Hohe Haftstrafen im Wtz-prozess
Im großen Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht sind jetzt die Urteile gesprochen worden. Das Gericht geht von banden- und gewerbsmäßigem Betrug aus.
Vor dem Stuttgarter Landgericht wurden drei früher Verantwortliche des Wundtherapiezentrums verurteilt.
Mehr als fünf Monate lang wurde vor der 13. Großen Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts gegen die früher Verantwortlichen des Heidenheimer Wundtherapiezentrums (WTZ) verhandelt. Am Donnerstag fiel das Urteil: Alle drei Angeklagten wurden wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs zu hohen Haftstrafen verurteilt. Der frühere Geschäftsführer des WTZ muss für sechs Jahre und zwei Monate in Haft, seine Frau, die ebenfalls Geschäftsführerin und dazu noch Gesellschafterin war, erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Der mitangeklagte Schwiegersohn wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Verfahren gegen die Tochter des Ehepaars war schon zuvor aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt worden.
Richter spricht von Bande
Obwohl alle Verteidiger in ihren Plädoyers vehement betonten, dass es sich bei der Familie keinesfalls um eine Bande handele, sieht die Kammer das anders. „Uns ist bewusst, dass das Urteil ein schwerer Schlag gegen Ihre Familie ist“, sagte der Vorsitzende Richter Dr. Frank Maurer in seiner mehr als einstündigen Urteilsbegründung. „Aber das Urteil ist dem Umstand geschuldet, dass hier eine Familienbande tätig war, die durch Betrug einen sehr hohen Schaden verursacht hat.“Da sich der Schaden, der Krankenkassen dadurch entstanden ist, dass das WTZ Produkte über Rezepte abgerechnet hat, die nie an Patienten verwendet wurden, nur sehr schwer beziffern lässt, geht das Gericht von einem geschätzten Gesamtschaden in Höhe von mindestens 4,8 Millionen Euro aus. „Dass die Familie als Bande Hand angelegt hat, daran besteht überhaupt kein Zweifel“, so Maurer.
Ausschlaggebend sind Mails
Fest macht das Gericht die Gründung der Bande an einem bestimmten Tag. In einer E-mailkorrespondenz schrieb die Tochter am 11. September 2014 ihrer Mutter, dass sie sich Sorgen um Finanzen mache und darüber, wie fällige Rechnungen beglichen werden können. „Das war zu einer Zeit, als das WTZ in einer großen finanziellen Schieflage war, es gab Zahlungsengpässe und Pfändungen“, sagte Maurer. Die Mutter habe in einer Mail geantwortet, dass ihr Mann seine Ideen umsetzen müsse, dann habe man durch „Verordnungen“im Monat 30 000 Euro mehr. „Ich habe noch nie so eine zweifelsfreie Bandenabrede mit Beweisen gesehen“, so der Vorsitzende Richter.
„Kurz danach begannen die systematischen Falschabrechnungen“, betonte Maurer. Die Umsätze seien rasant gestiegen, ebenso wie die Gewinne. „Das ist alles dokumentiert und bewiesen, das kam nicht durch mehr Patienten, sondern durch höhere Abrechnungen“, so der Richter. Das WTZ habe nach Aalen und Ulm expandiert. Der Hauptangeklagte habe nicht nur, wie während des Prozesses immer wieder betont, ein System der phasengerechten Wundversorgung erfunden, sondern auch der phasengerechten Abrechnung. „Das war systematischer Abrechnungsbetrug, ein System der pauschalen Abrechnung, losgelöst von tatsächlich verwendeten Produkten.“
Tausendfach falsch abgerechnet
So sei ein teures Produkt 2706 Mal bei den Krankenkassen abgerechnet worden, das niemals eingekauft wurde. Ein anderes Produkt wurde 7511 Mal rezeptiert, „und davon wurden nur 31 Packungen gekauft“, so der Richter. Insgesamt sei so oder ähnlich mit mehr als 20 Produkten verfahren worden. Dieses System ist nach Ansicht des Gerichts von 2015 bis 2018 immer wieder modifiziert und perfektioniert worden.
Kurz nachdem der systematische Betrug begonnen habe, habe sich die Familie Luxusurlaube geleistet, für die in vier Jahren 250 000 Euro ausgegeben wurden. „Sie hatten Hotelaufenthalte in Suiten, haben im Kempinski residiert und waren auf Mauritius. Das darf jeder machen, aber bitte mit Mitteln legaler Herkunft“, so Maurer. Das System des banden- und gewerbsmäßigen Betrugs habe die Familie dazu genutzt, „Urlaube, Hausbau, Gehälter und sonstige finanzielle Zuwendungen zu finanzieren“, so Maurer.
Keinen Zweifel hat das Gericht daran, dass der frühere Geschäftsführer das System erdacht und federführend umgesetzt hat. Der hatte während des Prozesses immer wieder betont, alleinverantwortlich gewesen zu sein. Sein einziges Bestreben sei gewesen, die Wundpatienten des WTZ gut zu versorgen. Er hatte auch eingeräumt, dass bei der Abrechnung Fehler entstanden sein könnten, das sei jedoch keine Absicht und nicht geplant gewesen.
