„inameienreirkra esvteocluktion“
Zahlreiche Us-bürger sehen in Donald Trump den Vorkämpfer gegen korrupte Eliten und machtbesessene Volksvertreter. Der Wissenschaftler Bill Fawell warnt vor einer „Phase der Gewalt“.
Bill Fawell sitzt in seinem zweistöckigen Backsteinhaus am Ortsrand von Galena, Illinois, im Home-office. Er stützt die Ellenbogen auf den Schreibtisch und blickt mit ernster Miene in die Kamera, das Gespräch findet angesichts der Corona-pandemie via Internet statt. An der Wand hinter ihm prangt ein riesiges Sternenbanner. „Amerika“, sagt der Politikwissenschaftler, „steckt mitten in einer Revolution.“Der 67-Jährige zählt historische Beispiele auf, um seine Ansicht zu unterfüttern: Oliver Cromwell (1599 bis 1658), der gegen das englische Königshaus zu Felde zog, und den französischen Revolutionär Maximilien de Robespierre (1758 bis 1794). Auch in den Zuständen der Weimarer Republik (1918 bis 1933) sieht der leidenschaftliche Anhänger Donald Trumps Parallelen zur heutigen Situation in den USA: den „wirtschaftlichen, ethischen und moralischen Bankrott der Gesellschaft“. In allen drei genannten Fällen sei ein Außenseiter aufgetaucht, der die unzufriedenen, zunächst schweigenden Massen inspiriert und mobilisiert habe. „Der ihnen den Mut gab, zu protestieren und die politisch Etablierten aus dem Amt zu jagen.“
Dies sei auch in den USA geschehen, der Außenseiter sei Donald J. Trump gewesen, sagt Fawell. Was ihn mit Cromwell und Robespierre verbinde: „Ihre Tage an der Macht waren rasch gezählt, weil sie politisch unerfahren waren und sich die Etablierten früher oder später wieder durchsetzten.“Die Rolle des klassischen Revolutionärs will allerdings zum 74-jährigen Unternehmer aus New York City nicht recht passen: Trump ist weder ein Anwalt des Rechtsstaates noch kämpft er für Gleichheit und Brüderlichkeit. Seine „Revolution“dient vielmehr dazu, Macht und Wohlstand der weißen Bevölkerung zu sichern. Er steht für die „Degeneration der politischen Kultur“in den USA, wie Heribert Prantl in der „Süddeutschen Zeitung“schrieb.
Fawell, der 2018 selbst erfolglos für den Us-kongress kandidiert hat, hatte den politischen Triumph eines Populisten wie Trump lange vor dessen Wahlsieg im Jahre 2016 vorausgesagt. Bereits 2014 prophezeite er ihn in seinem Buch „The Science of Liberty: American Reformation and Renaissance“als unausweichliche Entwicklung in einer von Karrierepolitikern beherrschten
Demokratie, als Teil einer historischen Evolution. Es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Bevölkerung sich auflehne gegen das „militärisch-industrielle Establishment“und vermeintlich korrupte, selbstsüchtige Politiker, die seit Jahrzehnten das Land regierten. „Ich habe gewusst, dass ein Außenseiter das System aufwühlen würde, nur wusste ich nicht, dass es Trump sein würde“, sagte Fawell in einem Gespräch vor drei Jahren.
Heute blickt Fawell zurück auf die Amtsperiode des Präsidenten, dem er zweimal seine Stimme geschenkt hat. Den er 2017 einen Narren nannte, weil er sich wie ein ständig beleidigter Junge benehme. „Aber er ist halt unser Narr, und wir stehen zu ihm.“Bill Fawell, der sein Geld als Immobilienmakler verdient, hat nebenbei ein Pamphlet verfasst: „Notizen einer amerikanischen Revolution“. Für den Kongress kann er nicht erneut kandidieren – die Republikaner haben eine Rechtsanwältin mit moderateren Ansichten ins Rennen geschickt.
Fawell ist überzeugt, dass Trump der Wahlsieg gestohlen wurde – was selbst manchen seiner Parteifreunde zu weit geht. Verschwörungen, inszeniert vom Establishment in Washington, hätten den noch amtierenden Präsidenten in die Knie gezwungen. Die Mehrheit der Amerikaner habe hingegen erkannt, dass Trump „meisterhafte Leistungen“vollbracht habe – sie hätten ihn niemals abgewählt. Fawell zählt auf: Mit dem frühzeitigen Einreiseverbot für Chinesen habe er verhindert, dass noch mehr Amerikaner an Corona sterben. Seine Steuerpolitik habe die Wirtschaft belebt und viele Menschen wohlhabender gemacht.
Mit Blick auf die Geschichte führt Fawell ein weiteres Argument ins Feld, das man gern als Hirngespinst abtun würde. Mit bemerkenswerter Gelassenheit trägt er vor, welches nun die „nächste Phase in dieser neuen amerikanischen Revolution“sein werde: „Die Phase der Gewalt“. Er verweist auf die Unruhen im August 2017 in Charlottesville, Virginia. Unter dem Motto „Unite the Right“(„Vereinigt die Rechte“) hatten rechtsextreme Gruppen in der Stadt demonstriert und sich heftige Auseinandersetzungen mit Gegnern geliefert. Anschließend raste ein Anhänger der Neonazi-szene mit seinem Auto in eine Gruppe von Gegendemonstranten. Er tötete eine 32-Jährige und verletzte mindestens 19 Menschen. Us-justizminister Jeff Sessions bezeichnete die Tat als terroristischen Akt, Präsident Trump weigerte sich, Rassismus und rechtsradikale Gewalt zu verurteilen.
Die „Phase der Gewalt“im Lande habe sich fortgesetzt, nachdem der Afroamerikaner George Floyd am 25. Mai 2020 bei einem Polizeieinsatz gestorben war, sagt Fawell. In den Tagen und Nächten danach kam es zu Ausschreitungen und Plünderungen in rund 40 Us-städten, es gab Tote und Verletzte. Die Nationalgarde griff ein, um die Lage zu beruhigen, Ausgangssperren wurden verhängt. Als Antwort auf die zahlreichen Fälle rassistisch motivierter Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten entstand die „Black Lives Matter“-bewegung. Menschen wie Bill Fawell zeigen sich darüber irritiert: Seiner Ansicht nach ist die Polizeigewalt berechtigt.
Der Politologe glaubt auch zu wissen, dass sich die Krise rasch weiter zuspitzen und in neue Gewalt münden kann. Am 5. Januar, zwei Wochen vor der Amtseinführung des künftigen Us-präsidenten, fand in Georgia eine Stichwahl für den Us-senat statt. Dabei wurde entschieden, ob die demokratische oder die republikanische Partei in den kommenden zwei Jahren in der oberen Kongresskammer die Mehrheit hat. Bei der Präsidentschaftswahl im November hatte die Mehrheit in dem traditionell republikanisch dominierten Bundesstaat für die Demokraten gestimmt. „Republikanische Wähler dort sind überzeugt, dass ihnen die Präsidentschaftswahl geklaut wurde“, sagt Fawell. „Wenn am 5. Januar bei der Senatswahl dasselbe geschieht, dann werden die ,Proud Boys’ Gewehr bei Fuß stehen, sie werden sich das nicht gefallen lassen.“