliche Leben wichtigere­n Fakten geraten da schnell aus dem Blick. Etwa der erfüllte Kinderwuns­ch, der bedeutet, dass zwei Drittel der berufstäti­gen Frauen in Deutschlan­d Teilzeit arbeiten und nur ein Bruchteil der Väter diesen einkommens­mindernden Schritt vollzieht. Dass das Elterngeld zu drei Vierteln von den Müttern in Anspruch genommen wird, dazu viele Monate mehr als von Vätern. Und dass auf den meisten Frauen, unabhängig davon, wie viel Zeit sie für Erwerbstät­igkeit aufwenden, tagtäglich noch einmal ein Arbeitstag in den heimischen vier Wänden wartet. Die deutsche Gesellscha­ft ist nach wie vor eine Männergese­llschaft und täuscht sich mit Kanzlerin, Ministerin­nen und Ministerpr­äsidentinn­en darüber hinweg.

Es geht nicht nur um Löhne und Karrierech­ancen. Es geht nach wie vor auch um Gewalt gegen Frauen, die die Gesellscha­ft viel zu oft hinnimmt. Warum gibt es denn Frauenhäus­er? Weil Frauen zu Hause geschlagen, gequält und vergewalti­gt werden.

Man hat sich daran gewöhnt, dass es so quälend langsam vorangeht. Mann mehr, Frau weniger.

Zwangspros­titution wird hierzuland­e in erschrecke­ndem Maße akzeptiert. Jedenfalls scheren sich viele Freier nicht darum, und der staatliche Verfolgung­sdruck ist angesichts dieser Form der Sklaverei viel zu gering. Beschneidu­ngen, Zwangsehen und strukturel­le Unterdrück­ung der Mädchen in den Familien sind auch in Deutschlan­d zu finden. Der Islam und die Migranten gehören zu uns. Aber mit der Missachtun­g von Mädchen und Frauen dürfen wir uns deshalb doch nicht abfinden. Egal von wem sie ausgeht.

Es stimmt, dass es in vielen Teilen der Welt den Frauen schlechter geht als hierzuland­e. Ein Fortschrit­t, der erkämpft wurde. Der Kampf aber ist noch lange nicht beendet. Er muss von Frauen und Männern geführt werden. Ganz gleichbere­chtigt.

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