Roman Martina Bogdahn: Mühlensommer (Folge
50)
Es riecht nach Erde und Regen, und die Schwalben fliegen tief über den Spurrillen, die der Traktor auf der Wiese hinterlassen hat. Wenn wir Glück haben, müssen wir heute das Gemüse im Garten ausnahmsweise mal nicht gießen.
Und wir haben Glück. Es ist zwar kein Gewitter, das die ersehnte Abkühlung bringt, denn die dunkelgrauen Wolken ziehen in der Ferne mit einem leisen Donnern vorüber, aber die große Feuerwehrübung, von der mir Papa heute Mittag erzählt hat, findet bei uns auf dem Hof statt.
Als mein Bruder und ich das erfahren, springen wir vor Freude und Aufregung in die Luft. Die schmerzende Blase an meiner Hand ist mit einem Mal vergessen. Ob wir mal in das Feuerwehrauto steigen dürfen?
Ob die Sirene heult? Ob die Blaskapelle der Feuerwehr während der Übung spielt? Ob es dazu Bratwürste mit Sauerkraut gibt? Endlich, endlich ist mal was los bei uns.
Es dauert bis Viertel nach acht. Kurz nach der Tagesschau kommen auf der Landstraße mit lauten Sirenen und Blaulicht drei Feuerwehrautos und vier VW Golf angerauscht. Die blauen Lichter sind in der ersten Dämmerung weit zu sehen, und hören kann man den Konvoi schon, als dieser noch Hunderte von Metern entfernt ist. Wir stehen als Empfangskomitee an der Hauswand und staunen.
Mit Vollgas rauschen die großen rot lackierten Wagen in unsere Einfahrt. Das größte der drei Feuerwehrfahrzeuge bleibt fast an der kleinen Brücke hängen, die auf unseren Hof führt. Mit quietschenden Reifen und schnaufenden Stoßdämpfern kommt es direkt unter Omas Küche zum Stehen, während mehrere Feuerwehrmänner aus und auf den Wagen springen und anfangen, alles Mögliche wie Leitern, Kabeltrommeln und Löschdecken auszuladen.
„Alle Mann an die Schläuche!“, kommandiert ein besonders kräftiger Mann mit goldenen Abzeichen über der Brust. Das ist der Kommandant Erwin Schultheis. Er trägt wie alle anderen einen schwarzen Helm mit einem Nackenschutz aus Leder und einem durchsichtigen Visier und hat eine schwarze Jacke mit Reflektoren an, die sich bei ihm aber anscheinend vorne nicht mehr richtig zuknöpfen lässt.
Es folgt ein hektisches Durcheinander, und zwei ebenfalls untersetzte Männer in Feuerwehrmontur zerren lange Schläuche aus dem Materialwagen quer über den gepflasterten Hof. Ein Ende des größten Schlauchs landet mit einem lauten Platschen im Gartenbrunnen und ein anderes direkt neben der Birke im Bach. Dem Geschrei des Kommandanten können wir entnehmen, dass das Wohnhaus und die Viehställe beim Löschen oberste Priorität haben. Die Feuerwehrmänner aber laufen orientierungslos hin und her, sie scheinen nicht zu wissen, was Priorität bedeutet, und unsere Oma findet, dass der
Fokus jetzt erst einmal auf etwas ganz anderem liegen sollte. Sie reißt das Kommando an sich und schreit die Ansagen für die Löscharbeiten mit schriller Stimme und auf dem Fenstersims abgestützten Ellbogen aus ihrem geöffneten Küchenfenster.
Thomas und ich sitzen derweil barfuß auf der von der Sonne aufgeheizten Haustreppe und verfolgen das Treiben. So ordentlich es beim Festzug auf Fahnenweihen und Kirchweihmärschen zugeht, so planlos sind die hier beim Proben für den Ernstfall. Außerdem haben sie offensichtlich nicht mit unserer Oma gerechnet, die hat innerhalb von Sekunden von ihrem Aussichtsplatz die Einsatzleitung übernommen und weist die Feuerwehrmänner mit den Schläuchen an, wo sie löschen sollen.
„Tomaten! Die Tomaten, die brauchen was!“Sie fuchtelt mit der Faust in der Luft herum und kreischt noch etwas lauter: „Und jetzt die Erdbeeren, die Erdbeeren, weiter links, weiter links, ja wisst ihr nicht, was Erdbeeren sind? Links! Nicht auf die Zinnien, die hab ich heute schon gegossen, Erdbeeren!“
Die Feuerwehrmänner sind ganz verdattert, versuchen aber ihr so gut es geht Folge zu leisten. Der Wasserstrahl im Garten fährt wie eine unbarmherzige Peitsche durch Obst und Gemüse, dass der Dreck nur so hochspritzt.
„Die Zucchini, los jetzt, gebt mal was auf die Zucchini und danach die Gurken, die Gurken!“
Fortsetzung folgt
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