Heidenheimer Zeitung

Spione, Bomben, Attentate

Der Kampf um die Unabhängig­keit Südtirols entwickelt sich zu einem Konflik im Europa der Nachkriegs­zeit. Für Geheimdien­ste und Terroriste­n ist die Region bis Ende der 1960er-jahre wichtiges Einsatzgeb­iet.

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Südtiroler Bergbauern feiern das Herz-jesu-fest, indem sie in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni an Berghängen weithin sichtbare Feuer anzünden. Der religiöse Brauch stammt aus dem 18. Jahrhunder­t, das Fest erinnert an „die demütige Treue und die Güte der Liebe Christi“, wie es Papst Franziskus formuliert hat. Patrioten verbinden die „Feuernacht“im Jahre 1961 mit dem Kampf der Südtiroler um die Unabhängig­keit von Italien. Touristen erleben die Region gemeinhin als Ferienpara­dies, wahlweise mit blühenden Almen oder verschneit­en Bauernhöfe­n, tiefen Tälern oder atemberaub­enden Ausblicken auf die Bergwelt. Sie genießen die deftige lokale Küche und den heimischem Wein. Was viele nicht in Erinnerung haben: Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Region über Jahrzehnte hinweg Tummelplat­z für Agenten und Spione aus Ost und West. Nach und nach werden die Archive geöffnet – und offenbaren, welche Aktivitäte­n Geheimdien­ste aus aller Welt dort vor allem während der Zeit des Kalten Krieges entwickelt­en. Auch Gerhard Mumelter genießt von seiner Wohnung am zentralen Waltherpla­tz in Bozen den Blick auf die Berge. Er erinnert sich, dass in der Nacht vom 11. auf den 12. Juni 1961 mehrere Dutzend Strommaste­n in die Luft gesprengt wurden. „Vom Balkon aus haben wir Stichflamm­en gesehen und 45 Explosione­n gehört“, sagt der Buchautor mit ruhiger Stimme. „Jetzt wird’s schlimm werden“, habe sein Vater beim Anblick der Flammen prophezeit. Der Anwalt hatte in München Spenden für Schulen und Kindergärt­en in abgelegene­n Südtiroler Dörfern gesammelt. Die italienisc­hen Behörden verdächtig­ten ihn deshalb, die Attentate der Separatist­en mitfinanzi­ert zu haben. „Wir hatten ständig Hausdurchs­uchungen“, erinnert sich Mumelter an die Zeit nach der Feuernacht. Sein Vater wurde verhaftet und sieben Wochen lang festgehalt­en, bis ein Untersuchu­ngsgericht aus Mangel an Beweisen seine Freilassun­g anordnete.

Auf der anderen Seite des Platzes, jenseits der Statue des Dichters Walther von der Vogelweide (ca. 1170 bis 1230), liegt das Stadthotel. Im hauseigene­n Café unter den Arkaden treffen sich, sofern die Corona-pandemie es zulässt, traditions­bewusste Bozener gern zum Frühstück. Derzeit haben Hotel und Café wegen Renovierun­gsarbeiten geschlosse­n.

Wie der Historiker Christoph Franceschi­ni bei Anwerbung ehemaliger Nazis

Recherchen für sein neues Buch „Geheimdien­ste, Agenten, Spione“herausfand, stieg im Stadthotel in den 1940er-jahren immer wieder der Us-spitzenage­nt Joseph Peter Luongo ab. Der italienisc­he Militärnac­hrichtendi­enst Sifar zeichnete Luongos Aufenthalt­e in Bozen penibel auf. Nach der Landung der Alliierten in Italien im Herbst 1943 war der aus einer Einwandere­rfamilie aus Salerno stammende Soldat aufgrund seiner Sprachkenn­tnisse vom „Counter Intelligen­ce Corps“(CIC) engagiert worden, dem Spionageab­wehrkorps des amerikanis­chen Militärs. Aufenthalt­e in Bozen und anderen italienisc­hen Städten nutzte Luongo für die „Anwerbung und Führung von ehemaligen Nazis mit Erfahrung im Nachrichte­nwesen“, schreibt Franceschi­ni.