„Sie haben die ganzen Jahre über, genauso wie während der Verhandlung, ein falsches Spiel gespielt, das Abrechnungssystem war kein Unfall, Sie haben nicht den Überblick verloren. Das war ganz eindeutig ein erdachter systematischer Abrechnungsbetrug“, so der Vorsitzende Richter.
Ehefrau war eingeweiht
Jene Korrespondenz vom September 2014 wertet das Gericht auch als deutliches Zeichen dafür, dass die Frau des Geschäftsführers von Anfang an involviert war. Die Verteidigung hatte zwar während des gesamten Prozesse dargestellt, dass die Frau sich nie für Zahlen und fürs Geschäftliche interessiert, sondern sich lediglich ums Personal gekümmert habe. „Aber Sie waren von Anfang an dabei“, erklärte der Richter: „Sie wussten, dass Ihr Mann die Rezepte selbst macht und haben in Gesprächen die Steuerung übernommen, wenn Ihr Mann mal ausfiel oder ruhig war.“Nachdem einige Mitarbeiter die Wtz-geschäftsführung auf vermutete Ungereimtheiten angesprochen hatten, „haben Sie unliebsames Personal rausgebissen“, sagte der Richter.
Schwiegersohn war involviert
Auch der Schwiegersohn ist nach Auffassung des Gerichts in die Machenschaften involviert gewesen. Er sei zwar erst später hinzugekommen, weshalb seine Strafe auch geringer ausfällt, beteiligt gewesen ist er aus Sicht der Kammer auf jeden Fall. „Sie waren ab 2016 kaufmännischer Leiter, haben die Buchhaltung vorbereitet, haben sich ums Lager gekümmert und waren ins Produktmanagement und die Preiskalkulation eingebunden. Sie stießen einfach später zur Bande hinzu“, so der Richter in seiner Urteilsbegründung.
In seiner Argumentation folgte das Gericht weitgehend der Argumentation der Staatsanwaltschaft. Die hatte im Plädoyer für den Geschäftsführer sieben, für seine Frau fünf und für den Schwiegersohn vier Jahre Haft gefordert. Durch ihr Verhalten während des Prozesses hätten die Angeklagten einen Bonus gründlich verspielt. „Am Ende einer langen Beweisaufnahme stellt sich die Frage, ob ein frühzeitiges Geständnis nicht besser gewesen wäre“, so der Oberstaatsanwalt. „Als Familienbande bildeten Sie ein vierblättriges Kleeblatt ohne Glück“, sagte er in seinem Schlussvortrag. „Sie waren eine hochspezialisierte Einheit, in der jeder seine Fähigkeiten eingebracht hat.“Alle drei Angeklagten hätten mit enormer krimineller Energie gehandelt.
Auch nachdem von einem kooperierenden Arzt die Abrechnungsmethode kritisiert worden war, „haben Sie Ihr System unbeirrt und unerschrocken weitergeführt und zu keinem Zeitpunkt ans Aufhören gedacht“, so der Ankläger. Auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft waren die Rollen in der Wtz-geschäftsführung klar verteilt und alle waren ins Betrugssystem eingeweiht.
Ganz anders sehen das Verteidiger. „Mein Mandant trägt offen und ohne Umschweife die Verantwortung für die Fehler, die er gemacht hat“, so der Verteidiger des früheren Geschäftsführers in seinem Plädoyer. Aber er habe Zweifel daran, ob es zutrifft, dass das WTZ als Betrugsmodell angelegt war. „Der Angeklagte hat für die Abrechnung einen Ansatz gewählt, der praktikabel war, die Folgen hat er vielleicht nicht bedacht.“Eine inhaltliche Abstimmung mit den Familienmigliedern jedenfalls habe es nie gegeben. „Er hat alle im Unklaren gelassen. Er hat ein Geständnis abgelegt und Farbe bekannt“, so der Verteidiger, der selbst keinen Strafvorschlag unterbreitete.
Ganz anders die Anwälte der Ehefrau und des Schwiegersohns, die für beide Angeklagten Freispruch forderten. Die Argumentation: Weder die Frau noch der Schwiegersohn waren in Abrechnung oder Rezeptierung involviert, sondern seien nur den ihnen zugewiesenen Aufgaben nachgegangen. Von diesen Verteidigern wurde auch die Höhe des entstandenen Schadens ebenso wie die Methode zur Schadensermittlung angezweifelt.
Aus gut unterrichteten Kreisen ist zu erfahren, dass die Verteidiger aller drei Verurteilten Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen werden.
Sie haben die ganzen Jahre über, genauso wie während der Verhandlung, ein falsches Spiel gespielt, das Abrechnungssystem war kein Unfall.
Dr. Frank Maurer
Vorsitzender Richter