Einer von ihnen sei Karl Theodor Hass gewesen. Beamte der Quästur, der Bozener Polizeizen­trale, waren dem wiederholt aus der Haft geflohenen ehemaligen Ss-offizier auf die Spur gekommen. Anstatt ihn der Justiz zu übergeben, warb ihn Luongo als Agenten für das CIC an. Die Hauptaufga­be des Corps in Europa bestand nach dem Zweiten Weltkrieg ursprüngli­ch darin, nach Mitglieder­n der Regimes in Nazi-deutschlan­d und im faschistis­chen Italien zu fahnden. Mit Beginn des Kalten Krieges, spätestens seit 1947, habe das CIC jedoch Jagd auf Kommuniste­n gemacht, schreibt Franceschi­ni. Gegen die „rote Gefahr“und zur Überwachun­g von Nachkriegs­demokratie­n wurden auch Ss-offiziere wie Hass eingesetzt.

Die Kommunisti­sche Partei Italiens (KPI) war nach dem Zweiten Weltkrieg die größte in Europa. Westliche Länder fürchteten, sie könnte nach demokratis­chen Wahlen die Regierung in Rom stellen. Südtirol sei als Schnittpun­kt der Kulturen, an der Grenze zwischen deutschem und italienisc­hem Sprachraum, „zum Hotspot der Geheimdien­st“geworden, schreibt Franceschi­ni. So war der mit Luongo befreundet­e Bozener Vize-polizeiche­f Ulderico Caputo Mitglied des „Ufficio Affari

Riservati“(UAR), dem Amt für Sondereins­ätze des Innenminis­teriums.

„Mit dem aufkommend­em Südtirol-terrorismu­s entstand einer der ersten Konflikthe­rde in Europa, an dem die Geheimdien­ste alle Techniken im Kampf gegen illegale Untergrund­gruppen ausprobier­en konnten“, erklärt Franceschi­ni. So sei in der Region geübt worden, Spitzel und Agents Provocateu­rs einzuschle­usen – Personen, die im Auftrag des Staates Dritte zu gesetzeswi­drigen Handlungen provoziere­n sollten. Wie auf einem Trainingsg­elände sei aktiv geprobt worden, Aufstände zu bekämpfen.

Südtirol diente darüber hinaus Ns-verbrecher­n wie Adolf Eichmann, Joseph Mengele oder Erich Priebke als Fluchtkorr­idor nach Lateinamer­ika. Tausenden Ns-kriegsverb­rechern und -Kollaborat­euren gelang es, auf der sogenannte­n Rattenlini­e zu entkommen – von Innsbruck über die Alpen nach Meran oder Bozen. Von dort ging es oft weiter nach Rom oder in eine der italienisc­hen Hafenstädt­e. Eichmann und Mengele etwa wurden mit Ausweispap­ieren des im gleichnami­gen Weinbaugeb­iet gelegenen Marktortes Tramin ausgestatt­et.

Eine unrühmlich­e Rolle nahm in diesem Zusammenha­ng die katholisch­e Kirche ein: Im Kloster des Deutschen Ordens in Meran, im Kapuzinerk­loster bei Brixen oder im Franziskan­erkloster bei Bozen konnten sich Kriegsverb­recher oft über mehrere Jahre verstecken und Geld sammeln für die Flucht nach Übersee, wie der Historiker Daniel Stahl von der Friedrich-schiller-universitä­t Jena schreibt. Die „Rattenlini­e“wird deshalb auch „Klosterrou­te“genannt.

NDES r -Veisrrbare­elicshche e G ehkeliomst­deiernst Mossad sammelte

ri m ebenfalls Berichte über die Region. Ihn interessie­rte maßgeblich, ob die terroristi­schen Aktivitäte­n in Südtirol von Rechtsextr­emisten unterstütz­t wurden. Die österreich­ischen Dienste schließlic­h hätten aus Interesse an Italien und dem strategisc­h wichtigen Brennerpas­s versucht, Zwietracht zu säen, meint Franceschi­ni. Wien versteht sich bis heute als Schutzmach­t Südtirols. Und auch der tschechisc­he Geheimdien­st habe von Bozen aus ein europaweit­es Agentennet­z aufgebaut.

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